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Gute Frage: Gibt es freudsche Versprecher wirklich?

Bordelleisenbahn! Schon Sigmund Freud meinte, dass sprachliche Fehlleistungen wie diese tief blicken lassen. Oder verraten sie doch mehr über den, der da etwas hineininterpretiert?
Ups - hab ich das wirklich gerade gesagt?

»Bordelleisenbahn«, »über den grünen Klo loben« oder »mal die Sexkorken knallen lassen«: Für Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse, waren solche verbalen Ausrutscher nicht etwa Zufall, sondern verrieten viel über den Sprecher. Dabei komme etwas zum Vorschein, das sonst im Unbewussten der Person verborgen liegt – zum Beispiel etwas Bedrückendes, Traumatisches oder Sexuelles.

Mehr noch: Ein kundiger Therapeut könne diesen Code mittels Assoziationen entschlüsseln. In seinem be­rühmten Buch »Zur Psychopathologie des Alltagslebens« von 1904 widmete Freud sich im Kapitel »Das Versprechen« sprachlichen Fehlleistungen seiner Patien­tinnen und Patienten. Auf ähnliche Weise analysierte er auch verschiedene Versprecher aus der bereits 1895 erschienenen Sammlung »Versprechen und Verlesen« der Sprachwissenschaftler Rudolf Meringer und Carl Mayer.

Mit dieser Idee im Hinterkopf glauben wir im Alltag hin und wieder, einem freudschen Versprecher auf die Schliche zu kommen. So wurde in einer Talkshow zum Thema Covid-19 kürzlich ein Lehrer gefragt, was er sich für seine Schüler wünsche. Der Gast antwortete: »eine Generalamnesie«. Er meinte wohl »Amnestie«, also einen Gnadenerlass – nicht etwa einen Gedächtnisverlust. Natürlich könnte man annehmen, der Lehrer habe dabei an die von ihm häufig beobachtete Vergesslichkeit seiner Schüler gedacht. Aber wir wissen nicht, was dabei in seinem Kopf vor sich ging. Dem Sprecher einen bestimmten Gedanken einfach zu unterstellen, ist doch ziemlich unlauter. Selbst Freud war sich dessen bewusst und räumte ein, dass seine assoziativen Deutungen durch nichts zu beweisen seien.

Tatsächlich gibt es für die meisten Versprecher Erklärungen, die ohne tiefenpsychologische Mechanismen auskommen. Unser Sprachplanungssystem macht überraschend selten Fehler. Nur alle 1000 Wörter verhaspeln wir uns – und das bei einer durchschnittlichen Rede­geschwindigkeit von drei Wörtern pro Sekunde. Daher fallen Versprecher, wenn sie vorkommen, dem Hörer meistens sofort auf.

Solche Fehler verraten Sprachwissenschaftlern einiges darüber, wie unser Gehirn das Gesagte plant. Sie nutzen dafür unter anderem große Sammlungen von Versprechern. Anhand dieser Daten können Linguisten analysieren, welche Schritte innerlich durchlaufen werden und wie das jeweilige Sprachmodul funktioniert. Voraussetzung für die gegenseitige Beeinflussung zweier Wörter ist nämlich, dass sie im gleichen Zwischenschritt bearbeitet werden. Auf dieser Grundlage kann man die einzelnen Stufen der Sprachplanung und die Organisation des mentalen Lexikons entschlüsseln.

Um zu verstehen, wie Menschen Sprache produzieren, müssen wir die Abfolge der Zwischenschritte vom Gedanken bis zum fertigen Satz kennen. Hier gilt grob gesagt: Bedeutung kommt vor Form. Nach dem Wort mit der richtigen Bedeutung wird früh im Sprachplanungsprozess gesucht. Zur Auswahl stehen Ausdrücke in einer Art innerem Bedeutungslexikon. Dann kommt es manchmal zu Verwechslungen, wie zum Beispiel »Ich bring dich zur Schnecke« (ein Mix aus »Ich bring dich zur Strecke« und »Ich mach dich zur Schnecke«). Oder auch »Pi mal Schnauze« (aus »Pi mal Daumen« und »frei nach Schnauze«).

Wie das Schnecken-Beispiel zeigt, enthält das innere System der Sprachproduktion zudem ein Formlexikon aus Wörtern, die ähnlich aussehen und klingen. Und so kann es passieren, dass man versehentlich »Amnesie« statt »Amnestie« sagt – oder eben »Bordell« statt »Modell«. Bei der »Bordelleisenbahn« werden nicht nur zwei ähnlich klingende Wörter verwechselt, sondern der Sprecher greift auch schon dem »b« in »Bahn« ­voraus. Das Gleiche passiert bei »über den grünen Klo loben«: Hier ist der Sprecher gedanklich bereits beim »o« von »loben« und verhunzt daher auf amüsante Weise den »Klee«.

Derartige Fallstricke bei bestimmten Schritten der Sprachproduktion reichen in aller Regel schon aus, um selbst peinliche Versprecher zu erklären. Mehr hineinzuinterpretieren ist schlicht unnötig. Küchenpsychologische Deutungen verraten so gesehen meist mehr über den Hörer als über den (Ver-)Sprecher.

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  • Quellen

Freud, S.: Zur Psychopathologie des Alltagslebens. S. Karger, 1904

Meringer, R., Mayer C.: Versprechen und Verlesen. Eine psychologisch-linguistische Studie. Göschen, 1895 ­(Nachdruck 1978 bei John Benjamins, Amsterdam)

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