Angemerkt!: Besser lernen im Cyberspace?
Kinder sollen lernen, indem sie selbst zu Forschern werden. Längst hat die Realität diese schöne Idee eingeholt. Denn womit Diplomanden größte Probleme haben, daran scheitern auch Schulkinder. Also sollen sie angeleitet und schrittweise in die Selbstständigkeit entlassen werden: am Computer - doch was hat der mit dem echten Leben zu tun?
Pisa macht es möglich: Die 1970er Jahre sind zurück – diesmal in der Hightech-Ausgabe. Vor rund drei Dekaden verordneten experimentierfreudige Pädagogen den Schulen innovative Verfahren wie Ganzwortmethode zum Lesen lernen und Mengenlehre als Einstieg in die Mathematik. Wörter wurden nicht mehr in ihre Laute zerlegt, sondern "blau" war "blau" am Stück – wer das nicht sah, konnte eben nicht lesen. Und farbige Kreide malte Kringel um Dreiecke und Vierecke, die sich in Schnittmengen schnitten und in Vereinigungsmengen vereinigten – was leichter zu kapieren war, sich bis heute jedoch als erstaunlich sinnfrei erwiesen hat. Immerhin waren die pädagogischen Revolutionen so umwälzend erfolgsverhindernd, dass der Spuk nur wenige Jahre anhielt und kaum Jahrgänge aus eigener Erfahrung von dieser Phantasie kindentfernter Pädagogik zu berichten wissen.
Doch es gibt neue Chancen. Der Niederländer Ton de Jong von der Universität Twente berichtet in der aktuellen Ausgabe von Science über die Irrungen und Wirrungen des selbstforschenden Lernens in den Naturwissenschaften. Idealerweise sollten Schüler nach den Vorstellungen der enthusiastischen Pädagogik angetrieben durch ihren natürlichen Wissenshunger ganz alleine die Welt hinterfragen. Ihre Neugierde in bearbeitbare Häppchen zerlegen, Strategien für Experimente entwerfen, Versuche entwickeln, durchführen und auswerten und damit schließlich nachprüfbare Hypothesen aufstellen, bis am Schluss das Ohm'sche Gesetz im Heftchen steht – fast wie von alleine.
Erstaunlicherweise hat das nicht so recht geklappt. Was ein Blick auf junge Diplomanden und Doktoranden, die sich mit eben jener idealisierten Vorgehensweise oft reichlich schwer tun, im Vorhinein verraten hätte. Anscheinend war da in den pädagogischen Oberrängen etwas nicht hinreichend durchdacht, was unter anderem de Jong wissenschaftlich belegt hat. Wider Erwarten haben Schüler nicht von sich aus professorale Fähigkeiten und setzen Experimente in den Sand, interpretieren Ergebnisse offenkundig falsch und wissen keine passenden Versuche zu entwerfen.
Hier muss mehr Hilfe her!, ertönt das Fanal der nächsten Stufe. Ein wenig Hintergrundinfos, eingeschränkte Möglichkeiten beim Experiment, ein begleitendes Auge mit Anstößen zur rechten Zeit – es klingt eigentlich ganz gut, wie das "Selbst" ein wenig kanalisiert wird, um näher an das "Forschen" zu gelangen. Wenn, ja wenn, dabei nicht der Computer in die erste Reihe rutschen würde. Weil auf dem Bildschirm so schön kontrolliert an Reglern und Schiebern gespielt werden kann, der Rechner wunderbar die vermeintlichen Lernfortschritte in Log-Dateien protokolliert und alles so herrlich multimedial ist, stellt de Jong sich die Rettung in Form simulierter Wirklichkeit vor. Doch taugt der Cyberspace wirklich zum Forscher-Lernen?
De Jong führt als ein Beispiel eine Wippe mit zwei Personen auf. Die Schüler können über Regler deren Gewichtskraft und Position ändern. Grafisch bietet das entsprechende Programm den Charme eines schlechteren Schulbuchs für Physik und liefert die Motivation eines knapp prä-pensionierten Lehrers: "Wenn a1=-0,5m und a2=1,5m, wie muss dann das Verhältnis zwischen F1 und F2 sein, um M1 und M2 aufzuheben?", ist dort zu lesen. Und scheinbar erwarten Pädagogen wie Software-Entwickler, dass die Kinder dadurch ermuntert fast eigenständig die Hebelgesetze finden. Was sie vermutlich eher finden werden, ist die richtige Einstellung für die Massen, mit denen die Wippe ins Gleichgewicht kommt. Frage beantwortet, Punkt einkassiert – nichts gelernt. Naja, außer eben wie man effizient den Lehrer zufriedenstellt, der an sein Programm glauben mag.
