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Plagiatsvorwurf: Rücktrittsforderungen sind jetzt unseriös

Hat sie in ihrer Doktorarbeit unsauber gearbeitet oder nicht? Darüber streiten nun Gutachter, Politiker und die Öffentlichkeit. Doch für ein abschließendes Urteil und die entsprechenden Konsequenzen ist es noch viel zu früh, kommentiert Christine Xuân Müller.
Christine Xuân Müller

Plagiate verjähren in Deutschland nicht: Wer als Forscher von anderen Kollegen abschreibt, ohne dies kenntlich zu machen, arbeitet nicht nur unprofessionell und unwissenschaftlich. Er schafft sich damit ein eigenes Damoklesschwert, das lebenslang über seinem Kopf schwebt und jederzeit mit Getöse herunterfallen kann. Dank Internet und neuester Technologie nimmt das Risiko aufzufliegen für Plagiierer sogar beständig zu. Dann droht ihnen der Verlust aller wissenschaftlichen Ehren. Habilitationsschriften, Doktor- und selbst Abschlussarbeiten können jederzeit eingescannt und dann mit anderen Dokumenten viel leichter abgeglichen werden als noch vor einigen Jahrzehnten – wenn sie nicht ohnehin schon digital vorliegen.

Das wird zunehmend akademischen Titelträgern zum Verhängnis, wie der prominenteste Plagiatsfall des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg lehrt: Er flog vor rund eineinhalb Jahren auf und führte der Öffentlichkeit vor Augen, wie tief und rasant der Fall sein kann, wenn man wissenschaftlich unsauber arbeitet. Aus dem charismatischen Vorzeigepolitiker wurde über Nacht eine Karikatur. Der Begriff "guttenbergen" landete sogar auf der Auswahlliste zum Jugendwort des Jahres – als Synonym für fälschen und abschreiben. Über die Häme hinaus reagiert die Öffentlichkeit seitdem zu Recht sensibel auf jedes Anzeichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, und nach zu Guttenberg flogen weitere Plagiate von bekannten oder weniger bekannten Politikern auf.

Seit dem letzten Wochenende gibt es nun einen neuen prominenten und vor allem brisanten Fall, der das Zeug für ein richtiges politisches Drama hat. Bildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan wird vorgeworfen, in ihrer Doktorarbeit vor 32 Jahren zumindest stellenweise plagiiert zu haben. Die Promotionsschrift wurde eingereicht im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; die Arbeit mit dem Titel: "Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" bewertete die Hochschule mit der zweitbesten Note "magna cum laude". Und nun das: Die Wissenschaftsministerin und damit oberste Hüterin der deutschen Forschungslandschaft soll damals abgeschrieben haben?! Entsprechend groß ist die Empörung. Doch in die öffentlichen Aufregung mischt sich auch ein bitterer Beigeschmack, wenn der Fall Schavan medial schnell und griffig mit dem Fall Guttenberg gleichgesetzt wird und Oppositionspolitiker reflexartig einen Rücktritt der Ministerin fordern. Denn: Ist der "Fall Schavan" wirklich so gravierend? Oder handelt es sich um eine Vorverurteilung? Wie genau sieht die Faktenlage aus?

Außer dem Gutachter Stefan Rohrbacher – Judaist an der Universität Düsseldorf, der über fünf Monate hinweg eine 75 Seiten umfassende Zusammenfassung zur Doktorarbeit von Frau Schavan verfasst hat –, sieben Mitgliedern einer ebenfalls von der Universität Düsseldorf angesetzten Prüfungskommission sowie einem anonymen Plagiatsjäger, der im Internet den Hinweis auf mögliche unsaubere Stellen gab, kennt aktuell kaum jemand die Arbeit Schavans. Von den sieben Kommissionsmitgliedern soll bislang erst einer signalisiert haben, dass er für einen Entzug des Doktortitels von Annette Schavan plädiert. Ob sich dem die restlichen Prüfer anschließen, ist noch völlig unklar. Am Mittwoch wird sich die Prüfungskommission der Hochschule zusammensetzen und äußern – wie, das ist derzeit ebenso völlig offen. Die Entscheidung über einen Titelentzug würde gegebenenfalls ohnehin ein anderes Gremium treffen: der zuständige Fakultätsrat an der Universität Düsseldorf – nach einem längeren Prozess. Hinzu kommt, dass sich die Hochschule seit einigen Tagen selbst zugeknöpft und wenig transparent zeigt. Die Pressestelle mauert und ist für alle Fragen zum Fall Schavan derzeit nicht wirklich aktiv zu erreichen. Anfragen werden höchstens per Mail und mit enormer Zeitverzögerung beantwortet.

