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Der Mathematische Monatskalender: Johannes Werner (1468–1522): Pfarrer und Mathematiker

Noch vor Tycho Brahe entdeckt Johannes Werner Additionstheoreme für trigonometrische Funktionen, die astronomische Berechnungen vereinfachen.
Johannes Werner

Im Jahr 1472 wurde in Ingolstadt die erste Universität Bayerns durch Herzog Ludwig IX. von Bayern-Landshut gegründet. Nach der Kirchenspaltung ab 1530 entwickelte sich die Hochschule unter dem Einfluss des Jesuitenordens zu einem der Zentren der Gegenreformation. Kurfürst Maximilian, der spätere bayerische König Maximilian I, verlegte 1800 die Universität zunächst nach Landshut, dann nach München – seit 1802 trägt sie den heutigen Namen: Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).

1484 schreibt sich der in Nürnberg geborene 16-jährige Johannes Werner an der theologischen Fakultät der Ingolstädter Hochschule ein. Auch wenn es von Kind an sein Wunsch gewesen ist, Mathematiker zu werden, verfolgt er nun doch konsequent den Weg zum Priesterberuf: 1490 wird er als Kaplan in Herzogenaurach tätig, verbringt einige Jahre in Rom, wechselt 1498 an eine Pfarrei in Wöhrd bei Nürnberg, bis er schließlich Pfarrer der Johanniskirche in Nürnberg wird. Die Pflichten dieses Amtes nimmt er gewissenhaft bis zu seinem Tod wahr.

Seine Zeit in Rom hatte Werner bereits zu intensiven Studien der Mathematik und der Astronomie genutzt. Nach Nürnberg zurückgekehrt, vertieft er sich in eigene Forschungen. So beobachtet er im Jahr 1500 die Bewegung eines Kometen, führt Messungen mit selbst gebauten Instrumenten aus und dokumentiert alle Daten mit Sorgfalt. Mit großem Geschick baut er Astrolabien (Sternhöhenmesser) und Sonnenuhren, konstruiert einen besonderen Jakobstab mit Winkeleinteilung.

1514 erscheint Werners Übersetzung der »Geographia« des Claudius Ptolemäus (»In Hoc Opere Haec Continentur Nova Translatio Primi Libri Geographicae Cl. Ptolomaei«). Zusätzlich zu umfangreichen Kommentaren entwickelt er eigene Ideen, die in Astronomie und Geografie angewandt werden können.

Johannes Werner erläutert in seinem Werk, wie man den Längengrad eines Ortes mit Hilfe von Messungen bei einer Mondfinsternis bestimmen kann (ähnlich wie Regiomontanus in seinen »Ephemerides« aus dem Jahr 1474). Auch entwickelt er eine Methode, mit der man aus der Stellung des Mondes in Bezug auf den Sternenhimmel die wahre Ortszeit ermittelt und hiermit dann die geografische Länge des Beobachtungsorts berechnet.

Diese Idee wird 1524 von Peter Apian aufgegriffen (1495–1552, eigentlich Peter Bennewitz; apis (lateinisch) = Biene), ohne dass Apian in seinem Werk »Cosmographicus liber« auf Werners Urheberschaft hinweist, was in dieser Zeit nicht unüblich ist. (Apian wird 1527 Professor für Mathematik in Ingolstadt. Sein Werk wird von Gemma Frisius (1508–1555) weitergeführt.)

Um 1500 hatte Johannes Stabius, Professor für Mathematik in Ingolstadt, ab 1502 in Wien, eine besondere Projektionsmethode entwickelt – es war die erste, die eine flächentreue Darstellung der Erdkugel ermöglichte. Zwar hatte bereits 1507 Martin Waldseemüller diese Methode für seine berühmte Weltkarte übernommen, aber erst durch Werners Kommentare in dem 1514 erschienenen Werk wird diese herzförmige Projektion allgemein bekannt. Heute wird sie bei uns als Stab-Werner-Projektion bezeichnet; in anderen Ländern wird nur Werner als Erfinder der Methode genannt.

Typisch für seine Zeit ist, dass Werner – trotz seines Priesteramts – Horoskope für vermögende Bürger erstellt. In seinen Wettervorhersagen stützt er sich zwar auch auf meteorologische Beobachtungen; aber manche ähneln eher den Horoskopen. Gegen Bezahlung übersetzt er die »Elemente« des Euklid ins Deutsche und ergänzt sie durch Anwendungsbeispiele. Vor allem beschäftigt sich Werner mit Kegelschnitten und mit Problemen der sphärischen Trigonometrie.

