Meere: Schützt die Tiefsee!
Schätzungsweise mehr als eine Million Quadratkilometer Meeresboden ab 200 Meter Tiefe werden regelmäßig von Fischkuttern mit Grundschleppnetzen umgepflügt. Und in den nächsten zehn Jahren werden wir erleben, dass Öl, Gas und mineralische Rohstoffe aus immer größeren Tiefen gefördert werden. Das bedroht Ökosysteme, die zur Gesundheit und Produktivität des Ozeans beitragen. Es handelt sich um Regionen mit extremen Bedingungen, von denen wir uns kaum vorstellen können, dass dort Leben möglich ist – etwa hydrothermale Quellen, die so genannten Schwarzen Raucher. Dort finden sich auch Habitate, die entweder selbst oder als Kinderstube für Fischgründe dienen wie beispielsweise unterseeische Berge.
Unser Wissen über die Tiefseeartenvielfalt ist beschränkt: Wir können nur vermuten, dass dort noch Tausende unentdeckter Spezies mit vielseitigen Vorteilen existieren. Manche bedrohte Arten wie Kaltwasserkorallen leben hunderte oder gar tausende Jahre; Habitate wie bestimmte Gesteinsansammlungen – darunter jene, in denen sich begehrte Metalle wie die Manganknollen finden – entstehen nur über Jahrtausende hinweg.
Wir fordern ein verbindliches Regelwerk mit entsprechender Finanzierung, das bis 2020 stehen soll, um damit ein Netzwerk von Tiefseereservaten zu schaffen. Es soll die Biodiversität und Funktionalität dieses riesigen und wichtigen Ökosystems bewahren und wo nötig wiederherstellen. Um diese Bemühungen zu unterstützen, muss eine globale Strategie unter der Federführung nationaler Regierungen und einer internationalen Behörde entworfen werden. Für Gebiete, die nicht mehr unter nationale Hoheit fallen, bietet sich die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) an.
Kosten und Gewinne
Die Tests zur Wiederherstellung zerstörter Tiefseelebensräume haben schon begonnen. In Labors überleben und wachsen Kaltwasserkorallen aus dem nordöstlichen Atlantik; auch experimentelle Wiederansiedlungen auf dem Meeresboden endeten bislang erfolgreich: 76 Prozent der Korallen überlebten die ersten drei Jahre. In Großbritannien gibt es Fortschritte in der Entwicklung so genannter Korallen-Bots: Schwärme aus autonomen Unterwassersonden, die Korallenfragmente in der Tiefsee transplantieren und überwachen, um Schäden durch die Fischerei überwinden zu helfen.
Doch wie gut diese Restaurierungsarbeiten großflächig wirken, weiß man nicht. Und Präzedenzfälle sehen wenig vielversprechend aus: Selbst nach 40 Jahren erreichen renaturierte Süßwasser- und Küstenökosysteme nicht ihre frühere Artenvielfalt und Funktionalität. Verglichen mit Flachwasserhabitaten kostet es Unsummen, beschädigte Tiefseeökosysteme zu restaurieren oder wenigstens ihre Erholung zu fördern. Einen Hektar umgepflügten Meeresboden rund um den Darwin Mound im Rockall-Graben des nordöstlichen Atlantiks mit Korallengärten wiederherzustellen, könnte bis zu 75 Millionen US-Dollar kosten.
Doch viele sind der Meinung, dass uns diese Anstrengungen den Preis wert sein müssten. Neben ihrer Funktion als Öl-, Gas-, Erz- oder biomedizinische Quelle erfüllen die Tiefseeökosysteme auch noch andere wichtige Aufgaben. Sie spielen etwa eine Rolle beim Regulieren der Treibhausgase und des Klimas, und sie nehmen Abfälle auf und entgiften sie.
Im Jahr 2007 zeigte eine Studie, dass die Iren bereit wären, bis zu zehn Euro pro Person und Jahr zu bezahlen, um Tiefseekorallen vor der Grundschleppnetzfischerei zu schützen. Man könnte allerdings Korallen verwenden, um Rohstoffe für die biomedizinische Industrie zu gewinnen, zudem können sie als Kinderstube für Fische und als Kohlenstoffsenke dienen. Besucher und Bewohner der portugiesischen Inselgruppe der Azoren im Atlantik bekundeten, dass sie pro Person einmalig 405 bis 605 Euro ausgäben, wenn man damit verhindern könnte, dass sich die Artenvielfalt des offenen Meeres (inklusive der Tiefsee) um 10 bis 25 Prozent reduziert. Und in Schottland gaben Teilnehmer einer Umfrage an, dass sie 70 bis 77 Euro zahlen würden, um einen maximalen Schutz der Tiefseebiodiversität zu unterstützen und biomedizinische Produkte aus dieser Region zu entwickeln.
Globale Strategie
Zentraler Bestandteil einer globalen Strategie zum Schutz und zur Wiederherstellung des Ökosystems sollte das Verursacherprinzip sein: Diejenigen, die die meisten Schäden verursachen, sollten die Tiefseereservate und ihre Erforschung sowie die Renaturierung finanzieren. Das beträfe vor allem Bergbau-, Öl-, Gas-, Transport- und Fischereiunternehmen.
