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Affenpocken: Die neue Mpox-Krise war vermeidbar

Der zweite Mpox-Notfall in zwei Jahren hätte verhindert werden können. Die Industriestaaten haben die afrikanischen Länder mit dem Problem im Stich gelassen. Neue Seuchen müssen global bekämpft werden, kommentiert Lars Fischer.
3D-Render eines Pockenvirus.
Ihm kann man bei der Sache keinen Vorwurf machen. Das Mpox-Virus gehört zu den Riesenviren, einer Gruppe von rätselhaften Organismen mit komplexem Aufbau und noch komplexerem Lebenszyklus.

Die Menschheit begegnet globalen Problemen kaum planvoller und vorausschauender als eine Gruppe Goldhamster. Das ist die zentrale Erkenntnis der aktuellen Affenpocken-Krise, ausgelöst durch die neue und mutmaßlich gefährlichere Virusvariante Klade Ia, die nun erstmals in Europa aufgetaucht ist. Vor allem die reichen Industriestaaten scheinen nur die eigene Vorratskammer im Blick zu haben und ihr Mitgefühl endet am Ausgang der eigenen Wohnhöhle. Sinnbildlich für das Problem steht die »Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite«, zu der die Weltgesundheitsorganisation WHO die aktuelle Situation vergangene Woche erklärte – zum zweiten Mal in zwei Jahren. Hauptursache der Doppelkrise ist die kurzsichtige internationale Reaktion auf die globale Ausbreitung des Virus.

Eigentlich ist das Mpox-Virus, wie es mittlerweile offiziell genannt wird, recht leicht einzudämmen. Das zeigt der erfolgreich unterdrückte internationale Ausbruch von 2022. Eine Pandemie nach dem Muster der sehr ansteckenden Influenza- und Sars-CoV-2-Viren oder des heimtückischen HIV ist außerordentlich unwahrscheinlich. Dazu ist der Erreger nicht virulent genug. Ganz abgesehen davon, dass es bereits einen gut verträglichen und wirksamen Impfstoff gibt.

Die neue Variante des Erregers zeigt jedoch, welche Risiken eine unzureichende internationale Reaktion birgt. Zum einen nämlich verdeutlicht Mpox wieder einmal, dass in der internationalen Politik zwar viel von »Weltgemeinschaft« und »globalem Handeln« die Rede ist, tatsächlich allerdings das Interesse am Portal der eigenen Höhle endet. Goldhamster eben. Zum anderen kann ein neu aufgetauchtes Virus, auch wenn es vergleichsweise harmlos erscheint, ganz unerwartete Dinge tun. Die Gefahr geht deshalb nicht nur von Mpox aus, sondern vor allem vom nächsten, vielleicht vom übernächsten Virus.

Ein Problem mit Ansage

Die reichen Industrieländer haben die Staaten des globalen Südens in der Vergangenheit noch mit jedem Problem allein gelassen, und dieser Ausbruch fügt sich in das Muster. Als die WHO am 23. Juli 2022 zum ersten Mal im mit Blick auf das sich über Ländergrenzen hinweg ausbreitende Mpox-Virus eine »Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite« ausrief, zirkulierte es bereits seit mehreren Jahren unter Menschen. Diese erste humane Version des Virus, Klade IIb genannt, fiel 2017 durch einen größeren Ausbruch in Nigeria auf.

Doch schon das war nur eine weitere Stufe einer Entwicklung im afrikanischen Ursprungsgebiet des Erregers, die Fachleute bereits seit geraumer Zeit mit Sorge beobachtet hatten. Seit ihrer Entdeckung Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Affenpocken eine Tierseuche, die nur selten auf Menschen übersprang – eine klassische Zoonose. Die Fähigkeit des Mpox-Virus, immer mal wieder Menschen zu infizieren, machte es – ebenso wie seine Verwandtschaft zum menschlichen Pockenvirus – zu einem potenziell gefährlichen Erreger. Als 2017 klar wurde, dass der Erreger die Fähigkeit erworben hatte, sich dauerhaft von Mensch zu Mensch auszubreiten, interessierte das außerhalb Afrikas jedoch praktisch niemanden.

Aufregung um das neue Pockenvirus gab es erst, als sich Menschen außerhalb Afrikas anzustecken begannen. Die von der WHO daraufhin ausgerufene »Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite« ist kein bloßer Alarmruf, sondern ein Verwaltungsakt, der die Bekämpfung des Ausbruchs international vereinheitlichen und effektiver machen soll. Eine globale Antwort eben. Nur, global war das keineswegs. Als die »Notlage« am 11. Mai 2023 endete, war das Problem außerhalb Afrikas lediglich notdürftig unter den Teppich gekehrt worden.

