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»Der Sieg über den Tod«: Der Tod des Todes

Ist das Altern die schlimmste Krankheit des Menschen – und sehr bald heilbar? Rezension eines Buchs, dessen Autoren fest davon überzeugt sind.
Viele Seeschwalben ereilte der Tod inmitten ihrer Brutphase. Eier starben ab, Küken verhungerten.

Die Geburt sei die Aushändigung einer Rückfahrtkarte, heißt es in einem Aphorismus, und der Volksmund ist überzeugt: »Wir müssen nichts, außer sterben.« Der Transhumanist José Cordeiro und der Futurist David Wood sehen das anders. Sie gehören zur wachsenden Riege jener Fachleute aus Wissenschaft und Technik, die fest daran glauben, dass Menschen schon bald nicht mehr den Alterstod sterben werden. Sie sehen das Alter als heilbare Krankheit. Ihr Buch »Der Sieg über den Tod« – 2017 bereits ein Bestseller in Spanien – ist daher ein flammendes Plädoyer dafür, mehr Zeit, Geld und Hirnschmalz in die Verjüngungsforschung zu investieren.

Das Alter verstehen und »heilen«

Eines vorneweg: Mit ihrer Sichtweise, dass Alterungsprozesse und altersbedingte Krankheiten nichts anderes seien als biologische Defekte, die sich medizinisch reparieren lassen sollten, stehen Cordeiro und Wood alles andere als allein da. Zahlreiche renommierte Forschende aus Zellbiologie, Genetik und Medizin versuchen, das Altern zu verstehen und die zu Grunde liegenden Prozesse zu neutralisieren. Dass Menschen in wenigen Jahrzehnten wahrscheinlich deutlich länger leben und dabei gesünder sein werden als heute, dafür gibt es bereits belastbare Indikatoren.

Dennoch ist bei der Lektüre von »Der Sieg über den Tod« Vorsicht angebracht: Das Buch strotzt vor Euphorie und Dogmatik. So heißt es bereits in der Widmung: »Heute sterben jeden Tag mehr als 100 000 Menschen an altersbedingten Krankheiten. Dies ist das größte Verbrechen gegen die Menschheit […]. Wir können es jetzt verhindern, und wir müssen es jetzt verhindern. Es ist unsere moralische Verantwortung, unsere ethische Pflicht, unsere historische Verpflichtung.« Obendrein finden sich statt fachlichem Tiefgang und referenzierten Studien als Informationsquellen häufig lediglich Zitate anderer Euphoriker, von denen manche nicht Biologen, sondern Investoren oder Tech-Gurus sind. Gefühlt machen lange Zitate das halbe Buch aus.

Wer diese Vorwarnung berücksichtigt, findet einen oberflächlichen, aber umfassenden Überblick darüber vor, weshalb auch vorsichtigere Fachleute durchaus an ein wahrscheinliches Ende des Alterstods glauben. Da sind zum einen manche Lebewesen, die schon heute extrem langlebig sind oder sich verjüngen können. Da ist die Forschung, die bei Fadenwürmern, Fliegen und Mäusen die Lebenserwartung teils vervielfacht hat, ohne dass die Tiere an Alterskrankheiten leiden. Da sind enorme Unterschiede in der Lebenserwartung von Drohnen und Bienenkönigin – alles Hinweise darauf, dass Alterung ein regulierter Prozess ist. Die Autoren präsentieren diese Fakten, ohne weit in die Biologie einzutauchen. Auch die heute bekannten Prozesse, die letztlich zum Alterstod führen, benennen Cordeiro und Wood ohne allzu große Erläuterung. Es geht ihnen wohl mehr darum, Argumente für ihre Forderungen vorzulegen. Die sind auf biologischer Seite durchaus korrekt.

Über weite Strecken suchen die Autoren jedoch Analogien – von der Eisenbahn über das Smartphone bis zur evidenzbasierten Medizin –, die belegen, dass bahnbrechende Entwicklungen anfangs oft unterschätzt und abgelehnt wurden, dann aber unerwartet schnell – exponentiell – zur Normalität geworden sind. Daraus eine Gesetzmäßigkeit für die Heilung des Alterns abzuleiten, erscheint zumindest gewagt, selbst wenn disruptive Fortschritte wie die Genschere CRISPR-Cas, die Deep-Learning-Software AlphaFold zur Prognose von Proteinfaltungen und manches mehr die These stützen mögen.

Hin und wieder schleichen sich auch Logikfehler ein, beispielsweise wenn sich die Autoren auf ein bisher exponentielles Wachstum der Lebenserwartung berufen. Gesunkene Kindersterblichkeit und bessere Hygiene in der Vergangenheit sind wohl kaum ein Argument dafür, dass sich in der Zukunft die Lebenserwartung noch weiter und schneller erhöhen wird. Die »moralische Rechtfertigung«, die der Untertitel verspricht, fällt jedenfalls zu kurz aus und bagatellisiert Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder der endlichen planetaren Ressourcen.

Durchaus interessant ist es hingegen zu lesen, wie viele Tech-Konzerne, Start-ups und Investoren massiv auf Langlebigkeit und eine Heilung des Alterns setzen. Auch die Vielzahl der Forschungseinrichtungen, an denen heute zu diesen Themen gearbeitet wird, beeindruckt. Milliarden Euro fließen derzeit in die – häufig privatwirtschaftliche – Verjüngungsforschung. Plausibel legen die Autoren zudem dar, dass eine Heilung des Alterns sich mehr als selbst finanzieren würde, wenn andere Alterskrankheiten dadurch entfielen und die Lebensarbeitszeit sich verlängerte.

Was am Ende des Buchs bleibt, ist die Überzeugung, dass die Menschheit über kurz oder lang Alterungsprozesse stoppen oder sogar umkehren wird. Stärkere Forschungsbemühungen in diese Richtung zahlten sich sehr wahrscheinlich aus. Ob schon die heute 50-Jährigen nicht mehr am Alterstod sterben müssen, wie die Autoren sich überzeugt zeigen – das wird sich in ein bis zwei Jahrzehnten beantworten lassen.

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