Zeitwahrnehmung: Warum erscheint uns der Rückweg oft kürzer als der Hinweg?
Die meisten Menschen kennen das: Man geht oder fährt eine unbekannte Strecke, sagen wir in den Urlaub, und kaum ist man wieder zu Hause angekommen, staunt man – der Rückweg schien viel kürzer gewesen zu sein. Zugegeben, vielleicht verläuft man sich auf dem Rückweg schlicht seltener, oder es war womöglich weniger Verkehr auf den Straßen. Allerdings konnten Studien zeigen, dass der so genannte Rückwegeffekt auch dann auftritt, wenn der Hin- und Rückweg objektiv exakt gleich viel Zeit in Anspruch nahmen. Wie ist das möglich?
Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Eine betrifft unsere Erwartung darüber, wie lange wir unterwegs sein werden. Menschen neigen typischerweise dazu, die Dauer unbekannter Ereignisse oder Aufgaben zu unterschätzen. Dieser Zeitoptimismus zeigt sich publikumswirksam etwa in Fehlplanungen beim Bau großer Gebäude. Doch auch in unserem Alltag kommt er zum Tragen: Wenn wir eine Reise antreten, unterschätzen wir deren Dauer im Vorhinein häufig und stellen dann überrascht fest, dass wir doch um einiges länger gebraucht haben. Durch die Differenz aus erwarteter und tatsächlich benötigter Zeit erscheint uns der Hinweg subjektiv länger. Da unsere Erwartungen nach der Erfahrung mit dem Hinweg inzwischen realistischer wurden, kommt es nicht selten zu besagter Fehleinschätzung: Der Rückweg kommt uns im Vergleich deutlich kürzer vor.
Dieser Wahrnehmungseffekt und seine Ursachen wurden bereits mehrfach wissenschaftlich untersucht. Dabei konnten Forscher zeigen, dass unsere subjektive Erwartung der ausschlaggebende Faktor ist. Erfährt man beispielsweise vorab, wie lange eine Reise tatsächlich dauern wird – etwa von jemandem, der die Strecke schon kennt –, verschwindet der subjektive Unterschied meist. In der Regel tritt er überhaupt nur dann auf, wenn wir den betreffenden Weg zum ersten Mal zurücklegen. Sobald wir genauer absehen können, wie lange wir bis zu dem besuchenden Ort unterwegs sein werden, bleibt das Phänomen des gefühlt kürzeren Rückwegs aus.
Überraschendes und Neues speichern wir leichter im Gedächtnis ab als Altbekanntes
Es gibt jedoch noch weitere Einflüsse. Zuweilen kommt uns die Heimreise auch deshalb kürzer vor als der Hinweg, weil dabei unterschiedliche Emotionen im Spiel sind. Zum Beispiel kann es sein, dass wir uns auf die Fahrt oder das Ziel freuen und den Weg mit seinen vielfältigen Überraschungen und Etappenstopps besonders gut im Gedächtnis abspeichern. Der Rückweg – wenn die aufregende Reise leider zu Ende geht – erscheint dagegen eher vertraut.
In solchen Momenten kommt den Reisenden die Hinfahrt ebenfalls meist länger vor als der Heimweg. Genau das Gleiche passiert bei allerlei anderen neuartigen Situationen. Denn wir speichern überraschende, intensive Erfahrungen leichter im Gedächtnis ab als Altbekanntes. In der Rückschau meinen wir dann, die erstaunlichen Erlebnisse hätten viel länger gedauert, als es eigentlich der Fall war. Ein ähnlicher Mechanismus ist vermutlich auch der Grund dafür, dass uns unsere Kindheit, in der wir so viel Neues dazulernen und entdecken wie niemals wieder, geradezu ewig vorkommt. Wenn wir als Erwachsene mit der Welt vertraut sind und vielerlei Routinen entwickelt haben, vergehen die Jahre hingegen »wie im Flug«.
Achten Sie bei Ihrer nächsten längeren Fahrt einmal darauf, ob sich bei Ihnen der Rückwegeffekt einstellt. Doch wie lange die Reise gefühlt auch immer dauern mag, genießen Sie sie!
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