Lexikon der Physik: Allgemeine Relativitätstheorie
Allgemeine Relativitätstheorie
R. A. Puntigam, München
Die Allgemeine Relativitätstheorie ist die in den Jahren 1907-1916 von Albert Einstein aufgestellte klassische Theorie der Gravitation. Ausgehend von der Speziellen Relativitätstheorie und dem Äquivalenzprinzip erkannte Einstein, daß die Gravitation, hervorgerufen von Masse und Energie, als Krümmung der Raumzeit manifest wird. Bei vorgegebener Materieverteilung wird die Riemannsche Geometrie der Raumzeit durch die Einstein-Gleichungen festgelegt. Die Newtonsche Gravitationstheorie ist in der Allgemeinen Relativitätstheorie als nichtrelativistischer Grenzfall enthalten. Obwohl sich die Vorhersagen oft nur mimimal von den Vorhersagen der Newtonschen Gravitation unterscheiden, wurde die Allgemeine Relativitätstheorie von allen bisher durchgeführten Experimenten bestätigt. Zu den spektakulärsten Vorhersagen gehören die Existenz von Schwarzen Löchern und Gravitationswellen. Bei beiden Phänomenen, die bisher nur indirekt beobachtet wurden, stehen die Experimentatoren mehr als 80 Jahre nach der genialen Arbeit Einsteins vor dem Durchbruch – und damit an der Schwelle einer neuen Ära der Allgemeinen Relativitätstheorie und der relativistischen Astrophysik.
Einleitung
In der Speziellen Relativitätstheorie werden physikalische Prozesse typischerweise von inertialen, d.h. ruhenden oder mit konstanter Geschwindigkeit bewegten Beobachtern beschrieben. Nach den Prinzipien der Speziellen Relativitätstheorie ist kein Inertialsystem ausgezeichnet, jedes physikalische Experiment verläuft in jedem Inertialsystem genau gleich. Im Gegensatz dazu haben beschleunigte oder rotierende Bezugssysteme durch das Auftreten von Trägheitskräften eine absolute Bedeutung in der Speziellen Relativitätstheorie.
Die Allgemeine Relativitätstheorie resultierte aus dem erfolgreichen Versuch Einsteins, diese spezielle Rolle der Inertialsysteme aus der Relativitätstheorie zu eliminieren, und allgemeine, beliebig beschleunigte und rotierende Bezugssysteme gleichwertig zu erlauben. Trägheitskräfte, die in einem nicht inertialen Bezugssystem wirken, sind lokal aber nicht von Gravitationskräften zu unterscheiden. Das ist, in komprimierter Form, der Grund dafür, daß die Allgemeine Relativitätstheorie eine Theorie der gravitativen Wechselwirkung darstellt.
1. Grundlagen
Die wesentlichen Ausgangspunkte bei der Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie waren das Machsche Prinzip und das Äquivalenzprinzip. Ernst Mach stellte fest, daß Newtons berühmter Eimerversuch als "Beweis" für die Existenz des absoluten Raums nicht haltbar ist. Wird ein mit Wasser gefüllter Eimer in Rotation versetzt, so wird die Wasseroberfläche durch die auftretenden Trägheitskräfte konkav gekrümmt. Newton deutete dies als experimentellen Beweis von Bewegung relativ zum absoluten Raum. Mach wies jedoch 1883 darauf hin, daß der Eimerversuch aus physikalischer Sicht lediglich auf die nichtinertiale Bewegung, nämlich die Rotation, eines Bezugssytems relativ zu den Fixsternen hinweist, ohne daß die Existenz eines absoluten Raums angenommen werden muß. Er folgerte, daß das komplementäre Gedankenexperiment – die Fixsterne rotieren um den ruhenden Eimer – physikalisch von dem ursprünglichen Eimerversuch ununterscheidbar sei: die Wasseroberfläche müßte sich hier genauso wölben wie bei Newton. Damit wendete er das Prinzip der Relativbewegung auf ein rotierendes, also nichtinertiales Bezugssystem an, und verknüpfte den Begriff der Massenträgheit mit der Materieverteilung im gesamten Universum. Diese grundlegende Idee ist in der Allgemeinen Relativitätstheorie physikalisch verwirklicht.
