Höhentraining: »Man atmet schneller und intensiver«
Um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern, fahren Athletinnen und Athleten zum Training in die Berge. Aber ist die Wirkung des Höhentrainings auch wissenschaftlich nachgewiesen? Der Sportwissenschaftler Hannes Gatterer vom privaten Forschungszentrum Eurac Research in Bozen erklärt, wer unter welchen Umständen davon profitieren kann.
In den Bergen zu trainieren sei besonders effektiv, heißt es unter Sportlern. Sieht das die Wissenschaft genauso, Herr Gatterer?
Das ist tatsächlich umstritten. Mein Kollege Christoph Siebenmann liefert sich beispielsweise eine intensive Debatte mit Sportwissenschaftlern aus der Schweiz und Frankreich. Die sind der Meinung, dass das Training in Höhenlage für Athleten von Vorteil ist. In einer zeitgleich erschienenen Publikation schreiben Siebenmann und ein Kollege aus den USA, es gebe keine soliden Beweise dafür, dass Höhentraining überhaupt etwas bringt. Im Gegenteil, es raube wertvolle Zeit, die die Athleten besser auf das Training unter Normalbedingungen verwenden sollten.
Auf welcher Seite stehen Sie?
Vermutlich irgendwo in der Mitte. Es gibt gute Argumente für beide Seiten. Die Studienlage ist insgesamt sehr uneinheitlich, das spiegelt den wissenschaftlichen Diskurs gut wider.
Was passiert denn in meinem Körper, wenn ich mich in den Bergen aufhalte oder trainiere?
Je weiter ich nach oben steige, desto weniger Sauerstoff ist in der Luft. Der Körper reagiert darauf mit verschiedensten Anpassungen, zum Beispiel wird die Atmung stimuliert, und er bildet mehr rote Blutkörperchen. Sie enthalten den Blutfarbstoff Hämoglobin, der Sauerstoff bindet und durch den Körper transportiert. So gelangt mehr Sauerstoff zur Muskulatur, was sich positiv auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirken kann.
Klingt logisch. Warum ist es so schwer, herauszufinden, ob dem tatsächlich so ist?
Weil es schwierig ist, beim Höhentraining verblindete, randomisiert-kontrollierte Studien durchzuführen.
Weil die Menschen merken, ob sie gerade auf einem Berg stehen oder nicht?
Genau. Es gibt aber so genannte Höhenkammern, also Räume, wo man eine bestimmte Sauerstoffkonzentration einstellen kann. Hält sich ein Teil der Probandinnen und Probanden dort bei normaler Sauerstoffkonzentration auf, während der andere einem Sauerstoffmangel ausgesetzt ist, kann man eine Studie also doch verblinden. Genau das hat ein Team um Siebenmann und Carsten Lundby von der Universität Zürich vor einigen Jahren zum ersten Mal gemacht – und konnte keine Leistungssteigerung feststellen. Das hat die Debatte letztendlich losgetreten.
Also spielt der Placeboeffekt eine Rolle.
Das behauptet jedenfalls das Team um Siebenmann. Wenn die Athleten zum Training in die Berge fahren, erwarten sie, dass sie sich verbessern. Das kann die Leistung beeinflussen. Außerdem betreiben Personen, die Höhentraining absolvieren, ihren Sport oft mit höherer Intensität. Bei manchen Studien findet sich daher ein Unterschied im Trainingspensum zwischen Höhentrainings- und Kontrollgruppe. Das wird kritisiert, denn auch das beeinflusst natürlich die Messdaten.
Was setzen die Verfechter des Höhentrainings dem entgegen?
Es gibt unzählige Athletinnen und Athleten, die behaupten: Nach dem Höhentraining bin ich fitter und leistungsfähiger. Die meisten Spitzenathleten machen es. Diesen Aufwand würde doch niemand in Kauf nehmen, wenn es keinerlei Effekt auf die Leistungsfähigkeit hätte.
Von Sportler zu Sportlern
Eigentlich ist Fußball Hannes Gatterers Leidenschaft. Aber auch die Berge haben es ihm angetan. Er würde jedem, der Interesse an Höhentraining hat, empfehlen, einmal in die Berge zu fahren, dort einige Zeit zu verbringen und zu trainieren – auch wenn die wissenschaftliche Datenlage unklar ist. Wenn man sich dabei wohlfühle und die Leistung steige, spreche nichts dagegen, sagt der Sportwissenschaftler.
