»Die kosmische Krise«: Der Mythos lebt
Wie bitte? Außerirdische könnten uns vielleicht retten? Diese Idee klingt so abstrus, dass man sich fragt, warum dieser Frage überhaupt ein Buch gewidmet wird. Da hilft nur eins: Es lesen.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Zunächst geht es um das »Phänomen« – also vor allem um Ufo-Sichtungen, aber auch um das bekannte Fermi-Paradoxon in Gestalt der Frage: Wenn es uns offensichtlich weit überlegene Außerirdische gibt, warum sind sie nicht schon längst hier? Der zweite Teil widmet sich der »Psyche«, beschreibt also, wie Menschen auf Ufo-Sichtungen reagieren und wie die menschliche Psyche uns dazu neigen lässt, Ufos zu sehen. Im dritten Teil diskutiert der Autor dann die gesellschaftlichen Folgen, die ein Besuch von Außerirdischen für uns hätte – und kommt hier zu keinem besonders positiven Ergebnis. Ein solcher Besuch wäre viel eher Gefahr denn Chance für die Menschheit.
Sowohl der Prolog als auch die folgenden Seiten, in denen die verschiedenen Sichtungen diskutiert werden, enthalten genau das, was man in einem Buch über Ufos erwartet. Die Leser lernen Zeugen kennen, deren vermeintliche Glaubwürdigkeit etwa durch die Zugehörigkeit zur U.S. Air Force untermauert wird. Prototypisch sind erfahrene Kampfpiloten, die zugleich fürsorgliche Familienväter sind. Sie berichten Unheimliches. Nächtlich leuchtende Kugeln oder silbrig spiegelnde, glatte, zigarrenförmige Objekte, deren Flug- oder manchmal sogar Tauchverhalten den Gesetzen der Physik zu widersprechen scheint. Manchmal verfolgen diese Objekte Kampfjets, oder sie verwirren die Computer der Abschussrampen von Raketen, die mit Atombomben bestückt sind; und sie verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie aufgetaucht sind. Ein gehöriger Gruselfaktor schwingt mit, und so liest sich der erste Teil ziemlich packend – es sei denn, man wird der immer ähnlichen Fälle mit der Zeit doch überdrüssig. Immerhin: Es gibt nicht nur entsprechende Berichte über amerikanische Militärbasen in den 1950er Jahren – auch in Europa kam es in den letzten zehn Jahren immer wieder zu unerklärten Sichtungen.
Der zweite Teil ist dagegen deutlich unkonzentrierter. Es geht um psychologische Fragen: Vielleicht wünschen sich Menschen ja Außerirdische als Projektion dessen, was sie selbst nicht sind, ähnlich wie Carl Gustav Jung (1875–1961) den Glauben an einen Gott erklärt? Regelrecht langweilig werden dann die seitenlangen Beschreibungen dazu, wie einzelne Menschen, meist US-Amerikaner, ihren persönlichen Ufo-Hype ausleben. Vermutlich vom Autor als Beispiele gedacht, fragt man sich bei der Lektüre hier schnell, ob man seine Zeit nicht besser anders einsetzen sollte. So verliert sich eine eigentliche Botschaft des zweiten Teils: Ufos könnten auch hausgemacht sein. Außerdem fragt sich Gerritzen, was eine Ufos-Sichtung mit dem Beobachter macht. Ein einschneidendes Erlebnis ist es ziemlich sicher, ein Ufo zu sehen. Erzählen kann man davon aber kaum – denn man wird schnell als Spinner abgetan.
Mehr Mysterium als Wissenschaft
Der dritte Teil schließlich diskutiert gesellschaftliche Aspekte. Hier geht es nicht nur um (potenzielle) Reaktionen auf die berichteten Sichtungen – etwa, dass Regierungen versuchen könnten, der Öffentlichkeit Beweismaterial vorzuenthalten. Es geht auch um mögliche Folgen eines echten Kontakts, also eines eindeutigen Kommunikationsversuchs der Flugobjekte mit uns Erdbewohnern. Gerritzen zeichnet hier ein sehr düsteres Bild: Die offensichtliche, technische Überlegenheit würde in vielerlei Hinsicht unsere Weltordnung zerreißen, und eine globale Krise wäre die Folge – eben die »Die kosmische Krise«, der das Buch seinen Titel verdankt.
Der Autor gibt sich große Mühe, dem Phänomen »Ufo« unvoreingenommen zu begegnen. Ein sehr ausführlicher Quellennachweis zeugt davon, dass er gründlich recherchiert hat. Aber die Gewichtung der Aspekte in seinem Buch überzeugt mich nicht: Seitenlang werden Ufo-Sichtungen beschrieben, aber kaum diskutiert werden Erklärungsversuche, die im Rahmen irdischer Naturgesetze verbleiben. So ist es auch nicht erstaunlich, dass er dem Harvard-Professor Avi Loeb relativ viel Platz einräumt, dessen hochspekulative Ideen zu allerlei Themen rund um außerirdisches Leben bei Experten regelmäßig zu ungläubigem Kopfschütteln führen. Dramaturgisch ist seine Wahl verständlich: Als Journalist will er spannende Geschichten erzählen, und so darf das Mysteriöse nicht zu sehr demaskiert werden.
Insgesamt ist »Die kosmische Krise« ein etwas langatmiges Buch, bei dem man den Verdacht nicht loswird, dass die wenigen, unerklärten Ufo-Geschichten dem Autor besser gefallen als die vielen aufgeklärten Fälle. Trotz des wissenschaftlichen Anstrichs bleibt Gerritzens Buch so tendenziös.
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