Einsteins Äquivalenzprinzip, die zweite Säule der Allgemeinen Relativitätstheorie, ist eine Verallgemeinerung der Galileischen Beobachtung, daß Testkörper im Gravitationsfeld der Erde identisch fallen, unabhängig von ihrer Struktur oder Zusammensetzung (Eindeutigkeit des freien Falls oder schwaches Äquivalenzprinzip). Der Grund liegt in der Gleichheit von träger und schwerer Masse: in frei fallenden Bezugssystemen werden die Gravitationskräfte von den Trägheitskräften gerade kompensiert. Einstein folgerte daraus, daß ein Beobachter grundsätzlich durch kein Experiment feststellen kann, ob er sich in einem frei fallenden Bezugssystem im Gravitationsfeld oder in einem speziell-relativistischen Inertialsystem befindet. Anders ausgedrückt heißt das, beliebige Experimente verlaufen in beiden Fällen gleich, und zwar nach den Gesetzen der Speziellen Relativitätstheorie. Einstein stellte diese Aussage als (starkes) Äquivalenzprinzip an die Spitze seiner Überlegungen und eliminierte so die ausgezeichnete Rolle der Inertialsysteme aus der Speziellen Relativitätstheorie. Trägheitskräfte, die in Nichtinertialsystemen in der Speziellen Relativitätstheorie auftreten, entsprechen lokal Gravitationskräften.
Ein Schlüssel zur Allgemeinen Relativitätstheorie ist daher die Beschreibung von Trägheitskräften in der Speziellen Relativitätstheorie. In einem Inertialsystem ist
die Bewegungsgleichung eines kräftefreien Teilchens. Durch Transformation auf ein Nichtinertialsystem wird daraus
.
Darin werden die Komponenten Γαβγ der Christoffel-Konnexion mit den auftretenden Trägheitskräften identifiziert, und die Komponenten gαβ der Metrik mit den entsprechenden Trägheitspotentialen. Nach der Einsteinschen Summenkonvention wird in dieser Gleichung wie auch im folgenden über zwei gleiche Indizes summiert. Die lokale Gleichsetzung von Gravitationskräften mit Trägheitskräften durch das Äquivalenzprinzip führt unmittelbar zu den folgenden Grundideen der Allgemeinen Relativitätstheorie: Gravitationspotentiale bzw. -kräfte werden mit der Metrik bzw. mit der Christoffel-Konnexion identifiziert. Lokal ergibt sich die (flache) Geometrie der Speziellen Relativitätstheorie: die Tangentialräume an jedem Punkt der Raumzeitmannigfaltigkeit sind Minkowski-Räume. In endlichen Gebieten kann die Gravitation allerdings nicht durch Transformation auf ein frei fallendes Bezugssystem "wegtransformiert" werden. Das bedeutet mathematisch, daß die Christoffel-Konnexion in Anwesenheit von Gravitationsfeldern im allgemeinen nicht integrabel ist. Somit verschwindet der entsprechende Riemannsche Krümmungstensor Rαβγδ – im Unterschied zur Speziellen Relativitätstheorie – nicht mehr: die speziell-relativistische Minkowski-Geometrie wird in der Allgemeinen Relativitätstheorie von einer Riemannschen Geometrie der Raumzeit abgelöst.
