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In Bestform: »Körperliche Aktivität setzt die Darmtätigkeit in Gang«

Sport kann Verdauungsprobleme verursachen. Läufer hätten oft Darmbeschwerden, Radfahrer wiederum häufig Sodbrennen, sagt Frank Mooren. Im Interview erklärt der Sportmediziner, wie Sportlerinnen und Sportler dem Unwohlsein vorbeugen können.
Eine Joggerin hält sich den Bauch

Bewegung regt die Verdauung an. Bei Verstopfung oder Blähungen kann das zwar hilfreich sein, aber manche Sportlerinnen und Sportler bekommen ernsthafte Probleme in Magen oder Darm. Woran liegt das? Und was kann man dagegen tun? Der Sportmediziner Frank Mooren von der Universität Witten/Herdecke weiß Rat.

»Spektrum.de«: Warum müssen manche beim Joggen urplötzlich zur Toilette?

Frank Mooren: Die körperliche Aktivität setzt die Darmtätigkeit in Gang. Die mittlere Transitzeit – also die Zeit, die die Nahrung braucht, um vom Mund bis zum Anus zu gelangen – nimmt unter sportlicher Aktivität ab, wie Studien zeigen. Das wirkt sich unterschiedlich auf die verschiedenen Bereiche des Verdauungstrakts aus: Im oberen Teil kann sich die Passage der Nahrung eher etwas verzögern, während es im unteren Darmbereich schneller geht. Da jener Abschnitt den Großteil der gesamten Transitzeit ausmacht, wird diese unterm Strich kürzer.

Frank Mooren | Der Internist und Sportmediziner leitet den Lehrstuhl für Rehabilitationswissenschaften der Universität Witten/Herdecke und ist Ärztlicher Direktor der Reha-Klinik Königsfeld in Ennepetal.

Also muss manche entsprechend früher zur Toilette.

Ja, genau. Es kommt natürlich auf den jeweiligen Darminhalt an, aber man kann sich das so vorstellen: In der Darmwand befinden sich migrierende motorische Komplexe, das sind im Grunde genommen elektrische Zentren. Diese werden durch Dehnung oder Bewegung aktiviert und sorgen dafür, dass der Nahrungsbrei in Richtung Anus befördert wird.

Man hört immer wieder, dass Leistungssportler bei Wettkämpfen Magenkrämpfe oder sogar blutige Durchfälle bekommen. Sind das Einzelfälle, oder kommt so etwas häufiger vor?

Sie können davon ausgehen, dass unter Marathonläufern bis zu 20 Prozent Beschwerden im Magen-Darm-Trakt haben. Wenn es in die Ultradistanz, also über 42 Kilometer geht, sind es sogar noch mehr. Teilweise lässt sich in bis zu 80 Prozent der Stuhlproben Blut nachweisen. Man muss dazu sagen: Nicht immer korreliert ein solcher Befund mit einer Symptomatik. Oft haben diese Sportler gar keine Beschwerden. Andersherum kenne ich Sportler, die Magen-Darm-Probleme haben, es lässt sich jedoch weder im Stuhl noch im Blut etwas nachweisen.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Wir haben jetzt vor allem übers Laufen gesprochen. Kann es auch bei anderen Sportarten zu solchen Beschwerden kommen?

Da ist zwischen verschiedenen Symptomen zu unterscheiden. Was wir gerade besprochen haben – zur Toilette zu müssen, Durchfall und Blut im Stuhl –, bezieht sich ausschließlich auf den unteren Gastrointestinaltrakt. Das ist fürs Laufen typisch. Bei anderen Sportarten, beispielsweise Gewichtheben oder Radfahren, kann der obere Gastrointestinaltrakt mehr betroffen sein.

Dass man zum Beispiel Sodbrennen hat?

Genau. Das kommt bei Radfahrern häufiger vor.

Hängt das mit der Haltung zusammen? Auf einem Rennrad beugt man sich ja weit nach vorne, so dass der Oberkörper fast waagerecht ist.

Ja, auch das begünstigt den Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre. Genau wie die motorische Aktivität an sich. Zwar haben manche Radsportler ebenso im unteren Gastrointestinaltrakt Probleme, aber die meisten Beschwerden betreffen den oberen Teil.

