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Freistetters Formelwelt: Das Rätsel des Merkurs

Unser innerster Planet zieht auf einer Bahn um die Sonne, die Astronomen lange rätseln ließ. Um sie zu erklären, suchten sie nach einem Himmelskörper namens Vulkan. Erst Einstein kam auf die richtige Lösung.
Merkur in Farbe

Im November 1915 hielt Albert Einstein einen Vortrag vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Das Thema hat ihn letztlich weltberühmt gemacht. Was er dort vorstellte, ist heute als "allgemeine Relativitätstheorie" bekannt und stellt die Grundlage eines guten Teils der modernen Physik und Astronomie dar. Mit dem, was Einstein vor mehr als 100 Jahren herausgefunden hat, lässt sich das gesamte Universum beschreiben: die Entwicklung des Kosmos vom Urknall bis in die fernste Zukunft.

Einstein konnte zu Recht stolz auf seine Leistung sein. Als er aber seinen Freunden schrieb, er wäre "einige Tage lang außer sich vor Freude" gewesen, da hatte er nicht das Schicksal des Universums im Sinn. Er bezog sich auf seine Erkenntnisse über Merkur, den kleinsten Planeten unseres Sonnensystems.

Der sonnennächste Planet hatte die Astronomen seit Jahrhunderten vor ein Rätsel gestellt, und Einstein hatte dieses endlich gelöst. Mit folgender Formel:

Berechnung der Merkurbahn

Eine Schwierigkeit bestand auf der linken Seite des Gleichheitszeichens. Δφ bezeichnet die so genannte "Periheldrehung". So wie die anderen Planeten bewegt sich auch Merkur auf einer elliptischen Bahn um die Sonne, und der sonnennächste Punkt auf dieser Bahn wird Perihel genannt. Die Beobachtungen der Astronomen zeigen deutlich, dass das Perihel des Merkurs nicht fix ist. Die ganze Bahn dreht sich quasi um die Sonne herum, und der Planet erreicht seinen sonnennächsten Punkt bei jedem Umlauf an einer geringfügig anderen Position.

Das ist keine Überraschung, denn man wusste schon lange, dass die gravitativen Störungen der anderen Planeten genau so eine Drehung des Perihels verursachen. Problematisch war das Ausmaß: Die Periheldrehung des Merkurs erfolgte schneller, als sie sein sollte. Selbst wenn man alle Störungen aller bekannten Planeten berücksichtigte, blieb ein kleiner Teil der Drehung unerklärt.

Im 19. Jahrhundert vermuteten daher viele Astronomen, dass es innerhalb der Merkurbahn noch einen weiteren, bisher unentdeckten Planeten geben müsse, dessen Störungen für diesen rätselhaften Rest verantwortlich wären. Der durch die Entdeckung des Planeten Neptun berühmt gewordene französische Astronom Urbain Le Verrier berechnete die Umlaufbahn dieses hypothetischen Planeten, der sogar einen Namen bekam: Vulkan. Beobachter überall auf der Welt machten sich auf die Suche. Immer wieder gab es "Entdeckungen", die allerdings nie bestätigt werden konnten.

Trotzdem war man sich sicher, dass es Vulkan geben müsse. Wie sonst sollte man die seltsame Bewegung des Merkurs erklären können? Die Alternative wäre die Abkehr von einer der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien der letzten Jahrhunderte: Isaac Newtons Beschreibung der Gravitation. Dazu war kaum jemand bereit – wenn die Berechnungen falsche Ergebnisse lieferten, dann musste das am fehlerhaften Input (dem in den Rechnungen nicht berücksichtigten Vulkan) liegen und nicht an der Formel, mit der die Berechnungen durchgeführt wurden. Newtons Formel zur Gravitation war so erfolgreich, dass niemand ernsthaft daran dachte, man müsste sie modifizieren.

Niemand bis auf Albert Einstein. Seine allgemeine Relativitätstheorie warf ein völlig neues Licht auf die Gravitation und erklärte sie nicht als klassische Kraft, sondern als eine geometrische Eigenschaft der Raumzeit. Seine Feldgleichungen beschreiben, wie Massen den Raum krümmen und wie die Bahnen von Planeten dieser Raumkrümmung folgen. Aus diesen Gleichungen konnte er die oben angeführte Formel ableiten, mit der sich die Periheldrehung des Merkurs berechnen lässt. Sie hängt von der Größe von Merkurs Bahnellipse (a), ihrer Exzentrizität (e) und dem so genannten Schwarzschild-Radius der Sonne (einem Maß für ihre Gravitationswirkung) ab.

Diese Formel beschreibt die beobachtete Periheldrehung des Merkurs exakt. Einsteins Freude ist verständlich: Er hatte nicht nur ein jahrhundertealtes Rätsel gelöst, sondern gleichzeitig auch einen beeindruckenden Beleg für die Gültigkeit seiner Gravitationstheorie geliefert. Es brauchte keinen hypothetischen Planeten, es brauchte "nur" ein neues Verständnis der Gravitation, um die Bewegung des Merkurs zu erklären.

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