Es handelt sich demnach eher um persönliche Erfahrungen, die sich schwer quantifizieren lassen?
Ja. Das sind vielfach Erfahrungsberichte. Sie spiegeln die allgemeine Wahrnehmung wider und werden oft herangezogen, um die Wirkung des Höhentrainings zu belegen. Aber es gibt auch wissenschaftliche Arbeiten mit Kontrollgruppen, laut denen das Höhentraining die Leistungsfähigkeit verbessert hat. Dazu muss man sagen, dass es verschiedene Arten von Höhentraining gibt. Ich spreche jetzt von »live high, train low«, das bedeutet: Ein Sportler lebt in der Höhe und trainiert im Tal.
Was bedeutet »in der Höhe«? Und wie lange muss man das machen?
Gemäß der allgemeinen Empfehlung sollte man sich für drei Wochen mindestens 12 bis 14 Stunden pro Tag auf 2000 bis 2500 Metern aufhalten. Daneben gibt es auch »live low, train high« und »live high, train high« und noch eine Vielzahl weiterer Kombinationsmöglichkeiten. Man kann zum Beispiel wiederholte Sprints auf 3000 Meter Höhe machen. Das ist ein relativ neues Konzept und stellt quasi eine Spezialform von »live low, train high« dar.
»Der durch den Sauerstoffmangel verursachte zusätzliche Reiz scheint die Athleten belastbarer zu machen«
Welche der Methoden ist am effektivsten?
Das ist schwer zu sagen und kommt auf die Sportart an. Diese wiederholten Sprints, die ich eben erwähnt habe, werden beispielsweise hauptsächlich für Sportarten empfohlen, bei denen es viele Starts und Stopps gibt, etwa beim Tennis, beim Fußball und bei anderen Mannschaftssportarten. Der durch den Sauerstoffmangel verursachte zusätzliche Reiz scheint die Athleten belastbarer zu machen. Sie ermüden weniger schnell, wenn sie oft hintereinander lossprinten müssen. »Live high, train low« ist hingegen eher für den Ausdauersport geeignet, etwa für Langstreckenlauf, Radfahren oder Skilanglauf.
Warum sollten Ausdauersportler besser im Tal trainieren?
Das Problem ist: Wenn man nach oben geht, sinkt die Leistungsfähigkeit. Nehmen wir an, mein normales Trainingstempo liegt bei 14 Kilometern pro Stunde. Dabei habe ich eine Herzfrequenz von 140 Schlägen pro Minute. Wenn ich mit diesem Tempo nun in der Höhe laufe, liegt meine Herzfrequenz bei 160. Das ist zu hoch. Ich muss also auf 12 Kilometer pro Stunde drosseln, damit ich wieder die richtige Herzfrequenz habe. Das führt aber dazu, dass der lokale Reiz auf die Muskulatur zu gering ist – letztendlich verliere ich also an Leistung. Darum ist es für den Ausdauersport vermutlich besser, auf dem Berg zu leben, um die Bildung roter Blutkörperchen anzuregen, aber im Tal – mit der gewohnten Intensität – zu trainieren.
Wenn ich einen Berglauf machen möchte, sollte ich aber schon auf dem Berg trainieren, oder?
Ja. Wenn Sie einen Wettkampf auf mittlerer Höhe planen, sollten Sie unbedingt dort trainieren und sich akklimatisieren. Dass es etwas bewirkt, ist wissenschaftlich erwiesen. Streitereien gibt es nur bei der Frage: Verbessert Höhentraining die sportliche Leistung im Tal?
Warum ist es wichtig, sich zu akklimatisieren?
Wenn ich plötzlich auf 3000 Metern Sport treibe, muss ich mit einem Leistungseinbruch rechnen. Ab zirka sechs Stunden Aufenthalt können gesundheitliche Probleme auftreten, man spricht von der Höhenkrankheit. Auf 3000 Metern betrifft das etwa 10 bis 20 Prozent der Menschen. Auch die Schlafqualität kann beeinträchtigt sein. Die meisten werden einen Leistungsabfall bemerken. In einer Studie zeigte sich, dass drei Tage Aufenthalt in den Bergen diesen Effekt bereits zur Hälfte kompensieren können. Optimal wären ein bis zwei Wochen.
Kann der Körper denn binnen drei Tagen rote Blutkörperchen neu bilden?