Das Problem war nicht gelöst

Tatsächlich aber stellte sich die Situation folgendermaßen dar: Die neue Klade IIb zirkuliert zwar auf niedrigem Niveau, aber weiterhin weltweit und besonders in ihrer westafrikanischen Herkunftsregion. Währenddessen sprang die als tödlicher geltende Klade I in Zentralafrika immer wieder auf Menschen über.

Beide waren und sind nicht ansteckend genug, um sich global unkontrolliert auszubreiten. Doch im Kontext der Covid-19-Pandemie werden sich viele wohl noch daran erinnern, dass besonders neu auftretende Viren gelegentlich ansteckendere und gefährlichere Varianten hervorbringen können. Auch die Menschenpocken mutierten möglicherweise einst von einem eher harmlosen Virus zu einer tödlichen Seuche.

Vor diesem Hintergrund ist das globale Versäumnis, Staaten in den afrikanischen Endemiegebieten Geld, Material und Unterstützung gegen die neue Krankheit zur Verfügung zu stellen, außerordentlich fahrlässig. Der vermeintliche Erfolg gegen Mpox, als der der sehr kurze Ausbruch mit nur wenigen Todesfällen verbucht wurde, war lediglich zwei glücklichen Umständen zu verdanken. Die international zirkulierende Klade IIb war so wenig ansteckend, dass das Virus sich nur unter ganz bestimmten Umständen in einer sehr kleinen Gruppe dauerhaft ausbreiten konnte. Das machte es einfach, gezielt dagegen vorzugehen.

Das schnelle Ende der internationalen Bekämpfung ließ dem Virus jedoch gleich zwei Hintertürchen offen, ansteckender und gefährlicher zurückzukehren. Neben der nach wie vor unter Menschen zirkulierenden Klade IIb stand in Zentralafrika die immer wieder bei Menschen auftauchende, tödlichere Klade I bereit. Letztere hat 2023 dann ebenfalls den Sprung zur Mensch-zu-Mensch-Übertragung geschafft – und nun gibt es den ersten Fall außerhalb Afrikas.

Eine globale Aufgabe

Zur Wahrheit gehört: Etwas gegen Mpox in Zentral- und Westafrika zu tun ist leichter gesagt als getan. Die Herkunftsregion der Krankheit ist politisch instabil und immer wieder Ort bewaffneter Konflikte. Und für die betroffenen Staaten ist Mpox nur eines von vielen Gesundheitsproblemen, und nicht das wichtigste. Nur: Wo war überhaupt der Versuch? Der globale Süden scheint nur einen Gedanken wert, wenn irgendwelche Europäer Pusteln am Hintern kriegen. Das jedenfalls war die Botschaft des Mpox-Gesundheitsnotfalls von 2022.

Die nun von der WHO neu ausgerufene gesundheitliche Notlage bezieht sich immerhin auf den zentralafrikanischen Ausbruch, nicht auf den einen Fall außerhalb des Kontinents. Die rechtliche Basis der Ankündigung, die vertraglich vereinbarten International Health Regulations (IHR), enthalten neuerdings zudem den Passus, dass die Industriestaaten auch bei Ausbrüchen im globalen Süden ihren Anteil beizutragen haben.

Der erste Testfall dafür ist der Impfstoff gegen Mpox. Die betroffenen Staaten brauchen nach eigener Einschätzung rund zehn Millionen Impfdosen. Die müssen die reichen Industriestaaten in ausreichender Menge zur Verfügung stellen, damit der laufende Ausbruch in Zentralafrika bekämpft werden kann. Deren erster Impuls angesichts der ersten Fälle außerhalb Afrikas wird sein, wie auch in der Covid-19-Pandemie, möglichst viele Dosen für die eigene Bevölkerung zu beschaffen.

Der Mpox-Doppelnotfall allerdings zeigt wie kaum je zuvor, dass dieser egoistische Ansatz nicht funktioniert. Jetzt ist die Chance da, die Lektion zu lernen. Es ist nicht nur die Gelegenheit, Mpox an seiner Quelle zurückzudrängen. es könnte sich auch eine neue, wirklich globale Form der Kooperation für zukünftige Krisen etablieren. Oder wird wieder nur gehamstert?

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