»Error 404«: Was passiert, wenn das Internet kollabiert?
Im März 2021 kam es in einem Rechenzentrum in Straßburg zu einem Großbrand. Meterhohe Flammen loderten aus dem mehrstöckigen Gebäude, die Feuerwehr musste mit einer Hundertschaft anrücken, um den Brand unter Kontrolle zu bringen. In der Folge gingen 3,6 Millionen Webseiten offline, unter anderem Regierungsseiten, Shopping-Portale und Nachrichtenseiten.
Der Vorfall macht deutlich, wie abhängig die Welt vom Internet und seiner technischen Infrastruktur ist. Online-Banking, Online-Shopping, E-Government – immer mehr Prozesse laufen digital. Doch was würde im Fall eines Internet-Crashs passieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich die spanische Wissenschaftsjournalistin Esther Paniagua in ihrem Buch »Error 404: Der Ausfall des Internets und seine Folgen für die Welt«.
Schwachstellen der digitalen Infrastruktur
Im ersten Kapitel skizziert die Autorin mehrere Wege, wie es zu einem solchen Zusammenbruch kommen könnte. Durch eine Sicherheitslücke im BGP-Protokoll – eine Art Verteiler der Internet-Infrastruktur – könnten dem System fehlerhafte Informationen zugeführt und eine Kettenreaktion ausgelöst werden, bei der das Internet binnen 30 Minuten lahmgelegt würde. »Das Problem besteht darin, dass durch die Öffnung des Internets für die massenhafte Nutzung eine ungeheure Vielzahl von Risiken für die Nutzer und für wichtige Systeme und Infrastrukturen in der realen Welt entstand, einschließlich der Kraftwerke, die schnell an das World Wide Web angeschlossen wurden«, konstatiert die Autorin. Das Internet sei mittlerweile mehr als 40 Jahre alt, und obwohl die Technologie noch funktioniere, fehle es ihr an nötigen Sicherheitsvorkehrungen.
Eine weitere Schwachstelle ist die physische Infrastruktur des Internets. Durch die Weltmeere verlaufen 487 Unterseekabel mit einer Gesamtlänge von 1,3 Millionen Kilometern. Durch Unfälle oder Naturkatastrophen kommt es jährlich zu 200 Störungen. Zu Beginn des Jahres 2022 etwa war die kleine Inselgruppe Tonga im Pazifik durch den Ausbruch eines Unterwasserseevulkans mehrere Wochen vom Internet abgeschnitten. Das Problem besteht nach Einschätzung von Paniagua darin, dass es nicht genügend Redundanz, also Ersatz-Systeme gibt, die verhindern könnten, dass ein räumlich begrenzter Schaden mehrere Internetleitungen betrifft und ein ganzes Land vom World Wide Web abschneidet.
Vor diesem Hintergrund entwirft die Autorin eine Reihe weiterer Bedrohungsszenarien: Sonnenstürme oder elektromagnetische Impulse könnten die Stromnetze und damit auch das Internet lahmlegen, Hacker Leitungen sabotieren, Regierungen aus präventiven Gründen das Netz abschalten. Die Journalistin hält es sogar für möglich, dass die von Überwachung und Manipulation genervte Zivilgesellschaft »in einer Art modernem Sturm auf die Bastille gegen das World Wide Web rebellieren würde« oder eine Superintelligenz beschließt, das Internet zu beseitigen, weil es dem Menschen nicht guttut.
An Kassandra-Rufen fehlt es in der Internetdebatte nicht. Schon 1995, als man sich noch mit dem schrillen Ton des Modems ins World Wide Web einwählte, warnte der Internetpionier Robert Metcalfe, das Internet werde sich zu einer »spektakulären Supernova« entwickeln und bald kollabieren. Esther Paniagua will ihr Buch nicht als Dystopie verstanden wissen, sondern als »didaktischen und bewusstseinsbildenden« Beitrag, um solche dystopischen Verhältnisse zu vermeiden. Denn so wie die Welt nicht auf eine globale Pandemie vorbereitet war, sei sie auch für die Abschaltung des Internets nicht gewappnet. Die Frage sei nicht, ob der Absturz kommt, sondern wann.
Angesichts der Verwundbarkeiten der technischen Infrastruktur ist das eine plausible Einschätzung, und der Kritik, dass Regierungen zu wenig in Cybersicherheit investieren, ist zuzustimmen. Doch wer erwartet, dass Paniagua auf den folgenden 350 Seiten die konkreten Folgen eines Internetausfalls ausbuchstabiert oder eine Lösungsstrategie für mehr Resilienz entwickelt, wird leider enttäuscht.
Dabei wäre genau das das Spannende gewesen: Wie sähe eine Welt ohne Internet aus? Welche Notfallsysteme werden im Ernstfall aktiviert? Wie lassen sich Rechenzentren gegen Sabotageakte schützen? Stattdessen liefert die Autorin ein wildes Potpourri an Themen, von algorithmischer Diskriminierung über Deep Fakes bis hin zum QAnon-Verschwörungskult, deren Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand sich nicht erschließt. Was haben Desinformationen mit Webprotokollen zu tun? Es fehlt der rote Faden.
Der gegen Ende des Buchs vorgebrachte Maßnahmenkatalog wie die Forderung einer »demokratischen Allianz für digitale Governance« klingt interessant, bleibt aber holzschnittartig. So wirkt das Ganze wie ein fader Abklatsch der Internetkritik. Zu diesen inhaltlichen Schwächen gesellen sich stilistische Mängel durch schwerfällige Substantivierungen, die wohl der Übersetzung aus dem Spanischen geschuldet sind. Letztlich bleibt das Buch hinter den Erwartungen zurück, die der viel versprechende Titel weckt.
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