Wegweiser aus der Klimakatastrophe
Wie schaffen wir die Wende zu einem nachhaltigen Lebensstil, bei dem wir nur noch einen Bruchteil unserer derzeitigen CO2-Emissionen produzieren? Auf welchem Weg kann diese Wende möglichst schnell gelingen und gleichzeitig ohne übermäßige Einbußen unseres Wohlbefindens vonstattengehen? Das sind zweifellos die zentralsten, aber auch komplexesten Fragen unserer Zeit, die man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten muss. In seinem Buch »Mit kühlem Kopf« beleuchtet der Philosoph Bernward Gesang die Frage aus Sicht der angewandten Ethik – und kommt dabei zu überraschend klaren Schlussfolgerungen und Verhaltensempfehlungen für Einzelpersonen, Wirtschaftsunternehmen sowie für Staaten und deren Gemeinschaften.
Klare Verhaltensempfehlungen
Vielleicht kann man Gesangs Argumentationen auch deswegen so gut folgen, weil der Autor anfangs über fast 40 Seiten die Grundpfeiler erläutert, auf denen sein Gedankengebäude basiert. Dieses ist im Utilitarismus verankert, also dem Bestreben, das Wohlergehen aller Betroffenen zu maximieren. Wie an späterer Stelle klar wird, berücksichtigt er dabei weitsichtigerweise auch zukünftige Bewohner aller Länder der Erde. Gleichzeitig appelliert Gesang dafür, das Ziel des Klimaschutzes singulär zu priorisieren und davon abzusehen, dieses mit dem Versuch einer umfassenden Ressourcenwende zu verbinden. Aus Angst vor gesamtgesellschaftlicher Überforderung distanziert er sich damit von Vertretern der Postwachstumsökonomie.
Ausgehend von diesen Grundüberlegungen führt der Autor aus, mit welcher Strategie jeder einzelne am effektivsten zum Klimaschutz beitragen kann. Maßgeblich ist für Gesang dabei die Tatsache, dass die Kosten, um CO2-Emissionen zu vermeiden, in Ländern des globalen Südens wesentlich geringer ausfallen als in den Industrienationen. Daher empfiehlt er den Bürgern reicher Staaten, das Maß an Geld und Mühe, das wir im Kampf gegen den Klimawandel aufzubringen bereit sind, zu bündeln und damit entsprechende Maßnahmen auf der Südhalbkugel zu unterstützen.
Als besonders sinnvoll hebt er Projekte zur Armutsbekämpfung in Regenwaldgebieten hervor, welche die Menschen dort gleichzeitig aus dem Zwang befreien, den Wald verkaufen zu müssen, um sich das Nötigste leisten zu können. Angesichts solcher Mehrfacheffekte, die durch derartige Projekte entstehen, lohnt es sich – wie Gesang meint – kaum, mit vergleichbarem Aufwand kleinere Emissionen im Privatbereich zu vermeiden, etwa durch veränderte Konsumgewohnheiten. Damit stellt der Autor eine steile These auf, der sicherlich einige Leser widersprechen – aber er begründet sie gut.
Nach einem kurzen Einschub zu Wirtschaftsunternehmen folgt ein ausführliches Kapitel zur Rolle von Nationalstaaten, bei denen Gesang im Gegensatz zu Privatpersonen eine Vorbildfunktion hervorhebt. Er plädiert für eine engagierte Energiewende, in welcher der Staat die Entwicklung vieler unterschiedlicher Technologien fördert. Die erfolgreichsten könne man anschließend auch in andere Länder exportieren.
Der wohl anregendste Teil des Buchs betrifft die innovativen Vorschläge, um mit den Faktoren umzugehen, die auf politischer Ebene verbindliche Regelungen zum Klimaschutz hemmen. So schlägt Gesang die Einführung eines Weltgerichtshofs vor, der ein Veto gegen nationale Gesetze einlegen darf, wenn diese lebenswichtige Belange zukünftiger Menschen verletzen. Charme besitzt auch die Idee, Unwuchten in der Alterspyramide auszugleichen, indem Gesellschaften aus technologisch entwickelten Ländern mit solchen aus Schwellenländern wirtschaftlich fusionieren. Dass es sich hierbei in erster Linie um Gedankenexperimente handelt, die sich nicht ohne Weiteres umsetzten lassen, ist dem Autor bewusst, der das ganze Buch hindurch klar und fundiert argumentiert.
Als roter Faden dienen regelmäßige Warnungen vor so genannten Transformationsfallen. Der Komplexität des Themas angemessen äußert sich der Philosophieprofessor Gesang differenziert und betont, dass er keine Universallösungen anbietet. Angesichts dessen passt die stark strapazierte metaphorische Schwarz-Weiß-Malerei nicht ganz ins Bild, derer er sich durchweg bedient. Die inhaltlichen Aussagen sind klar genug und würden auch ohne diesen Griff in die rhetorische Trickkiste zum Nachdenken anregen.
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