Parallelwelten: Sieht man in der kosmischen Hintergrundstrahlung andere Universen?
Ist unser Universum alles, was es gibt? Oder ist es nur eines von vielen weiteren Universen – und somit Teil eines Multiversums? Diese Frage wirft die moderne Physik seit Jahrzehnten in vielen Varianten auf. Und man möchte fast glauben: Wenn es schon so viele Theorien über das Multiversum gibt, müsste nicht zumindest eine Handvoll anderer Universen auch tatsächlich existieren?
Dieses Video des kanadischen Perimeter Institute for Theoretical Physics (PI) stellt vor, wie es gelingen könnte, über das Multiversum nicht nur zu spekulieren, sondern sein Vorhandensein mit Messdaten zu belegen. Nach einer von dem russischen Physiker Andrei Linde in den 1980er Jahren entwickelten kosmologischen Theorie entstand unser Universum als winziger Teil eines gewaltigen Fraktals. Ein solches auch als "selbstähnlich" charakterisiertes Gebilde weist Strukturen auf, die sich auf allen Größenskalen wiederholen, im Kleinen ebenso wie im Großen.
Eine dieser Strukturen könnte unser eigenes Universum sein. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass es sich unmittelbar nach seiner Entstehung zunächst überlichtschnell ausdehnte. Diese so genannte inflationäre Phase dauerte etwa 10-30 Sekunden und war damit unfassbar kurz. Trotzdem sind ihre Effekte bis heute sichtbar. Denn gemäß der Theorie sorgten erst die bei der Inflation im Raum entstehenden "Dellen" in der Raumzeit dafür, dass Materie an Orten stärkerer Schwerkraft zu verklumpen begann und sich in der Folge zu Planeten, Sternen und Galaxien formte.
Nun kommt Linde ins Spiel. Ihm zufolge gab es eine solche Inflation nicht nur einmal. Vielmehr ist unser Universum in ein riesiges so genanntes Inflatonfeld eingebettet, in dem es überall und immer wieder zur inflationären Entstehung neuer Universen kommt – winzige Blasen, die anfänglich rasant anwachsen, dann zu einem gemächlicheren Expansionstempo übergehen und neben unzähligen anderen das Multiversum bevölkern.
Dass sich Lindes theoretische Spekulation empirisch überprüfen lassen könne, führt Matthew Johnson vom Perimeter Institute hier mit Hilfe von Animationen sehr schön vor. Gemeinsam mit seinen Kollegen fahndet er in der kosmischen Hintergrundstrahlung nach entsprechenden Spuren. Die Wissenschaftler, die unter anderem mit Forschern des University College London und des Imperial College London zusammen arbeiten, gehen davon aus, dass sich einzelne Universen gegenseitig durchdringen würden, wenn sie aufeinander treffen. Dann aber würden in der Hintergrundstrahlung – eine heute noch messbare Strahlung, die in der Frühzeit des Universums emittiert wurde – kreisförmige Schnittmengen unserer Universums mit anderen Blasen sichtbar.
Schon seit 2011 präsentieren sie Studien wie diese, in denen sie die Hintergrundstrahlung modellieren – mal für Universen, die keinen Störungen ausgesetzt sind, mal für solche, die mit anderen Universen kollidiert sind. Per Algorithmus vergleichen sie die simulierte Hintergrundstrahlung schließlich mit realen Messdaten. Noch zeigen ihre Ergebnisse keine klare Tendenz, doch dank immer exakterer Messdaten dürfte sich dies in den kommenden Jahren ändern. Würden die gemessenen Daten dann eher dem Ergebnis eines Kollisionsszenarios entsprechen, wäre dies ein faszinierendes erstes Indiz für die Existenz eines inflationären Multiversums.
Doch es existieren weitere denkbare Spielarten der Multiversen-Idee. Eine davon, die von Lindes Idee völlig unabhängig ist, stellte in den 1950er Jahren der Quantenphysiker Hugh Everett in seinem "Viele Welten"-Ansatz vor. Vereinfacht gesprochen geht seine Theorie davon aus, dass sich das Universum bei jeder physikalischen Messung in weitere Universen aufspaltet, die danach parallel zueinander existieren und nie wieder miteinander interagieren. Mathematisch gesehen können sich Quantenobjekte nämlich an mehreren Orten zugleich befinden – erst, wenn man sie vermisst, "entscheiden" sie sich für einen bestimmten Ort. Die vielen Welten Everetts kommen zustande, weil unterschiedliche "Entscheidungen" der Quantenteilchen zu unterschiedlichen Universumsästen führen. So entsteht ein unendlich verzweigter gewaltiger Baum, an dem jeder Ast und jedes Zweiglein ein eigenes Universum darstellt.
Weil Everett auch makroskopische Objekte als Teil der Quantenwelt auffasst, müssten streng genommen selbst Menschen in der Lage sein, neue Universen hervorzubringen. Stehen wir etwa vor der Entscheidung, ein Stück Kuchen zu essen, lieber doch ein Buch zu lesen oder gar mit dem Hund herauszugehen, verzweigt sich das Universum in mehrere Äste. In einem geben wir unserer Lust auf Kuchen nach, in einem anderen freut sich der Hund.
Über eine weitere Art von Multiversum spekuliert die Stringtheorie. Diese geht davon aus, dass unser Universum nicht nur vier Dimensionen besitzt (drei Raumdimensionen und eine Zeitdimension), sondern eher zehn oder elf. Die zusätzlichen sechs oder sieben Raumdimensionen sind der Theorie zufolge winzig klein und zu "Dimensionsknäueln" gefaltet, die an jedem Raumzeitpunkt angeheftet sind. Entscheidend ist dabei, wie sie genau gefaltet sind, denn davon hängt das Erscheinungsbild der großen Dimensionen ab. Da die Stringtheorie etwa 10500 mögliche Weisen der Dimensionsfaltung kennt, sind auch etwa 10500 verschiedene Arten "großer" Dimensionen denkbar – und damit 10500 möglicherweise recht verschieden aussehende Universen.
Dass sie denkbar sind, belegt zwar nicht ihre tatsächliche Existenz. Doch andererseits kennen die Physiker keinen Mechanismus, der erklären würde, warum gerade unser Universum aus 10500 Varianten "ausgelost" wurde, um als einziges auch Realität anzunehmen. Einen solchen "Zufall", den sie nicht begründen können, betrachten sie mit Misstrauen. Lieber verwerfen sie seine Rolle. Dann aber folgt logisch zwingend: Nicht nur unser eigenes Universum ist entstanden, sondern auch sämtliche seiner Varianten, die nun gleichberechtigt in einem gewaltigen Multiversum nebeneinander her existieren.
Überprüfbare Beweise sind uns sowohl die Stringtheoretiker als auch Hugh Everett schuldig geblieben. Anders Andrei Lindes Vorstellung von einem inflationären Multiversum: Er hat uns die einzige Theorie geliefert, die wir – zumindest im Prinzip – auch empirisch nachweisen könnten.
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