Um 1510 entdeckt er die Beziehung \(2 \cdot \sin(\alpha) \cdot \sin(\beta)\) \(= \cos (\alpha- \beta)\) \(- \cos(\alpha + \beta);\) im englischsprachigen Bereich werden diese und die analog gebildeten Gleichungen als »Werner formulas« bezeichnet:

\[ \begin{split} 2 \cdot \cos(\alpha) \cdot \cos(\beta) &= \cos (\alpha- \beta) + \cos(\alpha + \beta), \\ 2 \cdot \sin(\alpha) \cdot \cos(\beta) &= \sin (\alpha- \beta) + \sin(\alpha + \beta),\\ 2 \cdot \cos(\alpha) \cdot \sin(\beta) &= \sin (\alpha+ \beta)- \sin(\alpha – \beta) \end{split} \]

Inwieweit Werner tatsächlich erkannt hat, dass man diese Gleichung auch dazu verwenden kann, die Multiplikation zweier Zahlen durch eine Addition beziehungsweise Subtraktion von Zahlen zu ersetzen, siehe unten, lässt sich nicht mehr vollständig klären.

Für das vierbändige Werk »Ioannis Verneri Norimbergensis de triangulis sphaericis« findet er keinen Verleger, aber verschiedene Abschriften kommen in Umlauf.

Werners hinterlassene Schriften werden 1542 an Georg Joachim Rheticus übergeben, der sie 1557 in Krakau drucken lässt. Hierdurch angeregt fasst Rheticus den Entschluss, selbst ein umfassendes Werk zur Trigonometrie zu verfassen, einschließlich eines Tafelwerks der sechs trigonometrischen Funktionen (sin, cos, tan und deren Kehrwertfunktionen, mit einer Schrittweite von 10"). Diese Tabellen werden aber erst Jahrzehnte nach seinem Tod von seinem Schüler Valentin Otho fertig gestellt und 1596 veröffentlicht (»Opus palatinum de triangilis«). (Rheticus war ein Schüler von Nikolaus Kopernikus; während seiner Zeit in Frauenburg konnte er diesen überzeugen, sein Hauptwerk »De revolutionibus orbium coelestium« endlich drucken zu lassen, was dann 1543 in Nürnberg erfolgte.)

Um 1580 entwickelt Tycho Brahe zusammen mit Paul Wittich das weiter unten beschriebene Rechenverfahren der »Prosthaphaeresis« (griechisch: prosthesis = Addition, aphaeresis = Subtraktion). Ob Brahe die hierfür benötigte Gleichung selbst gefunden oder ob er das Manuskript Werners gekannt hat, lässt sich nicht mehr klären.

Das erste Buch, in dem das Verfahren erläutert wird, erscheint 1588 und stammt von Nicolaus Reimers. Dieser hatte Brahe 1584 in dessen Sternwarte in Dänemark besucht und vermutlich sofort die Bedeutung der Methode erkannt. Brahe ist über die Veröffentlichung so erbost, dass er Reimers verklagt; die juristischen Auseinandersetzungen enden erst mit Reimers Tod. Der Beweis der oben angegebenen Gleichungen erfolgt schließlich durch Jost Bürgi, mit dem Reimers zeitweise in der Sternwarte in Kassel zusammenarbeitet und für den er das Hauptwerk des Kopernikus ins Deutsche übersetzt (da dieser das Lateinische nicht beherrscht).

Man kann es heute kaum noch nachempfinden, dass die Methode der »Prosthaphaeresis« eine Arbeitserleichterung für astronomische Berechnungen darstellte; der Zeitraum, in dem sie tatsächlich genutzt wurde, umfasst gerade einmal 30 Jahre – bis John Napier 1604 die Logarithmen erfindet, die über 350 Jahre das Rechnen erleichtern.

Um eine Multiplikationsaufgabe zu lösen, dividiert man zunächst die beiden Faktoren durch geeignete Zehnerpotenzen, bestimmt dann mit Hilfe einer Sinus-Tabelle jeweils den zugehörigen Winkel und schlägt den Kosinus des Differenz- beziehungsweise Summenwinkels nach; schließlich wird die halbe Differenz der Kosinuswerte mit den oben gewählten Zehnerpotenzen multipliziert. Die Genauigkeit des Ergebnisses hängt offensichtlich von der Qualität und von der Stellenzahl der trigonometrischen Tabellen ab.

Johannes Werner (1468-1522)

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