Da kommt doch der Gedanke auf, was an einer Computersimulation so viel toller sein soll als an einem echten Experiment. Also mit richtiger Wirklichkeit und so. Ein paar Stangen, ein Gestell, das als Hebelpunkt dient, einige Gewichte – und die Klasse kann selbst austesten, wie ein zierliches Mädchen schwerere Lasten heben kann als drei kräftige Rabauken. Und weil wir schon dabei sind, hieven wir mit dem Wagenheber und einer Hebelverlängerung doch gleich das Auto des Lehrers ein Stückchen in die Höhe. Eine Wippe, eine Personenwaage und ein Maßband befreien das Experiment aus der Simulation, in welcher es nie etwas verloren hatte. Wippen gibt es in echt!
Mit ein wenig Phantasie werden selbst auf den ersten Blick komplizierte Versuche real schultauglich. Die Sendung mit der Maus lässt mit Tischtennisbällen und Mausefallen Kettenreaktionen nach Atombombenmanier ablaufen, und wem nicht selbst etwas einfällt, der kann sich auf den Wettbewerben von Jugend forscht Anregungen in jedem Schwierigkeitsgrad holen. Drei Dimensionen, unendlich viele Farben, beliebig feine Auflösung, anfassen, herunterfallen, pieksen, körperlich anstrengen, atemlos sein, eine Apparatur, die im falschen Moment zerbricht, Dreck an der Kleidung und Blasen an den Händen – das bietet nur die Wirklichkeit.
Wer das Lernen auf den Bildschirm verbannt, der wird auch das Wissen im Computer einschließen. Denn der Schritt vom simulierten Hebelgesetz zum hochgestemmten Felsbrocken ist schwieriger, als unsere Padägogenweisheit sich träumen lässt. Mit überflüssig eingesetzter Software heben wir lediglich die Unwissenheit auf ein höheres Niveau. Viel mehr ist zu erreichen, wenn die Schüler mit Leib und Seele mitmachen müssen, voll drinstecken, Fliehkraft an wassergefüllten Eimern erfahren, die über Kopf gewirbelt werden, Säure-Base-Reaktionen als selbst gemixtes Brausepulver auf der Zunge spüren.
Die Lehrer und der Unterricht sollten sich dem wahren Leben annähern, sich nicht vor ihm im Rechner verbergen. Damit Physik und Chemie später keine Fächer sind, "die ich sowieso nie begriffen habe", sondern spannende Abenteuer. Doch dafür muss man auch als Erwachsener ein kleines bisschen Kind sein. Vielleicht nicht das Richtige für Pädagogen?
Doch es gibt neue Chancen. Der Niederländer Ton de Jong von der Universität Twente berichtet in der aktuellen Ausgabe von Science über die Irrungen und Wirrungen des selbstforschenden Lernens in den Naturwissenschaften. Idealerweise sollten Schüler nach den Vorstellungen der enthusiastischen Pädagogik angetrieben durch ihren natürlichen Wissenshunger ganz alleine die Welt hinterfragen. Ihre Neugierde in bearbeitbare Häppchen zerlegen, Strategien für Experimente entwerfen, Versuche entwickeln, durchführen und auswerten und damit schließlich nachprüfbare Hypothesen aufstellen, bis am Schluss das Ohm'sche Gesetz im Heftchen steht – fast wie von alleine.
Erstaunlicherweise hat das nicht so recht geklappt. Was ein Blick auf junge Diplomanden und Doktoranden, die sich mit eben jener idealisierten Vorgehensweise oft reichlich schwer tun, im Vorhinein verraten hätte. Anscheinend war da in den pädagogischen Oberrängen etwas nicht hinreichend durchdacht, was unter anderem de Jong wissenschaftlich belegt hat. Wider Erwarten haben Schüler nicht von sich aus professorale Fähigkeiten und setzen Experimente in den Sand, interpretieren Ergebnisse offenkundig falsch und wissen keine passenden Versuche zu entwerfen.
