Klimawandel: Artensterben: Der stumme Frühling
Jede Landschaft hat ihren eigenen Klang, hervorgebracht von Wasser und Wind, Tieren und Pflanzen. Das Video der New Yorker Filmproduktionsfirma Great Big Story begleitet den amerikanischen Soundlandschafts-Ökologen Bernie Krause in die Landschaft des kalifornischen Sugar Loaf State Park. Deren Klänge nimmt er seit 2004 regelmäßig auf. In seinem Heimstudio bereitet er die Mitschnitte auf und macht sie per Spektralanalyse auch sichtbar. Der ungewöhnliche Clip führt so in einen Sinnesbereich, der im Zeitalter des Visuellen meist unterrepräsentiert bleibt.
Bernie Krause ist gleich auf mehreren Gebieten ein echter Pionier. Er ist nicht nur ein Wegbereiter der elektronischen Musik, der unter anderem mit George Harrison und The Doors arbeitete. Seine Liebe zur Natur machte ihn Anfang der 1960er Jahre auch zum Forscher und Wegbereiter des Field-Recording. 50 Jahre lang reiste er um die Welt und zeichnete den Klang von Regenwäldern und Flussdeltas, Stränden und Korallenriffen auf.
Lange bevor einzelne Wissenschaftler die bis dahin übliche Aufzeichnung der Geräusche spezifischer Tierarten durch die Analyse ganzer Klanglandschaften zu ersetzen begannen, machte Krause eine Entdeckung: Die Soundfrequenzen verschiedener Arten scheinen sich nur wenig oder gar nicht zu überlappen. Er vermutete, dass Tiere in akustischen Nischen leben und sich so innerhalb ihrer Art verständigen und auch vor anderen verstecken können. Seine Klangnischenhypothese, die er 1987 erstmals publizierte, und seine Arbeit in der Natur führten Jahrzehnte später schließlich zur Etablierung des Forschungsfelds der Bioakustik und Klanglandschaftsökologie. Dem Stimmengewirr der Natur zu lauschen, gilt heute als zeitsparende Methode, um die Vielfalt der Arten eines Gebietes zu erfassen (siehe etwa den Spektrum.de-Beitrag Wissenschaftlicher Lauschangriff). Über die Jahrzehnte dokumentierte Krause so aber auch die fortschreitende Zerstörung von Habitaten, die sich im Klangverlust widerspiegelt.
Im Video nennt er das Schweigen der Natur während der – erst kürzlich zu Ende gegangenen – kalifornischen Dürre einen "stummen Frühling" und spielt damit auf Rachel Carsons Ökologieklassiker "Silent Spring" (dt. Titel: "Der stumme Frühling") an. Das Buch der US-Biologin und Wissenschaftsautorin von 1962 wird heute als Ausgangspunkt der amerikanischen Umweltschutzbewegung betrachtet. Seit seinem Erscheinen weiß man, dass der Zustand der Umwelt sich in ihren Klängen zeigt. Und dass eine Landschaft, die mit einer Überdosis synthetischer Pestizide behandelt wurde, deutlich anders klingt: Es fehlt merklich an Grillenzirpen, Hummelsummen und Vogelgesang.
Krause selbst stellte 2016 in einer Übersichtsarbeit zusammen, wie sich klimatische Veränderungen in Tierlauten widerspiegeln können. So haben etwa die steigenden Temperaturen im Zug des Klimawandels Einfluss auf die Ultraschall-Schreie von Fledermäusen. Hohe Frequenzen werden durch höhere Temperaturen stärker abgeschwächt und legen daher nur geringere Entfernungen zurück. In der Folge sind diejenigen Fledermausarten im Vorteil, die bei der Jagd Schreie tieferer Frequenzen ausstoßen und ihre Beute darum auf größere Distanz wahrnehmen können.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben