Hirschhausens Hirnschmalz: Hör auf dich!
Meine erste Idee davon, was Hypnose ist, verdanke ich der Schlange Ka aus dem »Dschungelbuch«, die »Hör auf mich!« sang und dabei magisch mit den Augen rollte. Später im Schullandheim wollten wir im Mehrbettzimmer das Unbewusste manipulieren, indem wir den Wasserhahn rauschen ließen, in der Hoffnung, ein schon eingeschlafener Klassenkamerad würde dann ins Bett machen. Eher machten wir uns vor Lachen in die Hose, denn funktioniert hat es nie.
Umso mehr freut es mich, dass ein Pionier der Hypnotherapie in Deutschland, Ernil Hansen, gemeinsam mit Kollegen jetzt die Kraft positiver Suggestionen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt – und das bei Leuten, deren Aufmerksamkeit gerade medikamentös ausgeschaltet ist, sprich: die unter Vollnarkose dämmern.
Den Teilnehmern der Experimentalgruppe wurden per Kopfhörer im OP-Saal Entspannungsmusik und verbale Botschaften vorgespielt, gefolgt von Stille. Statt negativer Formulierungen wie »keine Schmerzen spüren« dominierten dabei positive wie »erhöhtes Wohlbefinden«. Zu den behandelten Themen zählten Unterstützung, Kontrolle, Sicherheit, Vertrauen und Heilung – alles, was man sich so wünscht, wenn man bewusstlos im Flügelhemd auf einem kalten Metalltisch umringt von fremden Leuten liegt. Die Kontrollgruppe hörte dagegen ein Tonband mit nix drauf.
Weniger Schmerzmittel dank positiver Suggestion
Siehe da: Schöne Worte und Musik machen offenbar selbst bei Vollnarkose einen Unterschied in der Wahrnehmung – in einem Zustand also, in dem es uns an sich wenig stört, dass gerade unser Bauch aufgeschnitten oder ein Hüftgelenk eingehämmert wird. Irgendwie bleibt das Tor zum Bewusstsein wohl auch dann noch einen winzigen Spalt offen. Die positiven Suggestionen halfen, rund ein Drittel der postoperativen Schmerzmittel einzusparen. Daher ist der Effekt von klinischem Interesse, denn weltweit werden jedes Jahr mehr als 200 Millionen Menschen operiert, meist unter Vollnarkose. Viele haben Angst vor dem Kontrollverlust, und immer wieder hört man Berichte über Phasen intraoperativer Wachheit. Doch explizite Erinnerungen an Ereignisse während des Bewusstseinsverlusts sind extrem selten; sie treten bei nicht mal 2 von 1000 OPs auf.
Die jetzt dokumentierte intraoperative Wahrnehmung legt nahe, dass Chirurgen stärker auf Geräusche oder negative Kommentare am OP-Tisch achten sollten. Während sich die meisten Studien in der Anästhesie auf Medikamente konzentrieren, kamen hier zwei der ältesten bekannten Wirkstoffe für Gehirn und Geist zum Einsatz: Musik und Sprache. Sie sind kostengünstig, potenziell wirksam und sicher.
Die neuen Daten wecken Zweifel an der Lehrmeinung, Patienten unter Vollnarkose hätten keine Verbindung zur Umgebung. Doch es bleiben Fragen: Können Heavy-Metal-Fans sogar von Presslufthammerlärm profitieren? Lassen sich Sadomaso-Freunde unbewusst lieber verbal auspeitschen, um später weniger Schmerz zu leiden? Es gibt noch Raum zur individuellen Optimierung. Was mich auch beschäftigt: Wieso werden Studien, bei denen man Menschen bei geschlossenen Augen etwas auf die Ohren gibt, trotzdem verblindet?
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