Rätselhafte Fantasien
Träumt man in Schwarzweiß oder in Farbe? Die meisten Menschen kommen ins Grübeln, wenn man sie mit dieser Frage konfrontiert. Einigen Psychologen zufolge hängt die Antwort vor allem davon ab, ob man mit einem Schwarzweiß- oder einem Farbfernseher aufgewachsen ist. Vor der Erfindung von Fotografie, Film und Fernsehen seien Träume ausnahmslos bunt gewesen. Der niederländische Psychologe Douwe Draaisma verwirft diese Hypothese in seinem neuen Buch.
Laut Draaisma sprechen Psychologen und Psychotherapeuten erst seit den 1950er Jahren von schwarzweißen Träumen. Davor sei es üblich gewesen, sie als "grau" oder "schummrig beleuchtet" zu charakterisieren oder sie mit monochromen Zeichnungen zu vergleichen. Zudem sei in der gesamten abendländischen Malerei von der Antike bis zur frühen Moderne nicht zwischen schwarzweißen und farbigen, sondern zwischen monochromen und polychromen Werken unterschieden worden. Die Schwarzweißfotografie, so der Autor, habe streng genommen bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gar nicht existiert. Die Fotos jener Zeit hätten silbrig, rosa und gelb geschimmert. Erst seit sich die Farbfotografie durchgesetzt habe, spreche man auch von Schwarzweißbildern.
Wie die Träume, so die Sprache
Sich auf zahlreiche Studien stützend verweist Draaisma sodann darauf, was die statistische Analyse von Traumdaten zutage gefördert hat. Demnach tauchen die Parameterpaare Schwarz/Weiß, Rot/Grün und Blau/Gelb in Träumen am häufigsten auf. Die Sprachevolution habe sukzessiv Begriffe für genau diese Farben hervorgebracht. Träume seien jedoch mitnichten Filmvorführungen im Kopf, schreibt der Autor. Vielmehr entsprächen sie den vagen und schematischen Vorstellungen, die sich typischerweise beim Lesen eines Romans einstellen.
Der Psychologe geht auch auf andere Phänomene ein. So fantasieren wir im Schlummer häufig, ganz oder teilweise nackt unter wildfremden Menschen zu sein, die ihrerseits bekleidet sind und von der Situation merkwürdigerweise keine Notiz nehmen. An dieser Stelle brechen Nacktträume meist abrupt ab, und immer fehlt ihnen die Vorgeschichte, aus der man erfahren könnte, wo die Kleider geblieben sind. Was es mit diesem ungewöhnlichen Phänomen auf sich hat, ist nach wie vor nicht geklärt. Sigmund Freud vermutete, dass ihm der infantile Wunsch zugrunde liege, zur Nacktheit der frühen Kindheit zurückkehren zu können, was Draaisma für nicht schlüssig hält.
Weiterhin beschäftigt sich der Autor mit Flugträumen, Klarträumen und Prüfungsträumen. Er versucht sowohl Alb- wie sexuellen Träumen auf den Grund zu gehen. Zudem befasst er sich mit der Frage, worin sich die Träume Blinder von denen Sehender unterscheiden. Und er bemüht sich zu erschließen, in welcher Geschwindigkeit Traumereignisse ablaufen.
Draaisma wirft etliche Fragen auf, die nur stellen kann, wer mit der Geschichte der Traumforschung gut vertraut ist. Ein weiteres Mal erweist er sich als skeptischer Aufklärer, exzellenter Geschichtenerzähler und Rechercheur, der mit verblüffenden Erkenntnissen und Informationen aufwartet. Vorwerfen kann man ihm allenfalls, an einigen Stellen nicht genügend zwischen Träumen und Traumberichten zu differenzieren.
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