Haben die Verdauungsprobleme mit der Belastungsintensität zu tun? Selbst ich als Hobbysportlerin merke, dass mit meiner Verdauung etwas nicht stimmt, wenn ich mal so richtig ans Limit gehe.

Es gibt verschiedene Einflussfaktoren. Auch die Belastungsintensität spielt eine Rolle. Je stärker ich mich belaste, desto mehr beeinflusse ich meinen Magen-Darm-Trakt. Die letzte Nahrungsaufnahme und -menge ist ebenfalls entscheidend. War es zu viel oder zu kurz vor einem harten Training oder Wettkampf, hat man eher Probleme. Außerdem gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass es vom Trainingszustand abhängt. Je besser man trainiert ist, desto seltener kommt es zu solchen Symptomen. Das deutet auf einen ganz wesentlichen Aspekt hin: die gastrointestinale Perfusion, die Durchblutung des Verdauungstrakts.

Sie verändert sich während des Sports?

Ja. Das kann zu einem Sauerstoffmangel im Darm führen. Der Körper hat nur eine begrenzte Menge Blut zur Verfügung. Unter Belastung findet eine Umverteilung statt: Die Muskeln benötigen mehr Sauerstoff und damit Blut. Im weiteren Verlauf fließt mehr Blut in Richtung Haut, um die Körpertemperatur zu regulieren. Gleichzeitig dürfen wichtige Organe wie die Nieren oder das Gehirn nicht minderdurchblutet werden. Der einzige Bereich, in dem die Durchblutung reduziert werden kann, ist der Magen-Darm-Trakt. Je untrainierter wir sind, desto stärker muss hier reduziert werden. Denn viele Mechanismen sind hier nicht so stark ausgeprägt wie bei einer trainierten Person, die das gewohnt ist.

»Es kann zu einer Art Herzinfarkt im Darm kommen«

Was sind das für Mechanismen?

Zunächst verfügt der Trainierte über ein höheres Blutvolumen und damit größere Reserven, die Gewebe zu versorgen. Und die Muskeln einer trainierten Person können mehr Sauerstoff aus dem Blut entnehmen, unter anderem weil sie von mehr Blutgefäßen durchzogen sind. Das hilft, mehr Sauerstoff ins Gewebe zu bringen. Die Sauerstoffsättigung des Blutes wird also wesentlich besser ausgeschöpft. Das kann ein Untrainierter nicht, er muss im Verhältnis viel mehr Blut in seine Muskulatur schicken.

Dann bleibt noch weniger Blut für den Darm. Was bedeutet das?

Ich möchte jetzt nicht zu drastisch werden, es kann jedoch zu einer Art Herzinfarkt im Darm kommen. Zwar ist die Blutversorgung nicht komplett unterbrochen, aber der Darm beginnt, blau zu werden. Diese Minderdurchblutung führt dann zu Störungen der gastrointestinalen Integrität.

»Die Darmwand wird durchlässiger. Es gelangen Stoffe in den Blutkreislauf, die da nicht hingehören«

Was genau passiert dabei?

Es öffnen sich »tight junctions«, die die Zellen miteinander verbinden, die Darmwand wird durchlässiger. Daraufhin gelangen Stoffe in den Blutkreislauf, die dort nicht hingehören, beispielsweise Bestandteile von Darmbakterien. Die lassen sich nachweisen, oder man macht einen einfachen Test mit dem Zucker Laktulose. Dazu gibt man Menschen vor einer Sporteinheit Laktulose, die normalerweise nicht so leicht durch die Darmwand wandert, sowie einen weiteren Zucker, der gut durchkommt. Im Fall eines belastungsinduzierten Schadens der Darmwand steigt die Konzentration der Laktulose im Blut stark an. Am Verhältnis der beiden Zucker sieht man, dass die Durchlässigkeit der Darmwand deutlich zunimmt.

Können besagte bakterielle Stoffe eine Blutvergiftung auslösen?

Eher unwahrscheinlich. Aber man kann schon sagen, dass dadurch Entzündungsreaktionen getriggert werden. Es gibt Menschen, die nach einem Marathonlauf Veränderungen im Magen-Darm-Trakt aufweisen, die einer ischämischen Kolitis, also einer Entzündung des Dickdarms ähneln. Das ist zwar nicht häufig, doch es gibt Fallberichte.

