Genomfalle eher eine Falle für den interessierten Laien!
„Die Genomfalle“ ist gedacht als Sachbuch für den Laien. Die Autorin will (so der Untertitel) „die Versprechungen der Gentechnik, ihre Nebenwirkungen und Folgen“ kritisch analysieren und aufbereiten. Behandelt wird eine breite Palette von der Grundlagenforschung über diagnostische Methoden, medizinisch-kurative Verfahren bis zu industriellen Techniken. Fragt man Laien über ihre Meinung zur Gentechnologie, so wird man oftmals mit einer von zwei Extrempositionen konfrontiert: „Gentechniker können alles! Wenn wir nicht aufpassen, werden sie uns durchanalysieren, und bald laufen hier Menschen mit Kiemen oder 2 Köpfen rum!“ oder aber „Gentechniker können nichts! Die fischen doch nur im Trüben, das Leben ist viel zu kompliziert, als dass man es wirklich verstehen könnte. Wenn wir nicht aufpassen, werden die uns aus Versehen Monster züchten!“ Frau Fuchs vertritt letztere Ansicht, wie schon der Buchtitel ahnen lässt (gemeint ist die Falle, in die wir tappen, wenn wir uns auf „life science“ verlassen). Wobei sie allerdings z.B. auf Seite 161 bemerkenswerterweise beide Positionen gleichzeitig vertritt: Zunächst weist sie mit Süffisanz hin auf die immer noch offene Anzahl menschlicher Gene (Zitat: die Forscher gingen vor mit der „Verwegenheit der Ahnungslosen“), um zwei Zeilen weiter beim Menschen gezielte Optimierung von Schönheit, Gesundheit und Intelligenz zu prophezeien... Stil und Rhetorik: Semantisch ist das Buch leider ein kompletter Fehlgriff, die Autorin verwendet Schlagworte wie „Embryonen-TÜV“, „molekularbiologischer Lauschangriff“, „Durchleuchten à la Big Brother“, „Herr der Gene“, „Embryonenfarm“, „Genopoly“, „human body shop“, „der Mensch unter Qualitätskontrolle“, „Humanzüchtung“, „Menschenmaterial“ — um nur einige wenige zu nennen. Damit nicht genug! Auf Seite 133 erfahren wir, wie die biologischen Wissenschaften von Darwin über den Sozialdarwinismus geradewegs in die KZs der Nazis führten. In der Zeittafel im Anhang sind — rhetorisch geschickt — zwischen die historischen Meilensteine der Biologie immer wieder Ereignisse betreffend Nazi-„Rassenhygiene“ eingestreut, was den Eindruck erwecken soll, Genetik, Gentechnik, Sozialdarwinismus, Eugenik und Rassismus seien unlösbar miteinander verstrickt. Mehrfach klagt sie die gesamte Bioethik an, nichts weiter zu sein als Erfüllungsgehilfen und Lobbyisten von Wirtschaft und Forschung (S. 16, 131, 215ff — „Ethik zur Akzeptanzbeschaffung“) — offenbar gibt es für Frau Fuchs nur eine „gute und richtige Bioethik“, und zwar die totale Ablehnung und Verweigerung von jeglicher Biotechnologie — offenbar weiß sie nicht, wann und unter welchen Umständen „biomedical ethics“ entstanden sind. Ihren Stil jedenfalls kann man nur als Demagogie der übelsten Sorte anprangern. Der Aufbau: Die formalen Mängel sind mindestens so erheblich wie die semantischen. Abbildungen fehlen gänzlich, ebenso Tabellen oder Flussdiagramme, ein Stichwortregister ist auch nicht vorhanden. Ein erheblicher Teil der Zitate ist nicht nachprüfbar, weil es Metazitate aus Reden, Fernsehsendungen und Dissertationsschriften sind. Einige Behauptungen werden ohne Beleg und Verweis aufgestellt (u.a. S.19 Abs.3: der „Tod solle überwunden werden“, S.77 Abs.2: die Angaben über Alzheimer, S.90 Abs.2-4: zu den Ursachen von Krebs). Und schlimmer noch: Während der Leser in vielen der Kapitel mit Zahlen betreffend die wirtschaftlichen Aspekte der live science (übrigens ein Lieblingsthema der Autorin) im Fließtext erschlagen wird, erklärt sie nicht eine einzige der kritisierten Technologien. Wie funktioniert Präimplantationsdiagnostik? Was ist PCR, wie geht Sequenzierung? Was ist ein Gentest? Die sachliche Ebene: Inhaltlich ist das Buch eine Katastrophe. Nach der Lektüre regt sich der Verdacht, dass die Autorin nichts erklärt, weil sie in der Tat nur über mangelhafte bis ungenügende Sachkenntnis verfügt: Der Kontext, in dem DNA-Chip-Technologie auftaucht, lässt vermuten, dass Frau Fuchs gar nicht so recht weiß, was das ist (u.a. S.24 Abs.1; S.79 Abs.3). Die Begriffe „Gen“ und „Allel“ werden immer wieder durcheinander geworfen (u.a. S.24 Abs.1; S.92 Abs.1 “die falschen Gene“ — gemeint sind Allele, ebenso S 98 Zeile 3, S 109 „Langlebigkeitsgen“ — wenn schon, dann „-allel“; usw.). Stammzellen, so Frau Fuchs, könnten sich zum GANZEN MENSCHEN entwickeln (S.178 Abs1), und auf Seite 212-213 schwadroniert sie über „antibiotikaresistente VIRUS-Sorten“. Die Liste kann beliebig verlängert werden, wovon hier abgesehen sei... Argumentation und Logik: Auch hier sind die Schwächen nicht geringer. Zunächst fällt auf, dass Frau Fuchs nicht an einer einzigen Stelle