Wespen: Sommerplage mit Alien-Verwandtschaft
Ich kann mich nicht überzeugen, dass ein wohlmeinender & allmächtiger Gott die Schlupfwespen mit der ausdrücklichen Absicht schuf, dass sie im Inneren der lebenden Körper von Raupen fressen."
Dies schrieb Charles Darwin 1860 an seinen Freund Asa Gray, einen renommierten Botaniker. Die Ernährungsweise der Wespen sei zu grausam, um Teil von Gottes Plan zu sein – mithin sei sie anders entstanden, eben durch die von ihm selbst vorgeschlagene "natürliche Zuchtwahl". Aus Darwins Argument spricht der Schrecken über die grausige Vermehrungsstrategie der meisten Wespen: Ihre Larven wachsen im Inneren eines Wirtstiers heran und fressen ihr Opfer bei lebendigem Leib auf – oft beginnend bei nicht lebenswichtigen Organen, damit ihr Unterschlupf möglichst lange lebt. Am Ende ihrer Jugend bohren sie sich, wie das Alien aus der gleichnamigen Filmreihe, durch den sterbenden Körper ins Freie.
Dagegen sind die uns vertrauten Wespen fast harmlos: Die schwarz-gelb geringelten Plagegeister, von denen wir vor allem die so genannten Kurzkopfwespen Gemeine Wespe (Vespula vulgaris) und die Deutsche Wespe (Vespula germanica) kennen, bilden Kolonien und ziehen ihren Nachwuchs in Waben groß, ähnlich wie Bienen. Beide Wespen sehen sich sehr ähnlich, die Deutsche Wespe hat allerdings zusätzlich drei schwarze Punkte im Gesicht, woran man sie leicht von der Gemeinen Wespe unterscheiden kann.
Warum kommen Wespen vor allem im Spätsommer?
Die Kurzkopfwespen sind quasi der unschöne Abschiedsgruß des Sommers: Etwa ab Mitte August sind die beiden Vespula-Arten prompt zur Stelle, wenn man im Freien etwas Süßes oder Herzhaftes isst. Tatsächlich sind diese beiden Arten die Langschläferinnen unter den Wespen – ihre Verwandten, die Papierwespen, Feldwespen und Hornissen, verlassen ihre Nester schon im September. Von diesen so genannten Langkopfwespen bekommen wir selbst auf dem Höhepunkt ihres Koloniezyklus nur wenig mit, denn sie halten Abstand von Menschen.
Die junge Kurzkopfwespenkönigin verbringt den gesamten Winter in einem geeigneten Schlupfwinkel. Sie liegt in einer Kältestarre, in der sie sehr wenig Energie verbraucht. Erst im März oder April verlässt sie ihr Versteck und sucht einen geeigneten Platz für die neue Kolonie. Als Baumaterial verwendet sie einen Brei aus Speichel und morschem Holz, das sie von verrottenden Baumstämmen abraspelt.
Aus diesem Brei formt sie zuerst eine Art Zapfen, an dem das zukünftige Nest hängen wird, und daran konstruiert sie eine mit Waben besetzte Platte, die wiederum eine glockenförmige Hülle vor Nässe und extremen Temperaturen schützt. An die Wand jeder Wabe legt die Königin je ein Ei. Speziell im Frühling, wenn das Nest noch klein ist, muss die Königin einigen Aufwand betreiben, um zu verhindern, dass die Larven zu kalt oder zu heiß werden.
Zum Kühlen transportiert sie Wasser ins Nest, Wärme erzeugt sie mit ihren Flügelmuskeln. Die Larven müssen natürlich auch gefüttert werden – sie bekommen eiweißreiche Insektenkost, während die Königin, wie alle erwachsenen Wespen, vor allem pflanzliche Kohlenhydrate zu sich nimmt. Die Larven verpuppen sich nach zwei bis drei Wochen, und nach weiteren zwei Wochen schlüpft die erste Wespengeneration – etwa Mitte Juni. Die frisch geschlüpften Arbeiterinnen lösen die Königin nun bei der Nahrungssuche und anderen Aufgaben rund ums Nest ab, so dass die sich ausschließlich ums Eierlegen kümmern kann. In dieser Phase wächst die Wespenkolonie am schnellsten.
