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Freistetters Formelwelt: Herr Koides Vorhersage für das Reich der Neutrinos

Beim Enträtseln der flüchtigen Neutrinos könnte eine besonders »schöne« Formel helfen. Aber hält sich die Natur wirklich an das, was Physiker schön finden?
5. Nachweis des Higgs-Bosons

Vor einigen Wochen hat am Karlsruher Institut für Technologie ein lange geplantes Experiment zur Messung der Neutrinomassen begonnen. Diese flüchtigen Elementarteilchen stellen für die Wissenschaft immer noch ein großes Rätsel dar. Die Bestimmung ihrer Masse mit dem KATRIN-Experiment hilft der Teilchenphysik hoffentlich, ein paar Antworten auf lange offenen Fragen zu finden. Und vielleicht hilft sie auch bei einem Verständnis von »Koides Formel«.

1981 veröffentlichte der japanische Teilchenphysiker Yoshio Koide diese Gleichung:

Koides Formel

Sie setzt die Massen von Elektron, Myon und Tauon in einen Zusammenhang. Zusammen mit den Quarks und den Neutrinos gehören diese zu den Elementarteilchen, die im Standardmodell der Teilchenphysik beschrieben werden. Die Massen, die Koide in seiner Formel verwendet, können nicht theoretisch abgeleitet, sondern nur experimentell bestimmt werden. Setzt man allerdings diese Werte ein, dann erhält man innerhalb der aktuellen Messgenauigkeit einen Wert von 0,6666617.

Es ist einerseits überraschend, dass hier überhaupt eine »runde« Zahl wie zwei Drittel als Ergebnis herauskommt. Noch seltsamer ist, dass Koides Formel ein Ergebnis liefert, das genau in der Mitte der möglichen Extremwerte liegt. Wären die Massen von Elektron, Myon und Tauon identisch, dann würde die Formel einen Wert von einem Drittel liefern. Wäre die Masse eines Teilchens sehr viel größer als die der anderen beiden, dann lautet das Ergebnis 1.

Warum dieser Zusammenhang zwischen den Massen der drei Elementarteilchen besteht, ist unbekannt. Genau genommen ist nicht einmal sicher, ob so ein Zusammenhang überhaupt besteht oder ob es sich nur um einen numerischen Zufall handelt. Momentan haben wir keine Ahnung, warum die Elementarteilchen die Masse haben, die sie haben.

Mit dem Higgs-Mechanismus, der durch den experimentellen Nachweis des Higgs-Bosons 2012 bestätigt wurde, lässt sich zwar beschreiben, wie Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen. Aber der exakte Wert der Masse eines Teilchens lässt sich nur messen und nicht direkt aus einer Theorie ableiten.

Zumindest nicht aus den Theorien, die momentan existieren. Das Standardmodell der Teilchenphysik gehört zwar zu den erfolgreichsten Modellen der modernen Wissenschaft, hat aber seine Grenzen. Darüber hinaus gehende Hypothesen wie zum Beispiel die »Supersymmetrie« konnten durch Experimente bisher nicht bestätigt werden.

Koides Formel illustriert ein fundamentales Problem an der Schnittstelle zwischen Mathematik und Physik. Nur weil sich ein mathematischer Zusammenhang zwischen physikalischen Größen beschreiben lässt, muss es deswegen noch lange kein physikalischer Zusammenhang sein. Koides Formel könnte auf einen noch unbekannten Mechanismus hindeuten, der auf ebenfalls noch unentdeckte Naturgesetze zurückgeht. Oder aber er ist einfach nur eine mathematische Kuriosität ohne tieferen physikalischen Hintergrund.

Wir neigen dazu, »schöne« Formeln für richtig zu halten. Einen überraschenden Zusammenhang wie den, der in Koides Formel beschrieben wird, wollen wir nicht einfach ignorieren. Die Formel ist auf eine spezielle Weise elegant und das numerische Resultat »schön«. Es fällt schwer, dem keine Bedeutung zuzumessen. Aber das Universum ist nicht verpflichtet, sich durch mathematische Gleichungen beschreiben zu lassen, die unseren Sinn für Ästhetik befriedigen. Bei genauerer Betrachtung gibt es keinen Grund, warum eine korrekte Beschreibung der Natur auch zwingend »schön« sein muss. Genau genommen ist nicht einmal sicher, ob überhaupt ein einziges korrektes Modell existiert, das alle Phänomene im Universum beschreiben kann.

Koides Formel kann beides sein: Ein Schritt auf dem Weg hin zu einer ästhetisch befriedigenden »Weltformel«. Oder aber die Illustration einer Sackgasse, in die wir uns durch die Suche nach »schönen« Naturgesetzen manövriert haben.

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