2. Feldgleichungen
Die Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie bestimmen die Geometrie der Raumzeit in Abhängigkeit von der Verteilung der Materie, d.h. wie die Raumzeit bei einer bestimmten Energie- und Masseverteilung gekrümmt ist. Dabei wird die Raumzeitgeometrie durch die Metrik gαβ bzw. durch den entsprechenden Riemannschen Krümmungstensor Rαβγδ und Materie durch den Energie-Impuls-Tensor Tαβ beschrieben. So trägt auch elektromagnetische Energie zur Krümmung der Raumzeit bei. Um die Feldgleichungen zu finden, orientierte sich Einstein am Prinzip der allgemeinen Kovarianz: die Formulierung physikalischer Gesetze muß unabhängig vom verwendeten – inertialen oder nichtinertialen – Bezugssystem sein. Für die mathematische Beschreibung folgt daraus, daß die Gesetze der Physik tensoriell formuliert werden müssen. Die Feldgleichungen sind darüber hinaus einem Korrespondenzprinzip unterworfen, damit in zwei wichtigen Grenzfällen der Beobachtung Rechnung getragen wird. Erstens muß im Limes verschwindender Gravitation die Spezielle Relativitätstheorie als Grenzfall enthalten sein und zweitens muß für nichtrelativistische Geschwindigkeiten und schwache Gravitationsfelder die Newtonsche Gravitationstheorie resultieren. Insbesondere muß also die Poissongleichung
ΔU = 4πGρ
für das Newtonsche Gravitationspotential
im genannten Limes aus den Feldgleichungen folgen. Die Gravitationspotentiale der Allgemeinen Relativitätstheorie sind aber die Komponenten der Metrik, daher suchte Einstein nach Differentialgleichungen zweiter Ordnung für gαβ. Die im November 1915 von Einstein vorgeschlagenen, praktisch gleichzeitig auch von Hilbert gefunden Feldgleichungen, die berühmten Einstein-Gleichungen
(1)
erfüllen diese Forderung. Dabei ist
der Einstein-Tensor,
ist der Ricci-Tensor und
der Krümmungsskalar. Die kosmologische KonstanteΛ fehlte in der ursprünglichen Version der Feldgleichungen und wurde von Einstein erst 1917 hinzugefügt, um im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie einen statischen Kosmos beschreiben zu können (Einstein-Kosmos).
Die Verknüpfung der Einsteinschen Gravitationskonstanteκ mit der Newtonschen Gravitationskonstante G ergibt sich aus dem Korrespondenzprinzip: um im nichtrelativistischen Limes die Newtonsche Gravitationstheorie zu erhalten, muß
gesetzt werden. Dabei ist c die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit.
Die Tensor-Gleichung (1) ist symmetrisch in
und
, sie bildet daher ein System von zehn gekoppelten, nichtlinearen, partiellen Differentialgleichungen zur Bestimmung der zehn unabhängigen Komponenten des Gravitationspotentials
. Allerdings sind die Einstein-Gleichungen nicht linear unabhängig, da die vier kontrahierten Bianchi-Identitäten
gelten, denen der Einstein-Tensor Gαβ unterliegt (Bianchi-Identitäten). (Das Semikolon in obiger Gleichung bezeichnet die kovariante Ableitung, Konnexion). Daher sind nur sechs Gleichungen des Systems (1) unabhängig. Darin spiegelt sich die Invarianz der Allgemeinen Relativitätstheorie unter beliebigen (genügend oft differenzierbaren, invertierbaren) Koordinatentransformationen des metrischen Tensors wider, die dazu verwendet werden kann, um ein bestimmtes, der physikalischen Situation angepaßtes Koordinatensystem zu verwenden. Ein Beispiel für eine solche Eichung der Koordinaten ist die Einstein-Hilbert- oder De-Donder-Eichung, der wir im Zusammenhang mit Gravitationswellen noch begegnen werden. Ein weiteres Beispiel sind Normalkoordinaten, die durch die Bedingung g00 = 1, g01 = g02 = g03 = 0 definiert sind.