Im Spätsommer kommen dann mehrere Faktoren zusammen, die zur Konfrontation zwischen Mensch und Wespe führen: Die Versorgung mit Nektar und anderen süßen Pflanzensäften nimmt langsam ab, während im Gegenzug die Kolonien mit bis zu 9000 Brutkammern am größten sind. Außerdem werden nun, gegen Ende des Koloniezyklus, die großen Waben für die zukünftigen Königinnen und Männchen angelegt – diese brauchen besonders viel Futter, so dass die Arbeiterinnen mehr sammeln müssen und damit selbst mehr Energiereiches brauchen. Und in den meisten Regionen Deutschlands ist die beste Quelle für süßes Obst nicht mehr die Streuobstwiese, sondern der Pflaumenkuchen.
Nach dieser Blütezeit geht es mit der Kolonie zu Ende: Vermutlich wird die Königin krank oder stirbt, jedenfalls fliegen die Arbeiterinnen nur noch unregelmäßig zu Versorgungsflügen aus, es wächst keine neue Brut nach, und die Kolonie stirbt. In Australien und Neuseeland können Kolonien der Deutschen Wespe allerdings bei mildem Klima den Winter überleben und deutlich größere Nester bilden als in Europa.
Wie wird man Wespen wieder los?
Von den in Deutschland beheimateten Wespen sind nur zwei Arten wirklich lästig: Die Gemeine Wespe (Vespula vulgaris) und die Deutsche Wespe (Vespula germanica) bilden große Kolonien und können Menschen, die Süßes oder Fruchtiges dabeihaben, regelrecht mobben. Bei ihnen stellt sich meist erst einmal die dringliche Frage, wie man die stachelbewehrten Raubtiere vom eigenen Marmeladenbrot fernhält. Zum Glück sind Wespen auf Nahrungssuche meist nicht aggressiv, zumindest nicht von sich aus. Sie mögen schlicht das Gleiche wie wir; wenn die Situation eskaliert, liegt das meistens an der überzogenen menschlichen Reaktion. Deswegen ist die Devise bei Wespen: keine Panik. Nach Wespen sollte man nicht schlagen oder wedeln, schon gar nicht mit der Hand – dadurch fühlen sie sich bedroht und stechen. Auch Anpusten ist eher ungünstig, denn die Insekten nehmen das Kohlendioxid im Atem als Alarmsignal wahr und gehen in Verteidigungshaltung.
Fachleute empfehlen stattdessen, die Wespe mit der Hand oder einer Serviette von Lebensmitteln wegzuschieben und alle süßen Lebensmittel konsequent abzudecken – bei Kuchen hilft übrigens ein Schokoladenüberzug, denn Wespen mögen Schokolade nicht. Bewährt haben sich zusätzlich Ablenkungsköder am anderen Ende des Gartens, idealerweise mit reifen oder überreifen süßen Früchten wie Trauben und Bananen. Mit Insektiziden dagegen sollte man den Tieren schon aus Rücksicht auf die eigene Gesundheit nicht zu Leibe rücken.
Ob ein Wespennest entfernt werden muss, hängt vom Einzelfall ab – relativ kleine, offen sichtbare Nester gehören zu harmlosen Feldwespenkolonien oder gar einzeln lebenden Wespen. Diese Tiere halten sich von Menschen und ihren Lebensmitteln fern, so dass von ihnen keine Bedrohung ausgeht. Allgemein sind Wespen eine Bereicherung für jeden Garten, weil sie viele Arten von Insekten jagen und so auch Schädlinge vernichten. Die meisten Arten sind außerdem in Deutschland geschützt und dürfen nur in Sonderfällen beseitigt werden. Die beiden lästigen Wespenarten Vespula vulgaris und Vespula germanica dagegen bauen ihre Nester in Hohlräumen wie Verschalungen und Jalousienkästen – und diese Konstruktionen können bis zu zwei Meter Umfang erreichen. Entsprechend sollte man von ihnen mehrere Meter Abstand halten. Nur wenn das nicht möglich ist, allergische Personen im Umfeld leben oder das Nest Gebäude und technische Anlagen gefährdet, muss ein Nest umgesiedelt oder beseitigt werden. Das sollten allerdings Fachleute machen: Bei einem Angriff auf ihr Zuhause werden auch wenig aggressive Arten ungehalten.
Kann man an Wespenstichen sterben?
