Storks Spezialfutter: Fleisch muss teurer werden
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Revolutionen gehen häufig durch den Magen und durchs Portmonee: Jedenfalls sind in der Vergangenheit Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln oder Konsumgütern die Auslöser für viele Aufstände gewesen. 1789 beispielsweise, im Jahr der Französischen Revolution, war Brot in Frankreich so teuer geworden, dass es sich ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr leisten konnte. Zur Revolte kam es auch deshalb, weil die Kornkammern von Klerus und Adel gut gefüllt waren, beide Stände aber trotz der Not keine Veranlassung sahen, etwas von dem Getreide an die Armen abzugeben. Konkreter Auslöser für den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR war eine De-facto-Lohnkürzung um zehn Prozent. Und bevor es in Polen 1970 zu den ersten Streiks in den Werften kam, hatte die Bevölkerung eine Verteuerung der Konsumgüter um mehr als 30 Prozent zu verkraften.
Von vorrevolutionären Zuständen ist Deutschland zum Glück weit entfernt. Aufgewühlt ist die Stimmungslage aber doch. Die Bauern rebellieren. Attacken gegen unliebsame Politiker und Politikerinnen (meist von den Grünen) häufen sich. Auch gibt es – so hat es zumindest den Anschein – nicht wenige, die auf die Barrikaden gehen würden, um ihre Gasheizung oder ihren Verbrennungsmotor mit dem Leben zu verteidigen. Die Zukunft ist ungewiss, die Lösung der vielfältigen Krisen mehr als offen. Das hat zu einer aktuell hysterischen, aufgeputschten Grundstimmung geführt, in der es immer weniger Platz für vernunftgesteuerte politische Entscheidungen gibt.
Jüngstes Beispiel: Fleisch und Mehrwertsteuer. Der normale Mehrwertsteuersatz liegt bei 19 Prozent. Für Fleisch und die meisten Nahrungsmittel gilt ein verminderter Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Die noch unter Angela Merkel ins Leben gerufene »Zukunftskommission Landwirtschaft« hat vor Kurzem der (Ampel-)Regierung vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf Fleisch und Fleischprodukte schrittweise auf den regulären Satz von 19 Prozent zu erhöhen. Die Idee ist nicht neu. Ähnliche Überlegungen gab es bereits 2019. Allerdings kommt die Empfehlung jetzt vom wichtigsten agrarpolitischen Gremium des Landes. Die Chancen für eine baldige Umsetzung sind trotzdem überschaubar.
Der verbilligte Steuersatz auf wichtige Nahrungsmittel war ursprünglich als Subvention eingeführt worden, um der Bevölkerung jederzeit die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu ermöglichen. Darüber, was heute wichtig und was Grundnahrungsmittel ist, lässt sich allerdings streiten. Wer sich aus ethischen Gründen oder Gründen des Klimaschutzes für eine vegane Lebensweise entscheidet, wird an der Supermarktkasse benachteiligt: Für Kuhmilch gilt der reduzierte Steuersatz von 7 Prozent, für pflanzliche Ersatzprodukte mit Hafer, Mandeln, Soja oder Erbsen muss 19 Prozent Steuer berappt werden. Das Gleiche gilt für alle veganen Fleisch-, Milch- oder Ei-Ersatzprodukte.
So billig wie ein kleines Steak
Und das, obwohl die negativen Auswirkungen von Fleischkonsum und -produktion hinlänglich bekannt sind. Die Deutschen essen immer noch zu viel Fleisch, was das Risiko für Übergewicht, Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Diabetes und Krebs deutlich erhöht. Die Produktion von Fleisch ist außerdem mit starken Umweltkosten verbunden: Für ein Kilogramm Rindfleisch fallen im Schnitt 13,6 Kilogramm CO2-Äquivalente an, für ein Kilogramm Butter 9, beim Käse sind es im Schnitt 5,7, für Hähnchen 5,5 und für Schweinefleisch im Schnitt 4,6 Kilogramm CO2-Äquivalente. Frisches Gemüse kommt dagegen nur auf Werte von 0,1 bis 0,4 Kilogramm.
Ganz zu schweigen von dem Leid, das (Massen-)Tierhaltung bedeutet und das ursprünglich der Anlass der Empfehlung der Expertenkommission gewesen ist.
Fleisch ist ja nur deshalb so billig, weil die Umweltkosten nicht mit eingepreist sind. Die Mehreinnahmen durch die Steuererhöhung – so der Vorschlag – könnten deshalb dazu verwendet werden, den Umbau der Tierhaltung in der Landwirtschaft zu finanzieren und dabei mehr Tierschutz zu berücksichtigen. Die Sache mit dem Tierschutz ist Umfragen zufolge der großen Mehrheit der Bevölkerung ein wichtiges Anliegen (allerdings offenbar nicht so wichtig, dass sie dafür im Supermarkt freiwillig das teurere Fleisch mit den höheren Tierwohlauflagen kauft).
Die Verbilligung der Mehrwertsteuer für Fleisch abzuschaffen, wäre eine gute Möglichkeit für die Politik, die Zukunft der Landwirtschaft aktiv zu gestalten. Ja, Fleisch würde teurer werden. Bei meinem Discounter um die Ecke ist das günstigste Fleisch für 2,58 Euro das Kilo zu haben. Läge die Mehrwertsteuer bei 19 Prozent, würde der Preis um 29 Cent auf 2,87 Euro steigen. Damit die Bevölkerung angesichts hoher Preise insgesamt nicht mehr für Nahrungsmittel ausgeben muss, wäre eine weitere Steueranpassung sinnvoll. Während sich die Steuer für Fleisch erhöht, könnte die für Obst und Gemüse auf null gesetzt werden. Auch das wurde bereits von der Zukunftskommission angedacht. Dadurch würde ein echter Anreiz geschaffen, im Supermarkt zu den Produkten zu greifen, die nachweislich gesünder und weniger schädlich für die Umwelt sind.
Dass Fleisch wirklich bald teurer und Obst und Gemüse billiger wird, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Jedenfalls gab es in der Politik eigentlich keine Stimme, die den Vorschlag der Zukunftskommission wirklich aufgenommen hat. Die Liebe zum Fleisch – einem der am leichtesten zu erfüllenden Wohlstandsversprechen – ist sowieso schon irrational. In unserer zunehmend polarisierten Gesellschaft würden die guten Argumente für eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch erst recht niedergeschrien. Die Subventionen für ungesunde und umweltschädliche Lebensmittel bleiben damit bis auf weiteres erhalten. Leider.
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