Aus den Einstein-Gleichungen folgt durch Anwendung der kontrahierten Bianchi-Identitäten die lokale Energie-Impuls-Erhaltung
. Einstein erkannte, daß sich daraus die Bewegungsgleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie, die geodätische Gleichung
(2)
ableiten läßt, wobei die Konnexion Γαβγ im Unterschied zur speziell-relativistischen Gleichung in der allgemeinen Theorie zu einem Riemann-Tensor
gehört.
Die Bewegungsgleichung muß also nicht zusätzlich postuliert werden, sondern ist, wie auch schon in der Elektrodynamik, in den Feldgleichungen enthalten. Damit ist ein wichtiger Kreis geschlossen: durch die Einstein-Gleichung (1) "sagt" die Materie im Universum der Raumzeit-Geometrie, wie sie sich krümmen soll. Gleichzeitig "sagt" die Raumzeit-Geometrie der Materie, wie sie sich bewegen soll: auf den durch Gleichung (2) festgelegten Geodäten. Hier zeigt sich die Umsetzung des Machschen Prinzips in der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Für Γαβ = 0 beschreiben die Einstein-Gleichungen (1) eine Raumzeit ohne Materie (Vakuum-Feldgleichungen). Dazu gehört der Minkowski-Raum, also die flache Geometrie der Speziellen Relativitätstheorie, aber z.B. auch Gravitationswellen und der Außenraum von Himmelskörpern werden von den Vakuum-Feldgleichungen erfaßt. Wegen ihrer Nichtlinearität sind die Feldgleichungen kaum exakt, d.h. ohne numerische Verfahren, zu lösen, daher sind exakte Lösungen nur für hochsymmetrische Geometrien bekannt. Die wichtigste ist die bereits 1916 gefundene Schwarzschild-Lösung, die das Gravitationsfeld eines statischen, sphärisch-symmetrischen Körpers beschreibt. Die entsprechende Verallgemeinerung auf einen stationär rotierenden Körper, die Kerr-Lösung, wurde erst 1963 entdeckt. Diese Lösungen beschreiben die Raumzeitgeometrie von statischen bzw. rotierenden Sternen, von Neutronensternen und auch von Schwarzen Löchern, auf die unten noch näher eingegangen wird.
3. Experimente
Trotz aller Plausibilitätsargumente können die Einstein-Gleichungen (1), wie alle Grundgleichungen der Physik, nicht zwingend hergeleitet werden. Letztendlich kann nur der Vergleich mit dem Experiment rechtfertigen, ob es sich bei der Allgemeinen Relativitätstheorie um die "richtige" Theorie der Raumzeit und der Gravitation handelt. Es ist Einsteins Genie zuzuschreiben, daß alle experimentellen Tests die Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie hervorragend bestätigt haben, obwohl die Abweichung von der Newtonschen Gravitation oft minimal ist. Einstein selbst hat drei Effekte vorgeschlagen, um seine neue Theorie zu prüfen: die Periheldrehung des Merkur, die gravitative Lichtablenkung und die Gravitations-Rotverschiebung. Obwohl inzwischen andere, teilweise aussagekräftigere Experimente durchgeführt worden sind, bilden diese drei "klassischen" Tests den Kern der experimentellen Bestätigung der Einsteinschen Theorie der Gravitation.
