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Freistetters Formelwelt: Jenseits der Grenzen unseres Wissens

»Wir müssen wissen. Wir werden wissen« lautete das berühmte Motto des deutschen Mathematikers David Hilbert. Was wir alles noch nicht wissen, wissen wir allerdings nicht. Aber zumindest kennen wir die Grenze, an der das Unwissen beginnt.
Bunte gebogene Lichtstrahlen

Die Geschwindigkeit des Lichts beträgt exakt 299 792 458 Meter pro Sekunde, und zwar immer und überall im Universum. Sie ist Naturkonstante, genauso wie das plancksche Wirkungsquantum (das Verhältnis von Energie und Frequenz eines Photons) oder die Gravitationskonstante, die die Stärke der Gravitationskraft bestimmt.

Abgesehen von ihrer Fundamentalität haben diese drei Zahlen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Man kann sie aber kombinieren, um diese Formel zu erhalten:

Kombination aus drei Naturkonstanten

Hier ist das Wirkungsquantum in der reduzierten Form (also geteilt durch 2π); G ist die Gravitationskonstante und c die Lichtgeschwindigkeit. Setzt man die entsprechenden Zahlenwerte ein, dann erhält man als gerundetes Ergebnis der Rechnung die Zahl 1,62 · 10−35. Interessant wird es aber, wenn man die Einheiten betrachtet. Die Lichtgeschwindigkeit wird in Meter pro Sekunde gemessen, das Wirkungsquantum in kg · m² pro Sekunde und die Gravitationskonstante in m³ pro kg und s². In der Rechnung bleibt am Ende aber nur die Länge übrig. Die extrem kleine Zahl des Ergebnisses ist also eine Distanz, die Planck-Länge genannt wird.

Mit der gleichen Methode kann man auch eine Planck-Zeit (die Wurzel aus ℏG/c5) oder eine Planck-Masse (die Wurzel aus ℏc/G) berechnen, ebenso wie eine Planck-Ladung und eine Planck-Temperatur (hier benötigt man ein paar weitere Naturkonstanten). Den Namen des deutschen Physikers Max Planck tragen diese Einheiten, weil er 1899 entdeckte, dass man die damals bekannten Naturkonstanten zu einem neuen Einheitensystem kombinieren konnte.

Für den Alltag sind diese Planck-Einheiten natürlich unbrauchbar. Die Planck-Länge ist winzig; ebenso wie die Planck-Zeit, die knapp 5,4 · 10−44 Sekunden beträgt. Und die restlichen Planck-Größen sind ebenfalls unhandlich klein oder groß. Aber im Gegensatz zu den Einheiten, mit denen wir unseren Alltag gestalten, hängen die Zahlen von Planck nicht von irgendwelchen Konventionen oder speziellen Objekten ab, sondern von den fundamentalen Eigenschaften des Universums selbst. Oder wie Planck es in einem Vortrag formulierte: Einheiten, die »ihre Bedeutung für alle Zeiten und für alle, auch außerirdische und außermenschliche Culturen nothwendig behalten und welche daher als ›natürliche Maasseinheiten‹ bezeichnet werden können.«

Mangels »außermenschlicher Culturen« verlor man aber schnell das Interesse an Plancks Einheiten. Erst mit dem Aufkommen von Relativitätstheorie und Quantenmechanik im 20. Jahrhundert und mit den Versuchen, beide Theorien miteinander zu verbinden, wurden sie wieder interessant. Es erwies sich als notorisch schwierig, beide Beschreibungen des Universums in Einklang zu bringen. Und in den meisten Fällen war das auch gar nicht nötig. Die Effekte der Quantenmechanik werden normalerweise erst bei extrem kleinen Größenskalen relevant; wenn es um die Wechselwirkung von Atomen und Elementarteilchen geht. Hier muss man die elektromagnetischen Kräfte und Kernkräfte berücksichtigen, kann die Gravitation aber ignorieren. Sie ist eine so schwache Kraft, dass sie kaum eine Rolle für die winzigen Teilchen spielt. Umgekehrt sind quantenmechanische Effekte selten relevant, wenn man Gravitationskräfte mit der Relativitätstheorie beschreibt.

Bei wirklich kleinen Distanzen funktioniert diese Trennung aber nicht mehr. Wie sich zeigte, gibt es Grenzgrößen, bei denen zwingend Gravitation und Quantenmechanik berücksichtigt werden müssen, und in diesem Sinn werden die Planck-Einheiten heute meist interpretiert: Wollen wir wissen, was auf Größenskalen unter der Planck-Länge oder Zeitskalen kürzer als die Planck-Zeit passiert, brauchen wir eine Theorie der Quantengravitation. Solange die fehlt, markieren die Planck-Einheiten die Grenzen unseres Wissens.

  • Quellen

Max Planck: Über Irreversible Strahlungsvorgänge, Sitzungsbericht der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1899

Sabine Hossenfelder: Minimal Length Scale Scenarios for Quantum Gravity. Living Reviews in Relativity, 16, 2013

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