Tücken der Statistik
Liest man den Titel dieses Buchs zum ersten Mal, kann es leicht passieren, dass man sein ergänzendes Anhängsel »mit diesem Titel« übersieht. Er soll vermutlich die Aufmerksamkeit der Konsumenten erregen. Zugleich irritiert er aber auch, da vielen nicht auf Anhieb klar sein dürfte, wie er gemeint ist.
Die Autorin Sanne Blauw hat Ökonometrie studiert, über den Zusammenhang von Ungleichheit, Vertrauen und Glück promoviert und arbeitet seither als Journalistin. Für die niederländische Nachrichten-Website »De Correspondent« verfasst sie regelmäßig Beiträge über den Einfluss, den Zahlen auf unser Leben haben. In ihrem Buch möchte sie die Leser vor einer allzu großen Datengläubigkeit warnen und tut das in sechs Kapiteln nebst Vor- und Nachwort, Quellennachweisen und Lesetipps mit überwiegend englischsprachigen und niederländischen Publikationen.
Nützliche Prüfliste
Eingangs schildert Blauw, wie – beginnend mit den Tontafeln der Babylonier – das Erheben statistischer Daten über die Jahrtausende hinweg zunehmend an Bedeutung gewann und heute unser ganzes Leben prägt. Auch kommt sie auf die britische Krankenschwester und Statistikerin Florence Nightingale (1820-1910) zu sprechen, die während des Krimkriegs (1853-1856) mit Hilfe selbst erstellter Grafiken die britischen Militärbehörden dazu bewegte, die hygienischen Verhältnisse in den Lazaretten zu verbessern und so die Sterberaten zu senken. Nach diesen historischen Vorbemerkungen stößt die Autorin zum Kern ihres Anliegens vor und verdeutlicht anhand zahlreicher Beispiele, dass man statistische Angaben grundsätzlich kritisch bewerten sollte. Welche Fragen dabei zu stellen sind, gibt sie ihren Lesern mit auf den Weg:
- Welche Genauigkeit haben die Daten? Handelt es sich vielleicht nur um einen Mittelwert? Wie groß ist die Streuung, wie groß war der Stichprobenumfang?
- Welche Institution hat eine statistische Untersuchung in Auftrag gegeben und mit welcher Absicht?
- Lassen sich aus den Ergebnissen der jeweiligen Erhebung tatsächlich die angegebenen Schlüsse ziehen? Wurde eventuell Kausalität mit (zufälliger) Korrelation verwechselt?
- Erfassen die angegebenen Zahlen, beispielsweise der IQ oder das BIP, tatsächlich das, was gemessen werden soll?
- Wie zuverlässig sind Bewertungen und Rangskalen, etwa der Kreditwürdigkeit eines Bankkunden oder der »glücklichsten Nationen«?
Das eingängig geschriebene Buch lässt sich flüssig lesen. Mit großem Fleiß hat die Autorin viele unterhaltsame Beispiele zusammengetragen, die überwiegend aus englischsprachigen Veröffentlichungen und niederländischen Pressebeiträgen stammen. Unter anderem berichtet sie darüber, dass es bei der niederländischen Polizei so genannte Strafzetteltage gibt, die zum Ziel haben, über die Zahl der verteilten Strafzettel die Einsatz- und Leistungsbereitschaft der einzelnen Polizisten zu messen. Ähnliche Beispiele hätten sich leicht auch in deutschsprachigen Medien finden lassen, die Herausgeber beließen es jedoch im Wesentlichen bei der Übersetzung des niederländischen Originals.
Es sind bereits diverse Bücher erschienen, die sich mit typischen Interpretationsfehlern statistischer Daten oder Manipulationsversuchen in scheinbar objektiven Untersuchungen befassen; aber auch Leser mit entsprechenden Vorkenntnissen werden die eine oder andere neue Information aus dem Buch mitnehmen können. In seinen verschiedenen Kapiteln behandelt es ausgewählte Aspekte wie die Messung der menschlichen Intelligenz, die Zufälligkeit von Stichproben, Manipulationsversuche durch angeblich nachgewiesene Kausalität oder Big-Data-Bewertungssysteme. Gleichwohl streut die Autorin immer wieder Beispiele ein, die nicht unbedingt zum jeweiligen Kapitel-Thema passen, oder wiederholt bereits Geschriebenes mit anderen Worten. Das mindert allerdings nicht den Unterhaltungswert des Buchs.
Im Nachwort meint die Autorin, man könne dank der gewachsenen Kritikfähigkeit der Bürger und der vielen Statistik-kritischen Veröffentlichungen in den Medien durchaus optimistisch in die Zukunft schauen. Am Ende ihres Bands präsentiert sie eine Checkliste »Was man tun sollte, wenn man auf eine Zahl trifft«, mit sechs Prüfpunkten: Wer legt die Zahl vor? Was empfinde ich angesichts der Zahl? Wie wurde standardisiert? Wie wurden die Daten erhoben? Wie wurden die Daten analysiert? Wie werden die Fragen präsentiert?
Blauw schließt mit den Worten: »Wir Menschen haben die Zahlen erfunden. Wir tragen also auch die Verantwortung dafür, wie sie verwendet werden.« Ihr Buch trägt zur Aufklärung über Datenmanipulation bei und lässt sich allen Interessierten empfehlen.
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