Der erste Erfolg war die Berechnung der Periheldrehung des Merkur, die Einstein selbst durchführte. Im Unterschied zur Newtonschen Gravitation fällt das Gravitationspotential eines sphärischen Körpers in der Allgemeinen Relativitätstheorie nur näherungsweise wie 1/r. Aus diesem Grund bewegt sich ein Planet nicht auf einer geschlossenen Ellipsenbahn um die Sonne, sondern es kommt zu einem kleinen Schließungsfehler, wodurch sich der Perihel, der Punkt des kürzesten Abstands zur Sonne, bei jedem Umlauf um einen kleinen Betrag verschiebt. Der Effekt ist für sonnennahe Planeten mit möglichst großer Bahnexzentrizität am stärksten ausgeprägt. Der beste Kandidat ist daher der Merkur, dessen Periheldrehung schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt war. Der gemessene Betrag von 5600 ″ pro Jahrhundert wird überwiegend von damals schon bekannten Effekten, wie z.B. der Störung der Merkurbahn durch die anderen Planeten des Sonnensystems, verursacht. Eine numerische Auswertung ergab allerdings eine Abweichung dieser Newtonschen Periheldrehung von dem beobachteten Wert von rund 43 ″ pro Jahrhundert. Einstein berechnete die durch die Allgemeine Relativitätstheorie vorhergesagte zusätzliche Periheldrehung und fand in sehr guter Übereinstimmung die fehlenden 43 ″ pro Jahrhundert.
Der zweite wichtige Test beruht auf einem Effekt, der unter Verwendung der speziell-relativistischen Äquivalenz von Masse und Energie auch im Rahmen der Newtonschen Theorie verstanden werden kann: der Ablenkung von Licht im Gravitationsfeld. Allerdings ist der durch die Allgemeine Relativitätstheorie vorhergesagte Wert aufgrund der zusätzlichen Ablenkung durch die Krümmung der Raumzeit genau doppelt so groß wie der Newtonsche, daher kann die Messung der Stärke der gravitativen Lichtablenkung experimentell zwischen beiden Theorien unterscheiden. Eine Möglichkeit besteht darin, die Ablenkung des Lichts der Fixsterne im Gravitationsfeld der Sonne zu beobachten. Für einen Lichtstrahl, der den Sonnenrand gerade nicht berührt, beträgt die scheinbare Verschiebung seiner Position rund 1,75 ″ , was während einer Sonnenfinsternis problemlos meßbar sein sollte. Die von zwei Expeditionen während der Sonnenfinsternis im Mai 1919 gemachten Messungen der scheinbaren Positionen der sonnennahen Fixsterne bestätigten Einsteins Vorhersage. Obwohl nur eine Genauigkeit von etwa 30% erreicht wurde, bedeutet dieses Resultat den Durchbruch der Allgemeinen Relativitätstheorie und machte Einstein schlagartig weltbekannt. Heute werden entsprechende Messungen mit sehr viel höherer Genauigkeit an der Radiostrahlung von Quasaren durchgeführt. Darüber hinaus verursacht die gravitative Lichtablenkung den Gravitationslinseneffekt, der vielfach beobachtet wurde.
Der dritte klassische Effekt ist die Gravitations-Rotverschiebung. Ein Photon, das z.B. von der Erde in den Weltraum entkommt, verliert bei der Überwindung des Gravitationspotentials Energie, was mit einer entsprechenden Rotverschiebung der Frequenz verbunden ist. Dieser Effekt wurde erstmals 1960 und 1965 beobachtet (Pound-Rebka-Snyder-Experiment), wobei die erwartete Frequenzverschiebung mit einer Genauigkeit von 1% bestätigt wurde.