ein gutes Haar an Genetik oder Gentechnik lässt. Solch eine fundamentalistische Einstellung ist in aller Regel Indikator für verbohrtes und sachlich unzutreffendes Denken, sei es in Politik, Wissenschaft oder Weltanschauung. Selbst mittlerweile altbewährte Dinge wie die gentechnologische Insulin-Produktion werden von ihr mit nicht nachvollziehbaren Begründungen verworfen (S.58-60). Es ist unmöglich, im Rahmen einer Rezension den dem Buch innewohnenden Unsinn komplett abzudecken, daher seien nur zwei Punkte abgehandelt: 1.: Somatische Gentherapie, so Frau Fuchs, erlebe „ein Desaster mit Schwerkranken und Toten“ (S.12) und sei im übrigen wirkungslos (S.44, 46,49). Auch hier fehlen weitgehend die Zahlen, des Weiteren wird keinerlei Unterscheidung getroffen zwischen in-vivo und ex-vivo Therapien. Ersteres findet im Patienten selber statt, im zweiten Fall entnimmt man ihm Stammzellen, die dann genetisch verändert und anschließend rücktransplantiert werden. Gerade letztere Methode hat bereits eine Vielzahl von Erfolgen gebracht und ist dabei, zur medizinischen Routine entwickelt zu werden (nähere Info z.B. unter http://213.80.3.170:80/trials/index.html). Darüber hinaus ist zu betonen, dass neue Therapien nur bewertet werden können, indem man sie mit anderen, etablierten vergleicht. Dass bei deren Einführung (bisweilen tödliche) Misserfolge gehäuft vorkommen, ist traurig, aber trivial. Des weiteren sind es gerade die „austherapierten“ Patienten, die sich oftmals zur Austestung neuer Verfahren zur Verfügung stellen, sei es als letzten Strohalm, sei es, um auf diese Weise wenigstens noch Mitmenschen helfen zu können. Die Heilungs- und Überlebenschancen sind unter solchen Umständen naturgemäß minimal. Einen aussagefähigen Vergleich der bisher erfolgten klinischen Gentherapie z.B. mit Chemotherapie, Organtransplantation oder Narkose sucht man bei Frau Fuchs jedoch vergeblich. 2.: Dass sich Frau Fuchs an vielen Stellen nicht auf eine einheitliche argumentative Linie einigen kann, wurde bereits angedeutet. An etlichen Stellen stellt sie fest, Gentests hätten keinerlei prädikativen Wert (u.a. S. 73, 76, 87). An andere Stellen jedoch zeichnet sie das diametral gegenteilige Bild der drohenden, erfolgreichen, genetischen Totalanalyse des Menschen (u.a. S.79, 107, 129, 195). Das ist die Logik: „Erstens habe ich den Rasenmäher meines Nachbarn gar nicht ausgeliehen, zweitens war er schon kaputt, als ich ihn bekam, und drittens war er ganz, als ich ihn zurück gab“. Das Zitat von S.129 ist übrigens besonders bemerkenswert, soll doch „bereits ein Blutstropfen der MUTTER für einen Gentest AM EMBRYO ausreichen“ — sollte Frau Fuchs etwa entgangen sein, dass bei der Zeugung eines Kindes ein männliche Spermium etwa zur Hälfte zum kindlichen Genom beiträgt, und dass man den väterlichen Beitrag mitnichten im mütterlichen Blut findet? Schlimm an Beiträgen wie dem besprochenen Buch ist, dass in solch kakophonem Geschrei fundamentalistischer Biotechnologiegegner wichtige Fragen zu verhallen drohen: Wohin sollen wir mit genetischen Testergebnissen, wenn wir die diagnostizierten Krankheiten nicht behandeln können? Wie ist das „Recht auf Nichtwissen“ einzustufen gegenüber einem Leben in erzwungener Unwissenheit? Was ist belastender, eine Diagnose, die mir mit hoher Wahrscheinlichkeit den unbehandelbaren erblichen Veitstanz (Chorea Huntington) voraussagt, oder ein Leben in Ungewissheit, nachdem ihn einer meiner Elternteile bereits hatte? Wie sind genetische Daten vor der Wirtschaft zu schützen, kann ein Kompromiss zwischen Interessen der Bürger einerseits und Arbeitgeber oder Versicherungen andererseits gefunden werden? (Fragen, die von der Autorin wenigstens andiskutiert wurden, wenn auch total einseitig). Oder weiter: Wird die Wertigkeit von Gentests nicht viel zu hoch eingeschätzt, da die Mehrzahl aller Erbkrankheiten auch rein klinisch fest gestellt werden kann? Wie also sind „Gen-Daten“ gegenüber anderen personenbezogenen Daten einzuschätzen, zu behandeln, zu schützen? Wollen wir — und wie können wir — in unserer schönen, neuen, globalisierten Welt verhindern, dass Gentests per Internet geordert werden, die Kunden mit den Ergebnissen dann aber alleine gelassen werden? Wie sieht es im Vergleich dazu mit dem Versandhandel von Medikamenten per World Wide Web aus? Solch differenzierte Betrachtung sucht man im Buch vergeblich... Fazit: Dieses Buch gehört zu den schlechtesten, die ich je gelesen habe. Interessant ist es lediglich für Wissenschaftshistoriker oder Linguisten, die vergleichende sprachliche Analysen fundamentalistisch-dogmatischer Literatur anstellen möchten.
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