Nein. Dafür braucht es in moderater Höhe mindestens 14 Tage. Aber es findet eine andere Art der Anpassung statt: Man atmet schneller und intensiver – dadurch steigt die Sauerstoffsättigung im Blut. Außerdem findet eine Art »Aufkonzentration« statt: Das Blut verliert an flüssigem Anteil. Das bedeutet, dass in 100 Millilitern Blut nun mehr rote Blutkörperchen enthalten sind als vorher. Insgesamt bleibt ihre Anzahl aber gleich.
Hängt das nicht auch davon ab, wie viel man trinkt?
Natürlich. Wir haben jedoch festgestellt, dass es zu dieser Hämokonzentration auch dann kommt, wenn man genügend getrunken hat. Für diese Studie haben wir unseren Probanden täglich drei Liter zu trinken gegeben und sie für vier Tage auf 3500 Metern in einer Höhenkammer wohnen lassen.
Mussten die Probanden dann häufiger Wasser lassen?
Nein. Wir gehen davon aus, dass die Flüssigkeit aus den Gefäßen ins Gewebe eintritt. Manche Menschen müssen in der Höhe aber tatsächlich häufiger urinieren, man spricht auch von der Höhendiurese. Es gibt also zwei mögliche Mechanismen. Welcher für die Volumenabnahme des Bluts verantwortlich ist, ist noch nicht endgültig geklärt.
»Derzeit sind keine gesundheitsschädlichen Effekte von Training in moderater Höhe bekannt«
Kann dieser Flüssigkeitsverlust gefährlich werden?
Nein, so massiv ist er nicht, die körperlichen Reaktionen sind moderat. Um das klarzustellen: Wir sprechen hier über moderate Höhenlagen, also grob zwischen 1500 und 3000 Metern – die genauen Definitionen unterscheiden sich da etwas.
Könnte der Sauerstoffmangel dem Gehirn oder anderen Organen schaden?
In diesen Lagen eigentlich nicht. Hochintensive Belastungen, etwa Sprints, bewirken allerdings ganz allgemein einen Anstieg des Blutdrucks. Kommt dann noch der Sauerstoffmangel dazu, kann das dazu führen, dass sich die Gefäße im Gehirn ausdehnen. Ob das Schäden im Gehirn verursachen kann, wird diskutiert, ich erwarte es aber nicht. Derzeit sind keine gesundheitsschädlichen Effekte von Training in moderater Höhe bekannt.
Was kann ich tun, wenn ich keinen Berg vor der Haustüre habe und trotzdem gerne Höhentraining betreiben würde?
Mittlerweile ist da ein gewisser Markt entstanden. Einige Hersteller bieten Hypoxikatoren für den Hausgebrauch an, das sind Geräte, die den Sauerstoff aus der Luft filtern. Man kann eine ganz bestimmte Sauerstoffkonzentration einstellen und so eine gewisse Höhe simulieren. Diese Luft atmet man entweder beim Trainieren durch eine Maske – das entspricht dem Prinzip »live low, train high«. Oder man schläft in einem Zelt, das mit dieser Luft belüftet wird – nach dem Prinzip »live high, train low«.
Was gilt es dabei zu beachten?
Das ist auf jeden Fall mit Vorsicht zu genießen. Mit diesen Generatoren kann man teilweise auf 7000 Meter gehen, damit setzt man sich einer erheblichen Gefahr aus. Man sollte daher stets die Sauerstoffkonzentration im Blut kontrollieren und Abbruchkriterien definieren, beispielsweise: Ich gehe nicht unter 90 Prozent Sauerstoffsättigung. Am besten führt man ein solches Training – zumindest anfangs – nur unter ärztlicher Aufsicht durch.
Genug Eisen im Blut?
Vor einem Höhentraining sollte ein Arzt oder eine Ärztin den Eisenstatus bestimmen: Eisenionen sind ein zentraler Bestandteil des Blutfarbstoffs Hämoglobin. Damit mehr rote Blutkörperchen gebildet werden können, muss der Körper also über genügend Eisen verfügen. Laut dem Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten sollten Männer zwischen 9 und 29 Mikromol Eisen pro Liter im Blut haben, Frauen zwischen 9 und 27 Mikromol. Wenn kein Mangel besteht, wird auch keine vorbeugende Einnahme von Eisen empfohlen.
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