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Rekonstruierter Becket-Schrein: »Pracht ohne Gleichen«

Der Schrein von Thomas Becket in der Kathedrale von Canterbury war eines der bedeutendsten Pilgerziele des Mittelalters. Nun haben Experten das zerstörte Kunstwerk digital rekonstruiert.
Der Schrein in der Kathedrale von Canterbury

Der Schrein in der Kathedrale von Canterbury

Im Jahr 1538 besiegelte eine Attacke der englischen Reformatoren das Schicksal des bedeutendsten Pilgerziels der Insel: Der überaus prachtvoll ausgeführte Schrein, der die sterblichen Überreste des Heiligen Thomas Becket enthielt, wurde in Stücke geschlagen und auch der Inhalt verwüstet. Seitdem steht lediglich eine brennende Kerze an Ort und Stelle in der Trinity Chapel der Kathedrale von Canterbury.

Wie der Heiligenschrein einst aussah, ist nicht im Detail überliefert. Einig sind sich die Quellen allein darin, dass er von einzigartiger Pracht war. Nun, genau 800 Jahre nachdem Beckets Gebeine in den Schrein gelegt wurden, präsentieren Forscher seine digitale Rekonstruktion. Im Fachmagazin »Journal of the British Archaeological Association« erläutert Teamleiter John Jenkins von der University of York, wie sie sich auf Fragmente stützen, die seit dem 19. Jahrhundert im Umfeld der Kathedrale gefunden wurden und mutmaßlich zum Schrein gehörten.

Ihr digitales Modell zeigt, was ein Pilger 1408 vor Augen gehabt hätte. Geschätzte 100 000 Gläubige im Jahr besuchten zu jener Zeit das Reliquiar. Viele baten den Heiligen um Hilfe, andere dankten für seine Unterstützung mit Opfergaben, die sie an einem eisernen Gitter um das Areal anbrachten. Somit war der Schrein förmlich eingehüllt in Beweise für die vermeintliche Wundertätigkeit des Märtyrers. Beckets Schrein zählte den Forschern zufolge zu den »drei oder vier bedeutendsten Pilgerzielen in ganz Europa«.

König Heinrich II. berief seinen engen Freund und Vertrauten Becket (geboren 1118) im Jahr 1155 zu seinem Lordkanzler. Das Verhältnis der beiden verschlechterte sich jedoch rapide, nachdem Becket 1162 zum Erzbischof von Canterbury und damit zum Oberhaupt der katholischen Kirche in England geweiht wurde. Der Streit mündete schließlich in der Ermordung des Kirchenmanns durch Ritter Heinrichs, wohl auf Geheiß des Königs. »Die Ermordung Beckets versetzte der gesamten Christenheit einen Schock«, sagt Jenkins in einer Pressemitteilung anlässlich der neuen Veröffentlichung, in ganz Europa sei er dafür als Märtyrer anerkannt worden. Allein in den ersten zehn Jahren nach seiner Ermordung habe man ihm sage und schreibe 700 Wunderheilungen nachgesagt. Heinrich II. sah sich schließlich gezwungen, einen Bußgang nach Canterbury anzutreten. Becket wurde nach seiner Heiligsprechung zum Schutzpatron Londons.

Jenkins schätzt, dass mit dem Bau des Schreins 1180 begonnen wurde und er 1220 so weit vollendet war, dass die Umbettung erfolgen konnte. Als Schutz vor Beschädigung, aber wohl auch wegen des Showeffekts hatten die Erbauer des Schreins einen Holzkasten entwickelt, der an Seilen von oben über das Reliquiengefäß gestülpt werden konnte. Wann immer die Mönche der Kathedrale den Schutz lüfteten, erklangen Glöckchen an den Seilen und verrieten der Schar der versammelten Pilger, dass der Blick auf das Heiligtum unmittelbar bevorstand.

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