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Warkus' Welt: Die Erde im Hospiz

Der Umgang mit unheilbar kranken Menschen stellt uns vor ethische Herausforderungen. Doch was, wenn das Ende der Menschheit als Ganzes naht?
Erde mit Stethoskop

Stellen Sie sich vor, es wird ein Asteroid entdeckt, der in einigen Jahrzehnten mit der Erde kollidiert. Nach wissenschaftlichem Ermessen ist davon auszugehen, dass kaum ein Mensch diesen Zusammenstoß überleben wird. Die meisten werden unter großem Leid und Schrecken sterben. Einige wenige werden nach dem Aufprall die Fortexistenz der menschlichen Spezies vielleicht noch irgendwie sichern können, aber unter schlimmsten Bedingungen und möglicherweise ständig vom endgültigen Aussterben bedroht.

Man könnte argumentieren: Unter diesen Umständen befindet sich die Menschheit als Ganzes in der Situation eines unheilbar Kranken. Es geht nicht mehr um ihre Rettung, sondern darum, wie man den Rest ihrer Existenz gestalten soll.

Die Frage danach, wie genau und nach welchen Regeln man mit unheilbar Kranken umgehen soll, wird in der Philosophie, der Medizin, angrenzenden Disziplinen und natürlich auch in der breiten Öffentlichkeit kontrovers diskutiert – so sehr, dass an Themen wie passiver und aktiver Sterbehilfe im Ethik- und Religionsunterricht kaum ein Vorbeikommen ist. Darf oder soll man Patienten unter bestimmten Umständen schmerzlos töten? Oder ihnen zumindest lebensverlängernde Maßnahmen verweigern? Was ist mit Palliativmedizin – mit schmerzlindernden und/oder die Lebensqualität steigernden Maßnahmen, die unter Umständen gleichzeitig lebensverkürzend wirken?

Wenn wir bei Individuen hierüber nachdenken, ist es schwer genug zu entscheiden. Es wird noch schwieriger, wenn wir über die Menschheit als Ganzes nachdenken. Aus gutem Grund (nämlich wegen des Missbrauchs solcher Überlegungen durch totalitäre Ideologien) gilt es heutzutage als unzulässig, menschliche Populationen oder die gesamte Menschheit analog zum Körper eines Individuums zu betrachten. Die Menschheit kann höchstens in einem metaphorischen Sinn vom Tod bedroht oder unheilbar krank sein. »Medizinische« Kriterien auf sie insgesamt anzuwenden, wäre pseudowissenschaftlich und muss ausgeschlossen bleiben.

Daher müssen Überlegungen zu einem »Sterben der Menschheit« auf der Ebene der Individuen operieren. Kumulative Bewertungen der Lebensqualität zahlreicher Menschen können aber zu problematischen Ergebnissen führen. Wenn jeder lebende Mensch eine Lebenszufriedenheit größer null hat und Zufriedenheit verrechenbar ist wie ein Stoff- oder Geldstrom, wäre es plausibel, einfach ein unter den gegebenen Umständen möglichst schönes Leben zu führen und darauf zu achten, dass der eigene Tod mit wenig Leid einhergeht. Es könnte sogar rational sein, vor der Katastrophe noch so viele Kinder in die Welt zu setzen wie möglich – immer vorausgesetzt, auch diese sterben beizeiten ohne Leiden. (Voraussetzung wäre, dass das »Gesamtglück« im Leben sozusagen das Integral der Lebenszufriedenheit über die Zeit darstellt und die Zufriedenheit einer Gruppe durch Addieren der Lebenszufriedenheiten ihrer Mitglieder zu Stande kommt.)

Feiern bis zuletzt

In Nevil Shutes klassischem postapokalyptischem Roman »Das letzte Ufer« von 1957 passiert mehr oder minder genau das: Die verbliebenen, zum Untergang verdammten Menschen fahren Autorennen, betrinken sich, pflanzen einen Garten an und tun auch sonst, was ihnen Spaß macht. Die Regierung hat in weiser Voraussicht Tabletten ausgegeben, die allen einen schmerzlosen Tod ermöglichen, bevor die Fallout-Wolke, die durch einen globalen Atomkrieg entstanden ist, sie schließlich einholt.

Sie werden sich beim Lesen des Asteroidenbeispiels vielleicht gewundert haben, warum ich dieses so pessimistisch sehe. Wäre es unter den beschriebenen Umständen nicht sinnvoller, alle Kräfte der Menschheit in die Abwehr des Himmelskörpers zu stecken, statt über das kommende Ende nachzudenken?

Aber Sie werden auch verstanden haben, dass der Asteroid eine (leicht hinkende) Metapher für ein Worst-Case-Szenario der momentan stattfindenden Klimakatastrophe ist. Auf diese reagiert die Menschheit derzeit weder mit Maßnahmen zur Bekämpfung noch zur Gestaltung des eventuell kommenden Endes. Und dies, obwohl es durchaus Nachdenken darüber gibt, ob es angesichts der Prognosen und der Unwahrscheinlichkeit, dass noch irgendetwas Sinnvolles gegen die kommende extreme Erderhitzung getan werden kann, nicht schlicht geboten ist, rein »palliativ« mit ihr umzugehen. Das hieße sozusagen, »die Erde ins Hospiz zu verlegen« und das unvermeidliche Sterben unserer Spezies in Würde zu gestalten.

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