Macht Singen glücklich?
Singen macht glücklich. Unter Sängerinnen und Sängern, Profis wie Amateuren ist diese positive Wirkung unumstritten. Auch Wissenschaftler sammeln immer mehr Indizien, die den stimmungsaufhellenden Effekt bestätigen: Sie zeigen tief greifende physiologische Veränderungen, angefangen bei Neurotransmittern bis hin zur Atmung. Das Musizieren mit der eigenen Stimme macht gute Laune und steigert das allgemeine Wohlbefinden. Außerdem bringt Singen das Herz-Kreislauf- sowie das Immunsystem auf Trab, baut körperlichen und psychischen Stress ab und verbessert die kognitive Leistung. Um zu begreifen, welche Mechanismen ursächlich hinter der gemütsaufhellenden Wirkung (und den anderen positiven Nebenwirkungen) des Singens stecken, bedarf es jedoch noch intensiver Forschung.
Lässt sich überhaupt messen, wie Singen glücklich macht? 2013 begab sich Anke Engelke für eine Fernseh-Dokumentation auf die Suche nach dem Glück und startete im Rahmen der Dreharbeiten ihr eigenes Experiment: Unterstützt von dem Musikwissenschaftler Gunter Kreutz und überzeugt von der Kraft des Singens gründete Engelke den »Chor der Muffeligen«. 36 Menschen mit und ohne Chorerfahrung, die sich selbst als »muffelig«, weil unglücklich betitelten, wurden von den Glücksforschern via Casting für diesen Chor rekrutiert. Der probte dann drei Monate lang einmal wöchentlich, um sich unter professioneller Anleitung auf einen Auftritt in der Kölner Philharmonie vorzubereiten. Vor und nach jeder Probe befragte man die vormals vermuffelten Chorsänger via standardisierter psychologischer Fragebogen nach ihrer Gefühlslage. An zwei Terminen sollten die Sänger außerdem Speichelproben abgeben: vor und nach einer Chorprobe. Beim ersten Termin verlief die Probe stinknormal, es wurde gesungen. Beim zweiten Termin allerdings fiel das Singen gänzlich aus, stattdessen wurde ausschließlich gesprochen: eine »Sprechstunde«, die im Experiment nun der Kontrolle diente. Auch hier trafen sich die Chormitglieder, erlebten Gemeinschaft und setzten ihre Stimme ein (wenn auch nur zum Sprechen).
Als Messlatte für Glück suchte man in den Speichelproben nach Oxytozin – dem Hormon, das stresslindernd wirkt und das Wohlbefinden steigert. Und tatsächlich: Die Oxytozinwerte waren sowohl nach der Chor- wie nach der »Sprechstunde« höher als vor deren Beginn, die Chormitglieder also entspannter, sprich glücklicher. Die Gesprächsrunde konnte in Sachen Wohlbefinden durch Oxytozin jedoch nicht mit der Gesangsstunde mithalten, ergo: Singen macht glücklicher als Sprechen. Auch die Fragebogen zeigten, dass sich die Chormitglieder – unabhängig von ihrer gesanglichen Vorerfahrung – am Ende der Proben viel wohler fühlten.
Ob Singen glücklich macht, ist also keine Frage mehr. Doch wie genau funktioniert das? Klar ist, dass Singen mit zahlreichen physiologischen Veränderungen einhergeht. Am besten lässt es sich mit moderatem sportlichem Training vergleichen: Es ist gesund, verbessert die Haltung, stärkt unsere Abwehrkräfte, bringt den Kreislauf auf Trab und macht nicht zuletzt deshalb glücklich, weil unser Körper dabei Endorphine freisetzt. Ein wichtiger Faktor für die positiven Effekte des Singens ist die Atmung. Normalerweise atmen wir beim Singen ergiebiger als in Ruhe. Das tiefe Aus- und Einatmen aktiviert den Parasympathikus und macht uns deshalb ruhig und relaxt: Der Blutdruck sinkt, der Puls wird langsamer, und die Muskulatur entspannt sich. Gleichzeitig kurbelt die effiziente Atmung während des Singens den Stoffwechsel an, die Organe und das Gehirn werden besser durchblutet, und die Konzentrationsfähigkeit steigt. Singen macht also auch schlau. Noch dazu verändert es die Konzentration von Neurotransmittern und Hormonen: Mehr Oxytozin, Immunglobulin A und Endorphine verbessern die Immunfunktion und steigern das Glücksgefühl.
Das durchs Singen verursachte Glück hat also physische Ursachen – und schwer messbare mentale Folgen. Während man singt, konzentriert man sich aktiv auf den Gesang und kümmert sich nicht um andere Probleme. Singen ist pure Ablenkung, die Chorprobe gewissermaßen eine stressfreie Zone. Während des Erlernens neuer Lieder, neuer Harmonien, neuer Methoden zur Tempoerhaltung ist das Gehirn gefordert. Das kann helfen, Depressionen abzuwehren. Und auch die soziale Komponente ist wichtig für unser Glück. Wir Menschen sind nun mal Rudeltiere, und das Singen im Chor gibt uns das Gefühl von Zugehörigkeit, es stärkt den Zusammenhalt in der Gruppe – und wir spüren, unsere Stimme wird gebraucht.
Im Jahr 2015 konnten Wissenschaftler der University of Oxford tatsächlich den »Eisbrecher-Effekt« von gemeinschaftlichem Singen belegen. Die Teilnehmer ihrer Studie – es waren Schüler in der Erwachsenenbildung – wurden dabei eher miteinander warm, wenn sie zusammen sangen, statt nur miteinander zu sprechen. Wie wäre es das nächste Mal mit einem Ständchen statt mit Small Talk?
Kämen wir also zum Fazit: Singen verbindet, macht glücklich und ist gesund. Der »Chor der Muffeligen« existiert übrigens heute noch. Er hat sich inzwischen allerdings umbenannt. Einmal die Woche üben die ehemals Muffeligen als »GlücksChor« im Bürgerzentrum Nippes. Und wenn sie nicht gerade erst anfangen zu proben, dann machen sie auch ihre Zuhörer glücklich.
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