Wie diese Strategie durchgeführt wird, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob sich die betroffenen Gebiete inner- oder außerhalb nationaler Hoheitsgewässer befinden. Innerhalb sind die einzelnen Staaten für den Schutz und die Wiederherstellung sowie die festgelegten Haftungsbedingungen zuständig. Außerhalb – was für den größten Teil der Tiefsee gilt – gibt es je nach Nutzungsgruppen unterschiedliche Regularien: vor allem für Fischerei, Schifffahrt und Bergbau. Da noch keine übergreifende Behörde existiert, die für den Umweltschutz, die Kosten und die Erlöse in internationalen Gewässern zuständig ist, wird ein Übereinkommen zur Artenvielfalt als Zusatz zur Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (UNCLOS) diskutiert. Eine Entscheidung soll bis Ende 2015 fallen. Diese Fortentwicklung stellt einen absolut notwendigen ersten Schritt zum Schutz der Tiefsee dar.
Entscheidet sich die UNO-Vollversammlung 2015 für dieses Übereinkommen, müsste es eine wichtige Komponente umfassen: Entweder sollte ein neues Gremium zum Schutz der Tiefsee eingerichtet oder das Mandat der ISA weit über den Rohstoffabbau gefasst werden, um die Lebensräume vor einer Vielzahl legaler kommerzieller, industrieller Interessen zu schützen.
Eine Schlüsselrolle innerhalb der Konvention zur Biodiversität (CBD) spielt die wissenschaftliche und technische Beratung von Staaten und Behörden, so dass eine enge Zusammenarbeit zwischen CBD und ISA sogar schon während der Verhandlungen eingerichtet werden könnte. Die Kooperation könnte auf eines der Ziele der CBD hinarbeiten, das bis 2020 den Schutz beziehungsweise die Wiederherstellung von zehn Prozent der Ozeanfläche inklusive der Tiefsee vorsieht.
Wer bezahlt?
Um das ergänzte UNCLOS-Vertragswerk aufzubauen, benötigt man jährlich etwa 30 Millionen Dollar, die die Kosten für wissenschaftliche Forschung zum Schutz und zur Restaurierung, die Entwicklung und Implementierung in Tiefseeregionen jenseits der nationalen Hoheitsgewässer decken. Die ISA könnte diesen Topf verwalten. Diese finanzielle Stiftung sollte möglichst bald nach der Entscheidung 2015 die Arbeit aufnehmen. Sie beinhaltet Beiträge staatlicher oder privater Unternehmen, die Bergbau, Transport, Fischerei oder andere für den Meeresboden schädliche Aktivitäten durchführen. Der ISA wurden Gebühren für die Vergabe von Rohstofflizenzen auf hoher See auferlegt. Zudem muss sie einen Teil ihrer Gewinne an die internationale Gemeinschaft – darunter vor allem die Entwicklungsländer – abtreten. Die Fischereiindustrie hingegen erhielt freien Zugang zu den Tiefseefischgründen und wehrt sich dagegen, für die durch Trawling zerstörten Meeresbodenökosysteme zu zahlen.
Alternativ zu freiwilligen Abgaben käme eine Steuer in Frage: Der Gesamtertrag der zwölf größten Flotten aus dem Tiefsee-Trawling in internationalen Gewässern (HSBT, high seas bottom trawling) beträgt pro Jahr rund 600 Millionen Dollar. Nur ein Prozent Steuern auf diese Einkünfte brächte bereits sechs Millionen Dollar pro Jahr (was etwa vier Prozent der 152 Millionen Dollar Subventionen entspricht, die diese Länder ihren HSBT-Flotten pro Jahr gewähren). Gegenwärtig fördert die Ölindustrie aus der Tiefsee (was sich innerhalb der nationalen Hoheitsgebiete abspielt) 5 bis 6,3 Millionen Barrel pro Tag. Stimmen die betroffenen Staaten zu, ließen sich bei einer einprozentigen Steuer und einem Ölpreis von 100 Dollar pro Fass weitere 5 bis 6,3 Millionen Dollar erwirtschaften – pro Tag.
Eine andere Alternative wäre eine internationale Finanzbehörde: Sie würde Kapital für die Wiederherstellung der Tiefseeökosysteme an den internationalen Finanzmärkten einholen, indem sie langfristige Anleihen herausgibt, die Geberländer in einem Zeitraum von 20 bis 30 Jahren wieder ablösen. Die International Finance Facility for Immunisation (IFFIm) etwa wurde 2006 gegründet, um Gelder für Impfkampagnen aufzubringen. Bislang hat sie 6,3 Milliarden Dollar an Zusagen von neun Geberländern erhalten. Eine in Planung befindliche Global Forest Finance Facility, basierend auf IFFIm, könnte als Modell für ein ähnlich geartetes Projekt zum Tiefseeschutz fungieren.
Nationale Regierungen, die internationale Gemeinschaft und Finanziers sollten sich bis 2015 darauf verständigen, wie der Schutz und die Wiederherstellung von Tiefseelebensräumen am besten finanziert werden. Bis 2020 müsste die Stiftung dann stehen. Wenn wir weiterhin von den Leistungen dieses Ökosystems profitieren wollen, müssen wir endlich Wege finden, die Tiefseeforschung, ihren Schutz und ihre Genesung zu bezahlen.
Der Artikel erschien unter dem Titel "Protect the deep sea" in Nature 505, S. 475-477, 2014.
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