Hier muss mehr Hilfe her!, ertönt das Fanal der nächsten Stufe. Ein wenig Hintergrundinfos, eingeschränkte Möglichkeiten beim Experiment, ein begleitendes Auge mit Anstößen zur rechten Zeit – es klingt eigentlich ganz gut, wie das "Selbst" ein wenig kanalisiert wird, um näher an das "Forschen" zu gelangen. Wenn, ja wenn, dabei nicht der Computer in die erste Reihe rutschen würde. Weil auf dem Bildschirm so schön kontrolliert an Reglern und Schiebern gespielt werden kann, der Rechner wunderbar die vermeintlichen Lernfortschritte in Log-Dateien protokolliert und alles so herrlich multimedial ist, stellt de Jong sich die Rettung in Form simulierter Wirklichkeit vor. Doch taugt der Cyberspace wirklich zum Forscher-Lernen?
De Jong führt als ein Beispiel eine Wippe mit zwei Personen auf. Die Schüler können über Regler deren Gewichtskraft und Position ändern. Grafisch bietet das entsprechende Programm den Charme eines schlechteren Schulbuchs für Physik und liefert die Motivation eines knapp prä-pensionierten Lehrers: "Wenn a1=-0,5m und a2=1,5m, wie muss dann das Verhältnis zwischen F1 und F2 sein, um M1 und M2 aufzuheben?", ist dort zu lesen. Und scheinbar erwarten Pädagogen wie Software-Entwickler, dass die Kinder dadurch ermuntert fast eigenständig die Hebelgesetze finden. Was sie vermutlich eher finden werden, ist die richtige Einstellung für die Massen, mit denen die Wippe ins Gleichgewicht kommt. Frage beantwortet, Punkt einkassiert – nichts gelernt. Naja, außer eben wie man effizient den Lehrer zufriedenstellt, der an sein Programm glauben mag.
Da kommt doch der Gedanke auf, was an einer Computersimulation so viel toller sein soll als an einem echten Experiment. Also mit richtiger Wirklichkeit und so. Ein paar Stangen, ein Gestell, das als Hebelpunkt dient, einige Gewichte – und die Klasse kann selbst austesten, wie ein zierliches Mädchen schwerere Lasten heben kann als drei kräftige Rabauken. Und weil wir schon dabei sind, hieven wir mit dem Wagenheber und einer Hebelverlängerung doch gleich das Auto des Lehrers ein Stückchen in die Höhe. Eine Wippe, eine Personenwaage und ein Maßband befreien das Experiment aus der Simulation, in welcher es nie etwas verloren hatte. Wippen gibt es in echt!
Mit ein wenig Phantasie werden selbst auf den ersten Blick komplizierte Versuche real schultauglich. Die Sendung mit der Maus lässt mit Tischtennisbällen und Mausefallen Kettenreaktionen nach Atombombenmanier ablaufen, und wem nicht selbst etwas einfällt, der kann sich auf den Wettbewerben von Jugend forscht Anregungen in jedem Schwierigkeitsgrad holen. Drei Dimensionen, unendlich viele Farben, beliebig feine Auflösung, anfassen, herunterfallen, pieksen, körperlich anstrengen, atemlos sein, eine Apparatur, die im falschen Moment zerbricht, Dreck an der Kleidung und Blasen an den Händen – das bietet nur die Wirklichkeit.
Wer das Lernen auf den Bildschirm verbannt, der wird auch das Wissen im Computer einschließen. Denn der Schritt vom simulierten Hebelgesetz zum hochgestemmten Felsbrocken ist schwieriger, als unsere Padägogenweisheit sich träumen lässt. Mit überflüssig eingesetzter Software heben wir lediglich die Unwissenheit auf ein höheres Niveau. Viel mehr ist zu erreichen, wenn die Schüler mit Leib und Seele mitmachen müssen, voll drinstecken, Fliehkraft an wassergefüllten Eimern erfahren, die über Kopf gewirbelt werden, Säure-Base-Reaktionen als selbst gemixtes Brausepulver auf der Zunge spüren.
Die Lehrer und der Unterricht sollten sich dem wahren Leben annähern, sich nicht vor ihm im Rechner verbergen. Damit Physik und Chemie später keine Fächer sind, "die ich sowieso nie begriffen habe", sondern spannende Abenteuer. Doch dafür muss man auch als Erwachsener ein kleines bisschen Kind sein. Vielleicht nicht das Richtige für Pädagogen?
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