Etwa drei Prozent der Bevölkerung sind gegen das Gift von Wespen oder Bienen allergisch – für sie besteht bei einem Stich akute Lebensgefahr. Eine allergische Reaktion zeigt sich zum Beispiel in einer starken Schwellung nahe der Einstichstelle, Hautausschlag, Atemnot oder Kreislaufproblemen. Schlimmstenfalls droht ein anaphylaktischer Schock. Allergien gegen Bienenstiche sind häufiger, ältere Erwachsene über etwa 40 Jahren haben generell ein etwas höheres Allergierisiko gegen Insektenstiche.
Für alle anderen Menschen sind die Stiche unserer hiesigen Wespen zwar schmerzhaft, aber harmlos. Auch die oft gefürchteten Hornissen sind nicht in der Lage, einen Menschen ernsthaft zu verletzen – ihr Gift ist sogar weniger toxisch als das von Bienen oder anderen Wespen. Allerdings ist ihr Stachel mit etwa 3,5 Millimetern deutlich länger und auch dicker als der anderer Wespen, und ihr Gift enthält mehr schmerzerzeugende Signalstoffe wie Azetylcholin, deswegen sind ihre Stiche deutlich unangenehmer. Trotzdem wären mehrere tausend Hornissenstiche nötig, um einen Menschen zu töten: Die Hornisse injiziert mit jedem Stich etwa ein halbes Milligramm Gift, und Versuche an Mäusen zeigen, dass ein Mensch mehrere zehntel Gramm der Toxine aufnehmen muss, um in Gefahr zu geraten.
Bei einigen tropischen Wespen- und Hornissenarten können nach mehreren Stichen aber durchaus kritische Giftmengen erreicht werden. Die Asiatische Riesenhornisse zum Beispiel tötete im Jahr 2013 in China einige Dutzend Menschen und verletzte Hunderte ernsthaft. Solche Vorfälle sind jedoch selten im Vergleich zu allergischen Reaktionen, wegen denen allein in Deutschland jährlich etwa 3000 Menschen ärztliche Hilfe benötigen – allerdings in den allermeisten Fällen ohne tödliche Folgen.
Woraus besteht Wespengift?
Obwohl in Abwesenheit einer Allergie harmlos, ist das Gift von Wespen und Hornissen ein spannendes Gemisch aus kleinen Signalstoffen, kurzkettigen Peptiden und einigen großen Enzymen mit verschiedenen Funktionen. Das schon erwähnte Azetylcholin aktiviert zusammen mit Serotonin die Schmerzsensoren in der Haut sehr stark, zusätzlich sorgt Serotonin dafür, dass sich die Gefäße in der betroffenen Zone zusammenziehen und das Gift nicht durch Blut verdünnt oder abtransportiert wird. Die beiden Stoffe machen zusammen etwa fünf Prozent der Trockenmasse des Giftes aus. In kleineren Mengen enthaltene Stoffe wie Noradrenalin verstärken diesen Effekt. In diese Gruppe gehört wohl auch eine etwas mysteriöse Klasse von Peptiden, die der Wespen-Kinine.
Außerdem schädigt das Wespengift lokal das Gewebe und löst eine Entzündungsreaktion aus: Das Wespengifttoxin Mastoparan, eine ganze Klasse von Eiweißen, regt Immunzellen an, Histamin auszustoßen, was den lokalen Schmerz weiter verstärkt. Die ebenfalls enthaltenen Phospholipasen greifen die Lipide der Zellwand an, während das Enzym Hyaluronidase die Stützstrukturen des Gewebes außerhalb der Zellen zerlegt. Das Ergebnis ist eine lokale Entzündung mit Schwellung, Rötung und mit, gemessen an der Schwere der eigentlichen Wunde, erstaunlich intensiven, vergleichsweise lang anhaltenden Schmerzen. So können Wespen sich auch bei deutlich größeren Tieren – wie zum Beispiel uns Menschen – Respekt verschaffen, eine Strategie, die offensichtlich gut funktioniert.
Die wahren Stachel-Akrobaten sind jedoch die zu Anfang erwähnten Schlupfwespen, die ebenfalls Insekten jagen, sie aber nicht sofort töten, sondern als lebenden Nahrungsvorrat für ihre Brut nutzen. Diese Wespen sind weder echte Raubtiere noch echte Parasiten, ihre Beute lebt noch eine ganze Weile weiter, während sie von innen verzehrt wird. Deswegen bezeichnet man sie als "parasitoid". Diese parasitoiden Wespen sind vermutlich mit bis zu zwei Millionen Arten die vielfältigste Tiergruppe der Welt.
