Hatts dufte Welt: Die Nase ist ein Wunderwerk
Die Nase ist ein Wunderwerk. Lange wurde sie vernachlässigt, belächelt oder gar verachtet. Hochnäsig blickte der Mensch auf die am Boden schnüffelnden Tiere herab. Hatte die Nase nicht auch etwas Animalisches? Triebhafte Geruchsbotschaften von Schweiß und anderen Körpersäften beflügelten die Fantasie. Die Kirche sah den religiösen Eifer durch verführerische Düfte gefährdet und fürchtete sexuelle Ausschweifungen, Philosophen verachteten das Riechen als niederen, sogar unseren unnötigsten Sinn, als Sinn des Genusses, nicht des Denkens.
Richtig ist: Die Nase ist unser empfindlichstes Sinnesorgan und greift tief in unser Leben ein – wenn auch oft unbewusst. Nur wenige Moleküle genügen, und wir schwelgen in den Düften des Frühlings, eines Parfums oder eines plötzlich sehr interessant erscheinenden Menschen. Die Nase erkundet für uns alle Aromen dieser Welt, vom edelsten Rotwein bis zum erlesensten Trüffel, gleichzeitig weckt sie Erinnerungen an die längst vergangene Kinderzeit oder schöne Urlaubstage. Omas Pflaumenkuchen – himmlisch! Frische Meeresbrise – wie die sorglosen Sommerferien der Schulzeit!
20 Millionen Riechzellen auf der Fläche einer Euromünze sind aber nicht nur auf Vergnügen aus, sondern nehmen auch feinste Spuren auf, wenn Gefahr droht. Der Wald brennt? Die Nase warnt uns frühzeitig. Der Fisch riecht verdorben? Hier lauert Vergiftung. Jemand verbreitet üble Gerüche? Achtung Krankheit! Während Augen und Ohren in die Weite gerichtet sind, stellen Nase und Mund die letzte Instanz dar, um den Menschen zu schützen. Ausspucken, Kontakt meiden, Luft anhalten und dann nichts wie weg, lautet der dringende Rat. Duftinformationen sind im Gegensatz zu Lichtreizen und Tönen langlebig und breiten sich über große Entfernungen aus. In solchen Situationen kann die Nase uns helfen zu überleben – oder morgens im Aufzug zu riechen, wer schon im Büro ist.
Riechen will gelernt sein
Doch ehe es so weit ist, müssen unsere Riechzellen erst einmal lernen. Die Duftschule beginnt schon im Mutterleib. Ab der 26. Schwangerschaftswoche sind die Riechzellen und ihre Verbindungen ins Gehirn bereits fertig angelegt. Embryos erfahren so über das Fruchtwasser, was ihre Mütter gern essen oder gar nicht mögen. Auch andere Dufterlebnisse der Mutter, vor allem, wenn sie mit starken Emotionen verknüpft sind, werden gerochen und gelernt. So übernimmt der Embryo die positiven und negativen Emotionen der Mutter und speichert sie ab. Ein Baby kommt daher schon mit Duftvorlieben und -abneigungen auf die Welt und kann sich noch Jahre nach der Geburt an einen Duft erinnern, den er nur aus der Zeit im Mutterleib kennt.
Jede Riechzelle ist dabei eine Spezialistin für einen bestimmten Duft, denn sie stellt nur eine Sorte von Duftsensoren, so genannte Rezeptoren her. Jeder erkennt nur bestimmte Duftstoffe wie Moschus, Vanillin oder Buttersäure. Insgesamt gibt es zirka 400 verschiedene solcher Duftrezeptoren. Damit decken wir unsere gesamte Geruchswelt ab.
Ist in der Atemluft ein Vanillinmolekül unterwegs, so kann es seinen entsprechenden Rezeptor anschalten wie ein Schlüssel, der ins richtige Schloss gesteckt wird. Die Riechzelle verstärkt das chemische Signal und wandelt es in einen elektrischen Stromimpuls um, der über einen dünnen Nervenfaden in den Riechkolben im Gehirn gelangt. Dort werden die Informationen gesammelt und verarbeitet, anschließend über zwei dicke Nervenstränge direkt ins Gedächtniszentrum (Hippocampus) und ins Emotionszentrum (limbisches System) geleitet und miteinander verknüpft.
Die komplexen Duftmuster werden auf diese Weise abgespeichert. Denn die meisten Gerüche bestehen nicht nur aus einer Sorte von Duftmolekülen, sondern einer ganzen Mischung. Kaffeeduft setzt sich zum Beispiel aus mehr als 200 unterschiedlichen Duftstoffen zusammen. Sie alle aktivieren »ihre« Rezeptortypen, so dass ein typisches Kaffeeaktivierungsmuster entsteht. Das Duftalphabet hat 400 Buchstaben, »Duftwörter« können 100 und mehr Buchstaben lang sein.
Tor zum Bewusstsein
Kein Wunder, dass Düfte viel schwieriger zu lernen sind als Worte. Mit der Zeit, vor allem mit viel Übung, lernt die Nase viele solcher »Duftwörter« und erkennt die Gerüche wieder. Für manche Gerüche hat der Mensch sogar eine feinere Nase als der Hund mit seiner legendären Supernase. So können wir sehr gut zum Beispiel Banane riechen, die für unsere Ernährung wichtig ist. Für den Hund haben Bananen dagegen keine Bedeutung, daher sind sie ihm ziemlich schnuppe. Überhaupt riechen Menschen viel besser, als man lange Zeit glaubte. Mit Ratten oder Elefanten, die den besten Geruchsinn haben, können wir allerdings nicht mithalten, das haben Untersuchungen gezeigt. Sie haben ein Vielfaches an Rezeptoren und erleben die ganze Welt durch die Nase.
Der heiße Draht der Duftinformationen in die ältesten Areale des Gehirns bewirkt, dass Gerüche unmittelbar Erinnerungen und Gefühle auslösen, ohne dass der Mensch so recht weiß, wie ihm geschieht oder gar zuvor eine rationale Entscheidung treffen könnte, denn durch das Tor zum Bewusstsein, den Thalamus, gehen nur wenige Duftinformationen. Unbewusst und unwillkürlich empfinden wir Ekel, Lust oder Wohlgefallen. Wie wir bestimmte Düfte bewerten, ist dabei nicht genetisch programmiert, sondern alles erlernt und hängt von unserer Erfahrung und Erziehung ab. Ein romantischer Urlaub in der Provence und wir schwärmen fortan für Lavendel. Die ungeliebte Tante aus der Kindheit, die mit Lavendel ihren Altersgeruch zu vertreiben suchte, lässt uns den Duft zeitlebens eher abstoßend empfinden.
Nebenbei kann der Mensch viel tun, um sein Riechvermögen zu trainieren. Je mehr er übt, Düfte zu lernen und wiederzuerkennen, je mehr Düfte und Aromen er der Nase anbietet, desto besser wird sie funktionieren. Am besten sind tägliche Riechübungen. Unabhängig vom Alter kann man damit jederzeit beginnen. Versuchen Sie es ruhig einmal: beim nächsten Essen im Restaurant die Gewürze und Kräuter zu bestimmen, beim nächsten Einkauf auf dem Wochenmarkt drei unbekannte Gerüche zu entdecken.
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