Ein mathematisches Abenteuer
Mit seinem neuen Buch hat sich Edmund Weitz einen lange gehegten Wunsch erfüllt: Er hat eine mathematische Reisebeschreibung verfasst. Ein populäres Sachbuch ist entstanden, in dem man vieles über die historische Entwicklung mathematischer Theorien und einzelner Probleme erfährt, angereichert durch zahlreiche Anekdoten, die das Beschriebene verdeutlichen. Das Buch enthält zudem umfangreiche Abschnitte, in denen der Autor Grundbegriffe und mathematische Methoden vorstellt und entwickelt.
Unterhaltsam und informativ zugleich
Weitz ist Professor für Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht er seit Jahren populäre Vorlesungen zu mathematischen Themen. In einem gleichzeitig erschienenen Video erläutert er, ihm schwebte ein Buch vor, das einerseits den Ansprüchen eines mathematischen Fachbuchs genügt – als Vorbild nennt er unter anderem den Klassiker »Was ist Mathematik?« von Richard Courant und Herbert Robbins –, andererseits sollte es aber auch so unterhaltsam-informativ sein wie Simon Singhs »Fermats letzter Satz«.
Dieses Vorhaben ist dem Autor zweifelsohne gelungen. Wer sich auf das Abenteuer mit ihm als Reiseführer einlässt, der wird durch einen Dschungel von mathematischen Sätzen und Theorien geführt – wer die entsprechenden Vorkenntnisse in einem Studium erworben hat, wird Gelerntes wieder auffrischen können: Insbesondere geht es um Inhalte der Zahlentheorie und der Algebra. Das Ziel der Reise ist hingegen geometrischer Natur, es geht um eine Methode, die Kreiszahl π zu bestimmen, und zwar über einen ziemlich hindernisreichen Weg. Die anvisierte mathematische Formel stammt von Leibniz
π/4 = 1– 1/3 + 1/5 – 1/7 + 1/9 – …
und wird üblicherweise mit Hilfe von Methoden der Analysis bewiesen.
Dass Weitz dieses Ziel verfolgt, wird erst ab Seite 49 langsam deutlich – der Autor hat vieles zu erzählen. Zum Beispiel über die »eureka moments«, durch die Mathematik-Treibende alle Mühen vergessen, wenn sie erfolgreich ein Problem gelöst haben (Henri Poincaré bezeichnet dies als »Freude des Verstehens«). Oder: warum es für Mathematiker sinnvoll ist, für einen bereits bewiesenen mathematischen Satz einen alternativen Beweis zu suchen.
Erst auf Seite 80 verkündet Weitz das Ziel und die dazugehörige Methode: den Flächeninhalt eines Kreises (und damit die Kreiszahl π) zu bestimmen, indem man alle Punkte der Ebene mit ganzzahligen Koordinaten (so genannte Gitterpunkte) zählt, die innerhalb eines Kreises liegen. Da Gitterpunkte einen Abstand vom Ursprung haben, der sich gemäß dem Satz von Pythagoras aus der Wurzel der Summe zweier Quadratzahlen berechnet, führt der weitzsche Weg durch den mathematischen Dschungel bald zum Zweiquadrate-Satz von Fermat: »Eine ungerade Primzahl ist genau dann als Summe zweier Quadrate darstellbar, wenn sie von der Form 4n + 1 ist.«
Ziel der dann folgenden Untersuchungen ist es, herauszufinden, welche Zahlenpaare auf einem Kreis um den Ursprung mit Radius √n liegen. Das ist leichter möglich, wenn man die Gitterpunkte als komplexe Zahlen interpretiert, also als Zahlen der gaußschen Ebene. Weitz führt dazu nebenbei das Rechnen mit komplexen Zahlen ein. Und hiermit nicht genug: Auf die Menge der gaußschen Zahlen, also der komplexen Zahlen mit ganzzahligem Real- und Imaginärteil, überträgt er Begriffe wie Teilbarkeit und Primteiler.
Das geht so immer weiter, bis man irgendwann aus dem Dschungel heraustritt und sich vor der oben angegebenen leibnizschen Formel wiederfindet. Dass dies ein abenteuerlicher, gleichwohl wunderbarer Beweis ist, lässt sich nicht bestreiten. Aber: Wie viele Leserinnen und Leser werden dem komplizierten Weg dahin folgen können? Wie viele werden der Aufforderung des Autors folgen, die Lektüre durch eigene Notizen zu begleiten?
Weitz hat eine wunderbare Begabung zu erzählen; daher empfindet man es keineswegs als störend, wenn er zwischendurch allerlei Themen anspricht, die nicht unbedingt notwendig sind, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Und weil er so viel zu erzählen hat, gibt es auch noch eine Reihe von Ergänzungen, die er nicht etwa in Form von Fußnoten eingefügt hat, sondern die in einem 20-seitigen Anhang zu finden sind. In der Sorge, einen wichtigen Gedanken zu verpassen, wird der neugierige Leser vermutlich trotzdem seine Lektüre unterbrechen, hinten nachschlagen und dann versuchen, den roten Faden wiederzufinden.
Das Buch enthält eine ausreichende Fülle von Tabellen und grafischen Darstellungen, die jedoch leider nur in Schwarz-Weiß gedruckt sind; eine für das Verstehen wichtige Tabelle auf Seite 108 ist eindeutig zu klein geraten und kaum lesbar – auch hier lohnt es sich unbedingt, die bunten Darstellungen der zugehörigen Youtube-Videos anzuschauen, insbesondere die zum Windmühlen-Beweis des fermatschen Satzes.
Der Erzählstil des Autors ist unterhaltsam und oft flapsig, aber nie unseriös. Insgesamt richtet sich das anregende Buch an alle Personen, die sich für Mathematik und Mathematikgeschichte interessieren. Ob dazu normale Schulkenntnisse ausreichen, wie es auf dem Buchdeckel heißt, ist jedoch zu bezweifeln. Gleichwohl werden auch diejenigen Leserinnen und Leser, die sich nicht in jede mathematische Frage einarbeiten wollen, Freude an der Lektüre haben.
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