Ein Symptom, das bei solchen Personen meistens vorkommt, ist Blut im Stuhl. Was ist die Ursache?

Das ist ein gradueller Prozess. Zunächst wird die Darmwand durchlässiger. Irgendwann kommt es zu Schleimhautschäden. Im Tierversuch konnten wir zeigen, dass im Darm vermehrt Zellen sterben, Apoptose genannt. Es findet also eine Art Abschürfung statt. Es werden natürlich neue Zellen nachgebildet, doch zeitweise ist das System überfordert, und es können große Erosionen entstehen, die mit Blutungen einhergehen.

Ist Sport insgesamt demnach eher schlecht für den Magen-Darm-Trakt?

Alles hat zwei Seiten. Man kann sich natürlich sagen: Sport ist Mord. Ja, es stimmt – manche Menschen fallen dabei tot um. Aber meistens war dann schon eine gewisse Vorschädigung da. Dass eine Maximalbelastung die Darmwand schädigen kann, stimmt ebenfalls. Die Frage ist jedoch eher: Wie oft und wie stark belaste ich mich auf Dauer? Daraus den Schluss zu ziehen, dass Sport generell schlecht ist, ist falsch. Denn auch der Darm ist trainierbar. Den Verdauungstrakt durch körperliche Aktivität zu stimulieren, kann durchaus förderlich sein. Das ist eine anerkannte Therapiemethode bei Verstopfung oder Blähungen.

Von Sportler zu Sportlern

Frank Mooren geht gerne wandern und laufen. Früher hat er viel Volleyball gespielt. Für den Sportmediziner ist Bewegung eine Notwendigkeit für den Organismus: Obwohl der Mensch inzwischen einen völlig anderen Lebensstil pflege, habe er im Wesentlichen dieselben Gene wie der Jäger und Sammler, der 30 bis 40 Kilometer am Tag zu Fuß zurücklegte. Darum gelte es, Bewegung in den Alltag zu integrieren.

Studien zufolge können bestimmte Nahrungsmittel im Zusammenhang mit Sport Verdauungsprobleme verursachen, Energydrinks etwa. Woran liegt das?

Nimmt man eine hohe Konzentration an Kohlenhydraten zu sich, verursacht das ein osmotisches Gefälle, wodurch Wasser in den Verdauungstrakt gezogen wird. Das verzögert die Entleerung des Magens, behindert die notwendige Wasseraufnahme und kann zum Beispiel Krämpfe, Übelkeit und Durchfälle verursachen.

Was sollte ich vor dem Sport also besser nicht essen oder trinken?

Der Glukoseanteil von Drinks oder Gels sollte nicht mehr als sechs Prozent betragen. Insgesamt sollte man vor der Belastung keine hochkalorischen Lebensmittel zu sich nehmen. Das macht einfach Probleme, wenn man keine vernünftige Durchblutung im Magen-Darm-Trakt hat. Die Inhaltsstoffe können nicht richtig abtransportiert werden.

Dabei schwören viele Sportler auf Energieriegel vor und beim Wettkampf.

Es gibt ja auch einschlägige Empfehlungen, ab welcher Belastungsdauer man sich Glukose zuführen sollte. Aber eben in einer Form, die gut aufschließbar ist. Es macht durchaus Sinn, eine Mischung verschiedener Kohlenhydrate zu sich zu nehmen.

Warum?

Die Transportkapazitäten für Glukose im Magen-Darm-Trakt sind begrenzt. Das können Sie ein Stück weit umgehen, indem Sie auf ein Gemisch aus Glukose und Fruktose setzen oder weitere Kohlenhydrate hinzunehmen. Wichtig ist außerdem eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Natürlich auch nicht zu viel, sonst kann es zu einem Salzmangel kommen, einer belastungsinduzierten Hyponatriämie.

Es gibt die Empfehlung, man solle zwei Stunden vor dem Sport nichts mehr essen. Stimmen Sie zu?

Ja, das kommt in etwa hin. Beziehungsweise, wenn man etwas isst, sollte man nur noch leicht verdauliche Kost zu sich nehmen.

Das wäre zum Beispiel?

Ein Müsli- oder Haferriegel oder Trockenfrüchte. Man sollte die Snacks auf ihren Glukoseanteil prüfen und darauf, wie gut man sie jeweils verträgt.

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