Springers Einwürfe: Dein Freund und Helfer
Mit der Polizei hatte ich – toi, toi, toi! – bisher wenig zu schaffen. Aber ich erfahre mit Genugtuung, dass die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen in letzter Zeit zunimmt. Wenn ich in der Fußgängerzone auf dem Fahrrad erwischt werde, verhalte ich mich schuldbewusst und einsichtig. In meinem Bekanntenkreis ist niemand Polizeibeamter.
Damit bin ich gewiss kein repräsentativer Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit. Die deutsche Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2020 nennt rund 5,31 Millionen Straftaten, von denen etwas mehr als die Hälfte aufgeklärt wurde – obwohl eine drittel Million Polizeibeamte im Einsatz war. Lässt sich die kostspielige und personalintensive Verbrechensbekämpfung nicht effizienter gestalten?
Ein naheliegendes Mittel zur Prävention von Straftaten wäre erhöhte Präsenz. Unter den Augen eines Ordnungshüters sinkt die Bereitschaft, etwas Verbotenes anzustellen. Doch Uniformierte an jeder Ecke ließen nicht nur die Personalkosten explodieren, sondern erzeugten auch ein unangenehmes Gefühl fortwährender Überwachung. Geht es anders?
Eine Antwort kommt aus überraschender Richtung. Der Verhaltenspsychologe Anuj K. Shah von der University of Chicago und der Kriminologe Michael LaForest von der Pennsylvania State University wollten eigentlich die so genannte Symmetrieannahme untersuchen: Wir neigen dazu, einem Fremden, von dem wir einiges wissen, zu unterstellen, er wisse ebenso gut über uns Bescheid, selbst wenn das gar nicht der Fall ist.
Vorgetäuschte Nähe
Zunächst erprobten die Forscher die Symmetrieannahme in Laborexperimenten. Anhand von Internetfragebögen gewannen Testpersonen fälschlich den Eindruck, sie würden ein anonymes Gegenüber – in Wirklichkeit ein Programm, das zufällige Antworten gab – recht gut kennen lernen. Danach gaben die Versuchspersonen an, der vermeintliche Vertraute verstehe nun auch umgekehrt sie gut. Beispielsweise zögerten sie jetzt auffallend, ihren neuen Intimus übers Ohr zu hauen, obwohl ihnen für den Betrug sogar eine symbolische Belohnung angeboten wurde.
Dieses Testergebnis brachte die beiden Forscher auf die Idee, das Experiment mit echten Ordnungshütern anzustellen. Wie wäre es, wenn Angehörige der New Yorker Polizei sich schriftlich per Brief und Karte bei den Bewohnern ausgesuchter Wohnviertel vorstellten? Entstünde so via Symmetrieannahme der Eindruck: Die Uniformierten kennen mich persönlich?
Die Briefe wurden bewusst intim gehalten. Sie enthielten sehr private Informationen wie: Ich stamme aus Sizilien, ich fische gern, ich übe meinen Beruf schon seit sechs Jahren aus, ich bin frisch verlobt, und so fort.
Diese Form der Kontaktaufnahme erwies sich als durchaus erfolgreich. Dort, wo die Briefe ankamen, sank die Kriminalität um fünf bis sieben Prozent gegenüber den »unbehandelten« Wohnvierteln, freilich nur ein paar Monate lang. Jedenfalls wirkte der Kontakt per persönlichem Brief nachweislich stärker als die üblichen Formen erhöhter Polizeipräsenz wie Besuche von Tür zu Tür oder ständige Anwesenheit an der nächsten Ecke.
Somit lässt sich die Symmetrieannahme hervorragend nutzen, um ohne exzessiven Personalaufwand und ohne aufdringliche Dauerpräsenz den Einwohnern das Gefühl zu geben: Ich kenne meine Polizisten – doch die kennen mich auch!
Um einen dauerhaften Effekt zu erzielen, reicht offensichtlich die einmalige Briefaktion nicht aus. Das wirft die Frage auf, ob wiederholte Initiativen der immer gleichen Art sich nicht abnützen und einen gewissen Überdruss erzeugen würden: Ja, ja, du gehst gern fischen … Aber das Prinzip der Symmetrieannahme ist gewiss ausbaufähig. Also: Polizistinnen und Polizisten, seid erfinderisch!
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