In Bestform: Woher kommt Seitenstechen?
Statt nach der Arbeit auf dem Sofa zu versacken, essen Sie schnell noch ein Brot und schnüren die Laufschuhe. Doch nach den ersten 100 Metern ist schon wieder Schluss: Seitenstechen – es zieht direkt unterhalb der letzten Rippe. Woher kommt der Schmerz? Und was kann man dagegen tun? Der Münsteraner Sportmediziner Klaus Völker kennt sich aus.
»Spektrum.de«: Herr Professor Völker, viele Sportler und Sportlerinnen hatten schon einmal mit Seitenstechen zu kämpfen. Was ist die Ursache dafür?
Klaus Völker: Das ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Es gibt viele Theorien dazu, die in einem Übersichtsartikel in der Fachzeitschrift »Sports Medicine« von 2015 ganz gut zusammengefasst sind.
Welche Theorie ist am plausibelsten?
Dass es mit der Organdurchblutung zusammenhängt. Die Beschwerden treten ja meistens auf, wenn sich der Körper von Ruhe auf Belastung umstellt. Dann findet auch ein Shift in der Durchblutung statt: Die Muskulatur wird mehr durchblutet, die Organe im Bauchraum bekommen dafür weniger ab. Wir haben schließlich nur fünf bis sechs Liter Blut – das reicht nicht, um alle Strukturen in gleichem Maß zu durchströmen. Das hat wiederum Folgen für die Organe, beispielsweise können sich Milz und Leber in ihrer Form etwas verändern. Dafür sprechen ebenfalls experimentelle Untersuchungen. Eine andere Lage der Organe reizt zudem womöglich die Bindegewebsstrukturen und das Bauchfell, an denen die Organe aufgehängt sind.
Warum verursacht das Schmerzen?
Sowohl das Bauchfell als auch das Bindegewebe sind mit Schmerzrezeptoren ausgestattet. Wenn die unter Dehnung geraten, tut's weh.
Deshalb geht aber nichts kaputt, oder?
Nein. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Seitenstechen zu irgendwelchen Schäden an den Organen führen kann.
Was gibt es sonst noch für Theorien darüber, wie Seitenstechen entsteht?
Manche Forscher vermuten, dass bestimmte Arterien abgeklemmt werden. Andere argumentieren ebenfalls mit einer Umverteilung des Blutes, halten aber eine Minderdurchblutung der Darmwände für die Ursache der Schmerzen. Es gibt keine Theorie, von der ich sagen würde: Genau das ist es. Vielleicht ist es eine Kombination mehrerer Faktoren. Doch für mich ist es am plausibelsten, dass es mit der Durchblutung zu tun hat. Dafür spricht auch, dass es eine enge Korrelation mit der Nahrungsaufnahme gibt.
Mit vollem Magen laufen zu gehen, erhöht demnach das Risiko für Seitenstechen?
Richtig, denn wenn Sie Nahrung aufnehmen, brauchen Magen und Darm mehr Blut, um sie verdauen zu können. Es kommt also zu einer Konkurrenzsituation, und wir können sportlich weniger leisten. Dieses Phänomen wird ebenfalls in der Literatur beschrieben. Sportler empfinden das als unangenehm und können im Extremfall sogar kollabieren.
Von Sportler zu Sportler
Am wichtigsten sei, regelmäßig dranzubleiben, sagt Klaus Völker. Zudem solle man auf Vielseitigkeit achten, so dass der Körper flexibel bleibt und sich gut an unterschiedliche Situationen anpassen kann. Völker selbst baut beim Laufen öfter mal einen Tempowechsel oder ein paar Sprünge ein. Außerdem spielt er gerne Golf und geht im Winter Skifahren.
Könnte Seitenstechen mit der Atmung oder der Atemtechnik zu tun haben?
Man kann meiner Meinung nach ausschließen, dass es an einer schlechten Durchlüftung der unteren Lunge oder etwas Ähnlichem liegt. Ebenso wenig glaube ich an eine Überlastung des Zwerchfells. Auch das wird immer wieder diskutiert. Aber der Zwerchfellmuskel ist einer der am besten trainierten Muskeln unseres Körpers: Jeder Atemzug ist eine Kontraktion des Zwerchfells; dieser Muskel wird also 24 Stunden am Tag trainiert.
»Der einfachste Trick, um Seitenstechen loszuwerden: langsamer laufen«
Wie erklären Sie es sich dann, dass das Stechen oft aufhört, wenn man seine Atmung verändert, etwa tiefer atmet und langsamer läuft?
Es ist schlichtweg eine Frage der Intensität. Der einfachste Trick, um Seitenstechen loszuwerden: langsamer laufen. Auch das tiefe Atmen hilft. Das ist jedoch kein Beweis dafür, dass es die Lunge ist. Wenn Sie tief Luft holen, drücken Sie das Zwerchfell ordentlich runter und verändern die Position Ihrer Organe.
Es soll auch helfen, die Arme hochzunehmen. Können Sie das bestätigen?
Ja. Wenn Sie die Arme hochheben, verändern Sie die Position des Brustkorbs, also des Thorax. Sie beeinflussen damit die Lage Ihrer Organe und letztlich die Schmerzen.
Mein Eindruck ist: Menschen, die regelmäßig Sport treiben, haben seltener Seitenstechen. Stimmt das – wirkt sich der Trainingszustand aus?
Die Umstellung der Durchblutung ist, wie vieles, Übungssache. Das gilt auch für andere Anpassungsmechanismen, zum Beispiel die Wärmeregulation. Wenn sich jemand nur drinnen aufhält, wo die Temperatur etwa gleich ist, und dann plötzlich raus in die Kälte geht, hat sein Körper Schwierigkeiten, sich anzupassen. Bei Leuten, die das gewohnt sind, funktioniert das automatisch, weil sie diesen Umstellungsmechanismus trainiert haben. Das ist aber keine Garantie. Sogar extrem gut trainierte Menschen können Seitenstechen bekommen.
Anatomische Besonderheiten
Die Organe in der Bauchhöhle sind vom Bauchfell überzogen. Die dünne, feuchte Haut sorgt dafür, dass sich die Organe reibungslos gegeneinander verschieben können, und hält sie an ihrem Platz. Zudem sind die Organe über Gewebestränge miteinander und mit dem Bauchfell verbunden. Diese Verknüpfungen sind ganz normal. Nach Operationen oder Entzündungen können sich allerdings Verwachsungen oder Verklebungen ausbilden, die auch als Briden bezeichnet werden. Wenn Organe oder Teile von Organen miteinander verwachsen, die normalerweise nicht verbunden sind, kann der zusätzliche Druck beim Sport Schmerzen verursachen.
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