Führende Wissenschaftler üben daher mittlerweile Kritik an der Hochschule. So wirft der Präsident der Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, in der "Süddeutschen Zeitung" der Universität schwere Verfahrensfehler vor: Zum einen gebe es nur einen Gutachter, mindestens ein zweiter Gutachter sollte Schwarz zufolge die Vorwürfe gegen Schavan sachlich prüfen. Auch dass das interne Gutachten vorab an die Öffentlichkeit geriet, sei "skandalös". Matthias Kleiner, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sowie Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, sehen das ähnlich.

Und auch Wolfgang Löwer, Professor für Wissenschaftsrecht an der Universität Bonn und Ombudsmann der Wissenschaft für wissenschaftliches Fehlverhalten, mahnt gegenüber "Spektrum.de" vor voreiligen Reflexen und betont, man müsse Schavan zumindest erst einmal anhören. Als renommierter Ombudsmann steht Löwer nicht im Verdacht, die Politikerin decken zu müssen. Doch er ist überzeugt, dass der Fall Schavan "ganz sicher nicht vergleichbar ist" mit dem Fall Guttenberg. Während der Exverteidigungsminister seitenweise abgeschrieben hatte, gebe es nach dem bisher in den Medien berichteten Kenntnisstand in Schavans Dissertation nur wenige Seiten, wo wörtliche Zitate nicht oder nicht richtig gekennzeichnet seien. "Das eigentliche Problem scheint die Paraphrasierung von Fundstellen zu sein", sagt Löwer. Die Arbeit sei möglicherweise nicht gut gemacht; ob eine Täuschungsabsicht damit verbunden ist, müsse die Fakultät noch prüfen. Dass Schavans Arbeit nun schon 32 Jahre alt und es folglich nicht gerechtfertigt sei, diese mit heutigen Mitteln zu bewerten, lässt Löwer allerdings nicht gelten. Die grundlegenden Maßstäbe, was wissenschaftliches Arbeiten ist, seien damals wie heute die gleichen. Denn: "Plagiieren führt nicht zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen."

Löwer ist im Moment der einzige Ombudsmann, der sich überhaupt zum Fall Schavan äußert. Er hat die Souveränität und auch langjährige Erfahrung im Medienrummel bei prominenten Plagiatsfällen. Auch bei zu Guttenberg wurde Löwer immer wieder um eine Stellungnahme gebeten. Dabei gibt es an den meisten anderen Universitäten ebensolche Experten, die Plagiate und andere Arten von wissenschaftlichem Fehlverhalten aufarbeiten sowie differenziert bewerten sollen und können. Doch ohne jemals die Arbeit der Ministerin in den Händen gehabt zu haben, will von ihnen niemand vorab ein Urteil fällen.

Und das ist tatsächlich der Punkt: Solange nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen, ist der öffentliche Angriff auf die Ministerin mit einer großen Portion Unwohlsein verbunden. Schavan hat angekündigt, dass sie sich demnächst zu den Vorwürfen äußern wird. Üblicherweise gibt es dafür auch nicht nur eine, sondern zwei Gelegenheiten: erst schriftlich und danach mündlich. Ein seriöses Prüfungsprozedere dürfte sich also noch einige Wochen hinziehen. Mit einer eventuellen Entscheidung, ob der Ministerin der Doktortitel entzogen werden solle oder nicht, ist nach Löwers Einschätzung daher nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen. Rücktrittsforderungen und Guttenberg-Vergleiche sind also zum jetzigen Zeitpunkt weder fair noch seriös: Sie sind momentan nichts anders als Vorverurteilungen.

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