Genetik: Der Neandertaler in uns
Vor rund 30 000 Jahren ist der Neandertaler ausgestorben. Vermutlich wurde er verdrängt vom modernen Menschen, dem Homo sapiens, der vom afrikanischen Kontinent aus kommend ihr Land besiedelte – so lautete lange Zeit die gängige Meinung. Erst moderne Genomanalysen werfen ein neues Licht auf die Geschehnisse der Urzeit: Auch in der DNA heute lebender Menschen finden sich Elemente des Neandertaler-Genoms. Homo neanderthalensis und Homo sapiens sind sich also nicht nur begegnet, sie hatten auch gemeinsame Kinder. Doch wie viel Neandertaler-DNA steckt in uns? Das wüsste wohl kaum jemand besser als Professor Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er war einer der Wissenschaftler, die maßgeblich an der Entschlüsselung der ersten Neandertalergenome beteiligt waren. Rund zwei Prozent davon trägt ein heute lebender Mensch in sich, so Pääbo in dieser Kurzdokumentation von »BBC Earth«. Das Video des Filmemachers Pierangelo Pirak landete durchaus verdient auf BBC-Earths-»Best of 2016«-Liste. Es ist Teil einer umfassenderen, durchaus lohnenswerten Serie über Neandertaler.
Neben Pääbo werden drei weitere hochkarätige Wissenschaftler als Experten in das Video einbezogen: Clive Finlayson, Chris Stringer und Janet Kelso. Sie berichten aus erster Hand, wie die Paläogenetik, also die Analyse von DNA aus der Urzeit, Aufschlüsse über unsere Urahnen gibt. Ihre Schilderungen werden von aufwändigen, filmisch realen Animationen zum Leben erweckt. Manch ein Zuschauer mag sich fragen, wie wohl das Zusammenleben zwischen Neandertalern und den modernen Menschen ausgesehen haben mag. Eine Frage, die selbst die Experten bis heute nicht beantworten können. Waren es One-Night-Stands oder gar gemeinsame Sippschaften, die zur Durchmischung des Erbguts führten? Sicher ist nur, dass die Neandertaler deutlich in der Unterzahl waren. Gut möglich also, dass sie von den modernen Menschen integriert wurden.
Im kurzen Video bleiben natürlich einige Fragen offen: Wieso dauerte es so lange, bis es gelang, die Erbinformation der Neandertaler zu entschlüsseln? Mit der Zeit zerfällt die DNA, die sich aus Knochenfunden isolieren lässt, in kurze Segmente. Diese müssen wie Puzzlestücke richtig zusammengesetzt werden – etwa 30 Millionen von ihnen ergeben ein vollständiges Genom. Doch selbst das reicht nicht: Die Wissenschaftler benötigen mehrere Kopien, um Fehler bei der Zusammensetzung zuverlässig erkennen zu können. Etwa zehn Neandertalergenome wurden bisher entschlüsselt, das erste im Jahr 2010.
Übrigens war die Kreuzung sicher nicht einzigartig in der Menschheitsgeschichte. Auch Zeugnisse der Durchmischung mit so genannten Denisova-Menschen finden sich in der DNA. Genetisch vollständig kompatibel können die Menschenarten dennoch nicht gewesen sein: Obwohl zweifelsfrei bewiesen ist, dass sie fortpflanzungsfähige Nachkömmlinge zeugten, war die Fruchtbarkeit der männlichen Nachkömmlinge leicht reduziert. Dadurch verschwand ein Teil der Neandertaler-DNA wieder aus dem Erbgut des modernen Menschen. Hätte es auch anders kommen können? Mag sein. Wenn bloß die einsetzende Trockenzeit den Neuankömmlingen aus Afrika nicht zugespielt hätte – vielleicht wären wir heute Neandertaler! So spekuliert Finlayson in einem der sehenswerten folgenden Videos aus der BBC-Earth-Serie.
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