Einige dieser Arten haben ausgeklügelte Mechanismen entwickelt, um mit Hilfe des Giftes ihre Opfer zu lähmen, willenlos zu machen und sogar ihr Verhalten in bizarrer Weise zu verändern. Ihr Giftstachel ist ein weitaus spezialisierteres Organ als der harte Stachel der oben beschriebenen Kurzkopfwespen – ein so genannter Ovipositor, der auch die Eier der Wespe positioniert. Bei einigen Wespenarten trägt dieses Organ Sinnesrezeptoren, damit das Tier Gift und Ei präzise dort hinbringen kann, wo sie hinmüssen.
Das bekannteste Beispiel für akkuraten Ovipositor-Einsatz ist vermutlich die Juwelwespe Ampulex compressa, die eine Kakerlake zweimal sticht – das erste Mal in den Hinterleib, um das Opfer kurzzeitig zu lähmen, das zweite Mal in einen spezifischen Nervenknoten im Kopf, wo das injizierte Toxin den Fluchtreflex ausschaltet. Auf die so willenlos gemachte Kakerlake legt die Wespe ein Ei. Die geschlüpfte Larve bohrt sich in die Kakerlake und frisst sie von innen heraus.
Die Kohlweißlings-Brackwespe dagegen verfährt anders: Sie legt mit ihrem Stachel etwa 20 Eier in die Raupen des Kohlweißlings. Die Larven ernähren sich von der Hämolymphe ihres Wirts, rühren die Organe aber nicht an. Das Opfer wird nämlich, nachdem sich die Wespenlarven nach draußen gebohrt und verpuppt haben, den Parasitennachwuchs noch in einen schützenden Kokon einspinnen, bevor es verendet. Bemerkenswert an der Brackwespe ist, dass sie selbst auf die gleiche Weise parasitiert wird – von anderen Wespen. Diese so genannten Hyperparasitoide stechen ebenfalls die Schmetterlingsraupen, ihr Nachwuchs sucht jedoch die Larven der Brackwespe und frisst wiederum diese von innen her auf.
Welche ökologische Bedeutung haben Wespen?
Parasitoide Wespen sind die bedeutendsten natürlichen Feinde nahezu aller anderen Insekten. Einige Arten jagen sogar Spinnen. Diese Verfolgung hat – ganz analog zur klassischen Räuber-Beute-Dynamik – enorme Auswirkungen auf die Populationsdichte ihrer Wirtstiere. Bei einigen bedeutenden Schädlingen gehen Fachleute davon aus, dass sie sich ohne parasitoide Wespen sofort massiv vermehren würden. Dafür spricht der Anteil der parasitierten Larvenstadien zum Beispiel beim Kohlweißling, der nach Studien im Freiland unter Umständen 95 Prozent betragen kann. Dank dieser effektiven Kontrolle setzt man parasitoide Wespen auch als biologische Schädlingsbekämpfungsmittel ein.
Auch die uns vertrauteren Kurzkopfwespen, Hornissen und Feldwespen in unseren Breiten vernichten beträchtliche Mengen anderer Insekten. Bei ihnen kommt hinzu, dass sie große Kolonien bilden. Entsprechend hoch ist ihr Nahrungsbedarf. Ein Garten mit einem Hornissennest ist vor sechsbeinigen Pflanzenschädlingen gut geschützt.
Möglicherweise gäbe es ohne Wespen sogar keinen Wein. Wie wir heute wissen, überleben jene natürlichen Hefen, die einst auf Weintrauben die Gärung in Gang setzten, den Winter im Darm von Wespen. Ihr Nachwuchs trägt die Pilze in der nächsten Saison wieder an die Reben, so die Hypothese.
Eine weitere unterschätzte Funktion der Wespen ist jene als Bestäuber vieler Pflanzen. Die meisten parasitoiden Wespen fressen nur im Larvenstadium tierische Nahrung; als erwachsene Tiere ernähren sie sich von Nektar und Pollen. Feigen sind sogar eine symbiotische Beziehung mit Wespen eingegangen, die sich innerhalb der Früchte vermehren und sogar paaren, bevor sie sich daraus befreien und samt Pollen zur nächsten Pflanze fliegen. Die von ihnen bestäubten Feigen werden auch zu ihrer letzten Ruhestätte – sie enthalten in ihrem Inneren die mumifizierten Überreste der spezialisierten Wespen.
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