Zu den Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie gehört auch ein außergewöhnliches "Versuchslabor": der Doppelpulsar PSR 1913 + 16 ermöglicht die Überprüfung einer ganzen Reihe von allgemein-relativistischen Effekten, von denen der wichtigste hier erwähnt werden soll. Der Pulsar und sein unsichtbarer Begleiter bewegen sich mit einer maximalen Bahngeschwindigkeit von 400 km/s, das entspricht
, bei einer Bahnperiode Tb = 7,75 h. Die Allgemeine Relativitätstheorie sagt für ein solches System einen Energieverlust durch die Abstrahlung von Gravitationswellen voraus. Auf dieses Phänomen wird später noch genauer eingegangen, hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß der Energieverlust eine Abnahme der Bahnperiode verursacht. Die gemessene relative Änderung
entspricht sehr genau dem Wert, den die Allgemeine Relativitätstheorie für dieses System vorhersagt. Damit ist diese Messung die erste indirekte Beobachtung von Gravitationswellen. Die Entdecker von PSR 1913 + 16, John Hulse und Joseph Taylor, wurden dafür 1993 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
4. Schwarze Löcher
Eine der spektakulärsten Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie ist die Existenz von Schwarzen Löchern. Nach der Theorie der stellaren Entwicklung kollabieren ausgebrannte Sterne zu Weißen Zwergen oder Neutronensternen. Überschreitet die Masse des Sterns jedoch eine obere Grenze, dann wird die Gravitation während des Zusammenbruchs so stark, daß der innere Druck den Kollaps nicht mehr bremsen kann – die gesamte Masse wird auf engstem Raum konzentriert. Im Rahmen der klassischen Allgemeinen Relativitätstheorie werden hier Raumzeitkrümmung und Massendichte sogar singulär, d.h. sie wachsen ins Unendliche. Charakteristisch für das extreme Gravitationsfeld einer solchen Raumzeitsingularität ist der Ereignishorizont, eine zweidimensionale raumartige Fläche, die die Singularität wie eine halbdurchlässige Membran umschließt. Während Teilchen außerhalb des Ereignishorizonts dem Schwarzen Loch noch entkommen können, wird die Gravitationskraft in dessen Nähe so stark, daß innerhalb des Horizonts weder Materie noch Licht der Singularität entweichen kann. Daher sieht ein entfernter Beobachter ein "Schwarzes Loch". Eine der erstaunlichen Eigenschaften Schwarzer Löcher ist unter dem Namen No-Hair-Theorem bekannt: Unabhängig von den Einzelheiten des Ausgangszustands und des Kollapses ist ein Schwarzes Loch im Endzustand durch maximal drei Parameter vollständig charakterisiert, nämlich durch die Masse M, den Drehimpuls J und die elektrische Ladung Q.
Die theoretische Erforschung der Mechanik Schwarzer Löcher fand in den 1970er Jahren überraschende Analogien zur klassischen Thermodynamik. Die seither insbesondere von Stephen Hawking vorangetriebene Entwicklung der Thermodynamik Schwarzer Löcher ist mit der Hoffnung verknüpft, Hinweise auf eine – bisher erfolglos gesuchte – Quantentheorie der Gravitation zu erhalten, ohne die Einzelheiten der Theorie zu kennen.
Wenn von der Möglichkeit abgesehen wird, einen sterbenden, massiven Stern direkt beim Kollaps zu beobachten, kann sich die Beobachtung Schwarzer Löcher nur auf indirekte Effekte stützen. Dazu gehört die Bewegung von Binärsystemen mit einem unsichtbaren Partner, dessen Masse nach unten abgeschätzt werden kann. Die 1971 entdeckte Röntgenquelle Cygnus X-1 wurde als ein solches Binärsystem, bestehend aus einem Roten Überriesen und einem unsichtbaren Begleiter, identifiziert. Durch die Masse von mindestens 9MS (MS bedeutet dabei die Sonnenmasse) kommt nach der gängigen Theorie nur ein Schwarzes Loch als Begleiter in Frage, da weiße Zwerge oder Neutronensterne nur bis maximal 1,35 bzw. 4MS stabil sind. Insgesamt kennt man sechs ähnliche Röntgenbinärsysteme mit Massen > 4 MS . Allerdings kann nicht immer ausgeschlossen werden, daß das System zwei unsichtbare Begleiter enthält, deren Masse jeweils unter der kritischen Grenze liegt.
