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Warkus' Welt: Das Wie der Philosophie

Abhandlung, Essay, Aphorismus? Wie man philosophisch argumentiert, ist nicht nur Geschmackssache. Dahinter steckt eine pikante Frage an die Philosophie, erklärt unser Kolumnist.
Ein bunt gestaltetes Fresko zeigt etwa zwei dutzend Personen in einem tempelartigen Gebäude der Antike. In der Mitte im Hintergrund ist am Ende eines Ganges blauer Himmel zu sehen. Im Vordergrund davor bilden zwei Personen in antiken Gewändern das Zentrum der Szene. Beide tragen je ein voluminöses Buch in der Hand.
Platon und Aristoteles stehen im Zentrum von Raffaels 1510/11 entstandenem Fresko »Die Schule von Athen« im Vatikan. Platon, in eine rote Toga gekleidet, hält seinen »Timaios«-Dialog unterm Arm, Aristoteles seine als Abhandlung verfasste »Nikomachische Ethik« in der Hand.
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Was ist Philosophie? Dies ist eine der ältesten philosophischen Fragen – und bis heute ist sie heiß diskutiert. Einfacher beantworten lässt sich, woraus Philosophie sozusagen materiell besteht, was ihr Medium ist. Antwort: Texte, Literatur, Bücher.

Lässt man nun vor dem geistigen Auge ein philosophisches Buch erscheinen, wird es tendenziell eher dick als dünn sein, und auf jeden Fall schwierig zu lesen. Eine handelsübliche heutige Taschenbuchausgabe der 1781 erschienenen »Kritik der reinen Vernunft« von Immanuel Kant beispielsweise bringt es auf 995 Seiten. Bücher wie Georg Wilhelm Friedrich Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1807) erfreuen sich des Rufs, dass Seminargruppen zu Semesterbeginn vorne mit der Lektüre anfangen und sich bei Semesterende immer noch mit den ersten paar Seiten beschäftigen. Vom formalen Aufbau her sind solche philosophischen Monografien in der Regel Abhandlungen, also Sachtexte, die sich mit einem Thema auseinandersetzen und dabei in relativ großen argumentativen Bögen versuchen, bestimmte Behauptungen zu belegen oder zu entkräften.

Es gibt aber erstaunlich viel philosophische Literatur, die durchaus anders funktioniert. Zuallererst findet gerade seit dem 20. Jahrhundert außerordentlich viel Philosophie – ganz genauso wie andere Wissenschaft – im Medium von Aufsätzen statt, die in Zeitschriften oder Sammelbänden erscheinen und typischerweise um die 20 Seiten lang sind. Auch solche Aufsätze sind jedoch strukturell normalerweise Abhandlungen. Und sie sind nicht notwendigerweise einfacher zu lesen als Monografien. Denn oft sind die sehr voraussetzungsreich – wie bei Forschungsbeiträgen nicht anders zu erwarten.

Nicht jeder philosophische Text muss aber eine Abhandlung sein. Die Werke Platons beispielsweise sind mit wenigen Ausnahmen Dialoge, in denen verschiedene Figuren auftreten, deren Meinungen aufeinanderprallen oder die von Sokrates argumentativ aufs Glatteis geführt werden. Auch hier geht es begreiflicherweise um Argumente. Manchmal hat das Ganze freilich die Tendenz, in die Abhandlung abzudriften, wenn Sokrates ins Dozieren gerät: Es ist eine beliebte Kritik an den sokratischen Dialogen – und gut zum Parodieren geeignet –, dass über weite Strecken gar kein wirklicher Dialog stattfindet, sondern die Gesprächspartner nur ab und zu verständig bejahen, was der schlaue Sokrates von sich gibt.

Aber es gibt noch ganz andere Texte. Wer nur ein bisschen literaturwissenschaftlich informiert ist, kommt sicher selbst darauf: richtig – die Essays! Neben der »trockenen«, mehr oder minder langen, systematischen Abhandlung gibt es, seit der französische Humanist Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert das Genre etablierte, auch den eher subjektiven, assoziativeren und mehr auf eleganten Stil und Lesevergnügen hin konzipierten Essay. Das Problem mit dieser Gattung ist, dass man, wenn man mit Literaturwissenschaftlern redet, schnell erfährt, dass es keinerlei Definition von Essay gibt, auf die sich alle einigen können. An der Universität gibt es die Tendenz dazu, als Essays kurze Arbeiten zu bezeichnen, die eine Frage stellen und auf wenigen Seiten beantworten, ohne sich umfangreich auf Literatur oder Quellen zu beziehen. Wenn man einmal einen Essay von Montaigne aufgeschlagen hat, sieht man schnell, dass der damit nicht viel zu tun hat. Noch nicht einmal kurz müssen die Dinger sein – der »Langessay« mit gerne mal über 200 Seiten ist ein etabliertes Buchgenre.

Philosophie muss nicht dröge daherkommen

Wenigstens haben wir Philosophen etabliert, dass Philosophie nicht unbedingt nur dröge abhandelnd daherkommen muss. Manche zum Kanon der philosophischen Literatur zählenden Werke haben geradezu Roman- oder Eposcharakter, etwa Søren Kierkegaards »Entweder – Oder« (1843) oder Friedrich Nietzsches »Also sprach Zarathustra« (1883–85 in vier Teilen erschienen).

Geht man noch weiter weg vom Argumentativ-Wissenschaftlichen und gegebenenfalls auch noch weiter in die Kürze, landet man im Extremfall beim Aphorismus. Es gibt eine Reihe wirkungsmächtiger philosophischer Miniaturensammlungen, etwa das 1647 erschienene »Handorakel« des Spaniers Baltasar Gracián oder die ungeheuer erfolgreichen »Minima Moralia« von Theodor W. Adorno von 1951. In einem einzelnen Satz oder einem extrem kurzen Text lässt sich zwar kein Argument mehr entfalten, aber dafür umso mehr ein Denk- oder Diskussionsanstoß vorbringen.

Dass Philosophie nicht nur im Medium der Abhandlung, sondern auch in anderen Textformen stattfinden kann (und am Ende sogar über das geschriebene Wort hinaus etwa auf der Bühne oder im Film), birgt eine Herausforderung in sich: Wie passt es zur Wissenschaftlichkeit der Philosophie, dass sie hier und da literarisch, aphoristisch, subjektiv, assoziativ wird? Manche gelangen konsequent zu dem Schluss, dass Literatur zumindest in gewissen Hinsichten philosophisch mehr hergäbe als die Philosophie selbst. Das sehe ich nun etwas skeptisch. Aber es scheint mir recht klar, dass die Diskussion darüber, in welchen Formen sie legitimerweise stattfinden kann und soll, genauso Teil der Philosophie ist wie die Diskussionen darüber, was sie genau ist und was das alles mit Wissenschaftlichkeit zu tun hat.

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