Schlichting!: Schmelzende Eisberge
In Zeiten der Klimaerwärmung ist oft davon die Rede, wie sich das global schwindende Eis auf die Pegelstände der Weltmeere auswirkt. Dabei geht es meist nur um Schmelzwasser oder Eis, das vom Festland in die Ozeane gelangt. Implizit oder sogar explizit unterstellen viele, das bereits auf dem Wasser driftende Eis erhöhe durch sein Auftauen den Meeresspiegel nicht weiter. Typischerweise lautet das Argument, ein Eisberg enthalte schließlich immer gerade so viel gefrorenes Wasser, wie er flüssiges verdränge – quasi ein Nullsummenspiel.
Zur Veranschaulichung dient dann häufig ein einfaches Freihandexperiment: Man setze einen Eiswürfel in ein randvoll mit Wasser gefülltes Glas. An dieser Füllhöhe ändert sich nichts, während der Eiswürfel auftaut und schließlich ganz zerlaufen ist. Man könnte sogar fragen, ob der Versuch überhaupt durchgeführt werden muss. Ergibt sich der Ausgang nicht bereits aus den bekannten Eigenschaften des Wassers beim Übergang zwischen den Aggregatzuständen?
Die Würde, die in der Bewegung eines Eisbergs liegt, beruht darauf, dass nur ein Achtel von ihm über dem Wasser ist«Ernest Hemingway, 1899–1961
Eis schwimmt überhaupt nur, weil Wasser im Unterschied zu den meisten anderen Stoffen beim Abkühlen nicht einfach immer dichter wird, sondern sich unterhalb einer Temperatur von vier Grad Celsius wieder ausdehnt. Zwischen den Molekülen bilden sich dann über so genannte Wasserstoffbrücken zunehmend Strukturen, die vergleichsweise viel Platz einnehmen. In der Flüssigkeit passiert das bereits zum Teil, und im Kristall ist diese raumgreifende Ordnung perfekt. Während ein Kubikzentimeter flüssiges Wasser bei null Grad eine Masse von rund 1 Gramm besitzt, sind es beim gleichen Volumen Eis nur etwa 0,92 Gramm. Daher sinkt der Eiswürfel auch nicht ganz ins Wasser ein, sondern ein Teil von etwa neun Prozent seines Volumens ragt heraus. Demgegenüber geht beispielsweise ein Klumpen festen Kerzenwachses in flüssigem Wachs unter.
Um das auch quantitativ zu verstehen, hilft das so genannte archimedische Prinzip: Auf einen eintauchenden Gegenstand wirkt eine Auftriebskraft, die dem Betrag nach der Gewichtskraft der verdrängten Flüssigkeit entspricht. Für die weitere Argumentation kann man mit der Masse der beteiligten Objekte rechnen, da die Kräfte gleich dem Produkt aus der Masse und der konstanten Erdbeschleunigung sind.
Wenn wir einen Eiswürfel von zehn Gramm und damit einem Volumen von etwa 10 Gramm / 0,92 Gramm pro Kubikzentimeter = 10,9 Kubikzentimeter ins Wasserglas setzen, verdrängt er nach dem archimedischen Prinzip genau zehn Gramm Wasser. Sobald er schmilzt, nimmt seine Dichte zu und sein Volumen ab, bis dieses ebenso groß ist wie das des ursprünglich verdrängten Wassers. Das Niveau wird sich also nicht ändern.
Doch die Situation von Eisbergen im Meer ist eine andere – schließlich schwimmen sie in Salzwasser. Um das Experiment entsprechend zu modifizieren, müssen wir nunmehr solches anstatt Süßwasser ins Glas füllen. Ein Eiswürfel von zehn Gramm wird abermals eine Masse von zehn Gramm Salzwasser verdrängen. Aber wegen dessen größerer Dichte (beim Oberflächenwasser der Meere sind es im Durchschnitt 1,026 Gramm pro Kubikzentimeter) ist das verdrängte Volumen geringer, nämlich etwa 9,7 Kubikzentimeter. Der Würfel ragt also ein wenig weiter heraus. Wenn er schmilzt, fügt er der Flüssigkeit trotzdem seine ganzen zehn Kubikzentimeter Wasser hinzu, weshalb das Volumen um knapp 2,6 Prozent wächst und der Spiegel entsprechend ansteigt.
Ein Stück Arktis im Wasserglas
Der Effekt ist umso ausgeprägter, je mehr Salz anfangs im Wasser gelöst war. Hausmittel verschaffen leicht einen experimentellen Eindruck davon: Bei einem Versuch befand sich ein Eisblock von 90 Gramm in einem zylindrischen Glas mit einem Durchmesser von 5,7 Zentimetern in Salzwasser mit einer Dichte von 1,2 Gramm pro Kubikzentimeter (100 Gramm Salz vollständig in 500 Gramm Wasser aufgelöst). Nachdem das Eis geschmolzen war, betrug der Höhenunterschied 1,3 Millimeter (da das Wasser das Glas benetzt, entsteht ein Meniskus; die Messung orientiert sich an dessen unterem Rand). Ein solcher Anstieg war – im Rahmen der Messgenauigkeit – rein rechnerisch zu erwarten. Der Effekt ist sehr klein, trotz der wesentlich größeren Salzkonzentration als im Meerwasser.
Doch lässt sich das überhaupt auf einen Anstieg des Meeresspiegels durch schmelzende Eisberge übertragen? Schließlich sind wir in unseren Überlegungen und beim Experiment stets von Süßwassereis in Salzwasser ausgegangen. Tatsächlich bestehen auch Eisberge weitgehend aus Süßwasser. Das Meersalz wird beim Gefrieren nicht in das Kristallgitter eingebaut, sondern überwiegend an die Ozeanumgebung abgegeben. Nur zu einem kleinen Teil sammelt es sich in Soletaschen und erhöht damit ein wenig die Dichte des Eisbergs. Das führt aber lediglich zu unwesentlichen Korrekturen.
Sollte alles driftende Eis zerrinnen, hätte das also zumindest theoretisch gewisse Auswirkungen. Grobe Abschätzungen für das global von schwimmendem Eis verdrängte Wasservolumen in der Fachliteratur liefern einen Wert von 660 000 Kubikkilometern, während das Meerwasser auf einer Gesamtfläche von etwa 3,6 · 108 Quadratkilometern verteilt ist. Wenn man Änderungen des Küstenverlaufs ignoriert, ergibt das zusammen mit dem Wert für die Volumenzunahme einen Anstieg von vier Zentimetern. Dieser Betrag mag angesichts der in den Klimaszenarien diskutierten sonstigen Pegeländerungen gering erscheinen – vernachlässigbar ist er jedoch nicht.
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