Y. Zeldowitsch und I.D. Nowikow stellten 1964 die Vermutung auf, daß außer solchen stellaren Schwarzen Löchern supermassive Schwarze Löcher in den Zentren aktiver Galaxien vorhanden sein könnten. Die Kerne solcher Galaxien besitzen eine typische Ausdehnung von
km, das entspricht etwa der Größe unseres Sonnensystem. Aus diesem Gebiet kommt kontinuierliche Strahlung mit einer typischen Leuchtkraft von
W, das entspricht der
-fachen Leuchtkraft der Sonne! Der einzige überzeugende Mechanismus für die Freisetzung solcher Energien liefert das Modell einer Akkretionsscheibe (Akkretion) um ein rotierendes, 106-109MS schweres Schwarzes Loch. In ähnlicher Weise deuten alle Beobachtungen darauf hin, daß Quasare von supermassiven, 108-1012MS schweren Schwarzen Löchern mit Energie versorgt werden. Aber auch inaktive Galaxien beherbergen möglicherweise supermassive Schwarze Löcher: durch die Beobachtung der Eigenbewegung von hunderten von Sternen gilt die Existenz eines 106MS schweren Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstaße praktisch als erwiesen. Neueste spektroskopische Untersuchungen duch das Hubble-Weltraumteleskop deuten sogar darauf hin, daß die Zentralregionen praktisch aller Galaxien supermassive Schwarze Löcher beherbergen, deren Masse proportional zur Masse der jeweiligen Galaxie ist. Damit ist die Existenz dieser Objekte eng mit der bis heute nicht eindeutig geklärten Frage nach der Entstehung der Galaxien verbunden. Ein Mechanismus, der die Bildung von zentralen Schwarzen Löchern bei der Geburt von Galaxien mit einbezieht, muß aber erst noch gefunden werden. Eine Auflösung dieses Rätsels könnte entscheidende Hinweise auf die Evolution des frühen Kosmos liefern.
5. Gravitationswellen
Wie bereits angedeutet, macht die Allgemeine Relativitätstheorie eine weitere aufregende Vorhersage: die Existenz von Gravitationswellen. Dazu werden in der einfachsten Näherung die Einstein-Gleichungen linearisiert. Für schwache Gravitationsfelder kann die Metrik der Raumzeit durch die von einer kleinen Störung hαβ ≪ 1 überlagerte Minkowski-Metrik ηαβ angenähert werden. Mit dem Ansatz
reduzieren sich die Einstein-Gleichungen (1) auf die Wellengleichung
für den spurfreien Tensor
. Das Feld Ψαβ unterliegt dabei der Eichbedingung
(Einstein-Hilbert- oder De-Donder-Eichung). Die Lösungen dieser Wellengleichung beschreiben transversale Wellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Allerdings sollte man nicht vergessen, daß dieses einfache Bild nur in der durchgeführten linearen Näherung gültig ist. Insbesondere bewirkt die Nichtlinearität der vollständigen Theorie, daß für realistische Gravitationswellen kein Superpositionsprinzip gilt. Kollidierende Gravitationswellen können im Extremfall sogar intrinsische Raumzeitsingularitäten bilden.
Weil transversale Wellen generell keine Monopolstrahlung zulassen und Dipolstrahlung nur auftreten könnte, wenn es auch negative Masse gäbe, handelt es sich bei Gravitationswellen um Quadrupolstrahlung. Eine Quelle von Gravitationsstrahlung braucht daher ein zeitlich veränderliches gravitatives Quadrupolmoment. Die von einem massiven Objekt in Form von Gravitationswellen abgestrahlte Energie beträgt
,
wobei die dritte zeitliche Ableitung
des reduzierten Quadrupolmoments der Quelle eingeht. Diese berühmte, bereits 1916 von Einstein berechnete Quadrupolformel wurde durch Messungen an dem Hulse-Taylor Doppelpulsar PSR 1913 + 16 sehr genau bestätigt. Wie bereits erwähnt, wird dies als ein erster, wenn auch indirekter Beweis für die Existenz von Gravitationswellen gewertet.
