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»Quanten-Bullshit«: Quantenphysik statt »Quantenheilung«

Chris Ferrie vermittelt seine Leidenschaft für die Quantenphysik – und eine Menge Erkenntnisse. Und er bekämpft den Missbrauch dieses faszinierenden Wissensgebiets.
In einer abstrakten Illustration mischen sich Zahnräder und andere Elemente klassischer Mechanik mit Licht- und Quantenphänomenen

Titel und Untertitel des Buchs liegen voll im Trend: Sie provozieren und verunsichern. Wird hier die etablierte Quantenphysik an den Pranger gestellt? Ganz im Gegenteil. Wie der Text auf der Rückseite sofort verrät, nimmt der Autor sie gegen weit verbreiteten Missbrauch in Schutz. Tatsache ist, dass sich der mysteriöse Begriff »Quanten« perfekt eignet, um esoterische Versprechungen wissenschaftlich klingen zu lassen. Ahnungslose Menschen vertrauen auf »Quantenenergie«, »Quantenheilung« oder »Quantenkristalle« und geben für solche fragwürdigen Angebote mitunter auch noch viel Geld aus. Das ist mit »Bullshit« gemeint. Der Autor nimmt die abgedrehte Szene gnadenlos aufs Korn und beschreibt zugleich auf profunde, humorvolle Weise die verrückte Quantenwelt. Sie weist in der Tat rational (bisher) nicht fassbare Eigenschaften auf und hat unser klassisches Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert. Damit bietet die Quantenphysik eine ideale Bühne auch für clevere Scharlatane, die mit »Fake News« scheinbar einfache Erklärungen für komplexe Tatsachen liefern – oft im Verbund mit pseudowissenschaftlicher Abzocke.

Chris Ferrie ist vom Fach. Der promovierte kanadische Physiker arbeitet derzeit als außerordentlicher Professor am »Centre for Quantum Software and Information« der »University of Technology Sydney«. Unkonventionell wie der Titel ist auch die Sprache des Buchs. Der Text beginnt mit »Hi, ich bin Chris.« Weiter lesen wir: »Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass Sie das Buch aus zwei Gründen in die Hand genommen haben: 1. Mein Name steht drauf und ich bin großartig, und 2. Sie finden Quantenphysik unheimlich spannend … und ich bin immer noch großartig.« Das Buch erschien erstmals 2023 auf Englisch als »Quantum Bullsh*t – How to Ruin Your Life with Advice from Quantum Physics«. Der Übersetzer bringt die flippige Sprache gut rüber. Allerdings ist der deutsche Untertitel irreführend, erweckt er doch den Eindruck, Quantenphysik habe das Leben des Autors ruiniert. Das Gegenteil ist der Fall, denn Ferrie bekennt offen: »Gottverdammte Quantenphysik. Wenn ich könnte, würde ich sie heiraten.«

Bloß keine Quantenpsychologie!

Nur wenige Schwarz-Weiß-Grafiken und einfache Formeln schmücken das kleinformatige, 224-seitige Buch. Man kann sich also voll auf das Lesen konzentrieren. Es gibt zwar Quellenangaben (auf drei Seiten), aber leider keinen Index. In der Einführung, überschrieben mit »Was hat es mit diesem merkwürdigen Buch auf sich?«, erläutert Ferrie seinen Plan, mit dem »Quantenbullshit« aufzuräumen. Es folgen acht Kapitel, die alle ein ähnliches duales Muster aufweisen: knallharte Fakten und deren perfide Verdrehung. O-Ton Ferrie: »Die Sache mit dem Quantenbullshit ist, dass er die ganze Zeit parallel zum … Sie wissen schon … zum Quanten-Nicht-Bullshit abläuft.« Es geht los mit »Verdammte Quantenenergie«, gefolgt von »Verflixte Materiewellen«. Dann gibt es einen Exkurs über Unbestimmtheit (»Wir haben keinen blassen Schimmer, was los ist«) und die unausweichliche »Elende Zombiekatze«. Hier kleben die »Bullshit-Erzähler hartnäckig wie getrockneter Mist an den Haaren am Hintern einer Katze«. Amüsant behandelt wird auch das Thema »Verschränkung« und natürlich Hugh Everetts »unendlich viele Welten«. Als Fachmann für »Quantum Software and Information« darf bei Ferrie auch der Quantencomputer nicht fehlen. Für ihn ist »die Technologieentwicklung ein komplexer Prozess, an dem sogar Psychologinnen und Psychologen beteiligt sind« – aber »bitte lass so etwas wie Quantenpsychologie nicht existieren«. Im letzten Kapitel »Was zur Hölle mache ich jetzt damit?« erreicht die Häufigkeit des Worts »Bullshit« ein Maximum (vielleicht hat Ferrie auch deshalb auf ein Sachregister verzichtet).

Die Sprache des Autors ist, wie aus den Zitaten ersichtlich, übertrieben locker-humorvoll und scheint eigentlich eher in die Sozialen Medien zu passen. Trotzdem wird eine gehörige Portion Wissen über Quantenphysik verabreicht, und die gnadenlose Abrechnung mit deren Missbrauch ist intelligent. Vielleicht ist Ferrie auch gerade deshalb der ideale Autor für das Thema (populär wurde er übrigens mit Werken wie »Astrophysik für Babys«). Provozierende Bücher über den grassierenden Unsinn in der Welt sind wichtig! (Der Rezensent selbst hatte das zweifelhafte Vergnügen, bei einem naturheilkundlichen Kongress vom Einsatz der »Quantenheilung« in der Fußpflege zu erfahren.) Dass Chris Ferrie die Gläubigen der Esoterikgemeinde bekehrt, darf bezweifelt werden. Auch Menschen, die mit »Quanten-Bullshit« Geld verdienen, dürfte das Buch weder interessieren noch inhaltlich erreichen. Umso mehr wünscht man ihm Leser, die sich für die Quantenphysik als seriöse Wissenschaft begeistern – wenn sie sich an seinen flapsigen Ton gewöhnt haben, kommen sie bei Chris Ferrie auf ihre Kosten.

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