Mögliche Quellen lassen drei unterschiedliche Typen von Gravitationswellen erwarten. Stoßwellen können durch den Gravitationskollaps von massiven Sternen entstehen und sind deshalb mit Supernovaexplosionen und der Entstehung von Neutronensternen und Schwarzen Löchern verbunden, sowie mit der Kollision von Schwarzen Löchern und Neutronensternen und dem Verschmelzen von kompakten Doppelsternsystemen. Rotierende, deformierte Sterne und besonders Binärsysteme wie etwa PSR 1913 + 16 erzeugen periodische Gravitationswellen. Schließlich ist zu erwarten, daß das gesamte Universum einen Hintergrund von stochastischen Gravitationswellen enthält. Ähnlich wie der kosmische Mikrowellenhintergrund (kosmische Hintergrundstrahlung) speichert dieser "Rest" des heißen Urknalls Informationen von Prozessen im sehr jungen Universum, z.B. von den ersten gravitativen Inhomogenitäten, die als Keime der heute beobachteten Struktur des Universums wirkten.
Die experimentelle Untersuchung von Gravitationswellen ist daher ein neues Fenster der astrophysikalischen Beobachtung, verbunden mit einer Fülle von aufregenden, sonst kaum zugänglichen Phänomenen. Trotzdem ist auch 80 Jahre nach der Geburt der Allgemeinen Relativitätstheorie noch keine direkte Messung gelungen. Der Grund liegt in der enormen Kleinheit der vorhergesagten Effekte. Die Größe der dimensionslosen Störung h = | hαβ | läßt sich z.B. für periodische Quellen in der bereits genannten Quadrupolnäherung durch
abschätzen.
ist der mit der Nichtsphärizität der Rotation verbundene Anteil der kinetischen Energie und r der Abstand der Quelle von der Erde. Bei verschmelzenden Neutronensternen und stellaren Schwarzen Löchern gilt die Größenordung
≈ M S . Damit liegt h im Bereich von 10 - 22 für den Entfernungsbereich der Hubble-Länge (r ≈ 3000 Mpc, 1 Parsec(EnsprichtZeichen Me)3,26 Lichtjahre) bis 10 - 17 für die äußere Region der Milchstaße (r ≈ 20 kpc). Optimistische Abschätzungen ergeben eine Rate von einigen solchen Ereignissen pro Jahr im Umkreis von r ≈ 200 Mpc, daher sollte beim Bau eines Detektors eine Empfindlichkeit von h ≈ 1021-1022 erreicht werden. Für Interferometer-Detektoren (Gravitationswellendetektoren) mit einem zeitabhängigen Unterschied der beiden Armlängen des Interferometers von ΔL = L1 – L2 gilt die Näherung h(t) = (ΔL, L). Präzisions-Laserinterferometrie erlaubt in den nächsten Jahren eine maximale Auflösung von ΔL ≈ 10 - 18 m, das entspricht etwa einem tausendstel eines Atomkerns! Zusammen mit der genannten Forderung von h ≈ 1021-1022 für die Empfindlichkeit folgt für die Armlänge L = (ΔL, h) ≈ 1-
km. Mehrere solcher Detektoren befinden sich als internationale Großprojekte in Bau. Wenn mit diesen Detektoren nach der Wende zum zweiten Jahrtausend wie erhofft die ersten direkten Signale von Gravitationswellen registriert werden, dann signalisiert das eine neue Ära der relativistischen Astrophysik und einen weiteren Triumph von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie.
Literatur
[1] A. Einstein: Grundzüge der Relativitätstheorie, 6. Aufl., Vieweg, Braunschweig 1990.
[2] R. D'Inverno: Einführung in die Relativitätstheorie, VCH, Weinheim 1995.
[3] I. Ciufolini und J.A. Wheeler: Gravitation and Inertia, Princeton University Press, Princeton 1995.
[4] R.U. Sexl und H.K. Urbantke: Gravitation und Kosmologie, Vierte Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.
[5] E.W. Mielke: Sonne, Mond und ... Schwarze Löcher, Vieweg, Braunschweig 1997.
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