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Storks Spezialfutter: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg

In der Coronakrise quellen die Mülltonnen über. Weil wir gern bequem sind, aber auch weil die Politik sich seit Jahren vor dem Problem drückt, schreibt unser »Spezialfutter«-Kolumnist Ralf Stork.
Gelbe Säcke: Hohe Recycling-, niedrige Mehrwegquote

Vor drei Jahren bin ich per Interrail mit der Familie durch den Balkan gefahren. Die Reise führte uns auch nach Dubrovnik, einer wunderschönen Stadt. Heißt es zumindest. So genau kann ich das gar nicht sagen. Denn schon vor dem imposanten Stadttor stauten sich die Menschenmassen so sehr, dass man außer Shorts, Sonnenhüten und bunten T-Shirts eigentlich nicht viel sehen konnte. Wir drehten gleich wieder um, kauften uns ein Eis zur Entschädigung und gingen kopfschüttelnd davon. Schrecklich, diese Menschenmassen, sollte das heißen. Ganz so, als hätten wir damit überhaupt nichts zu tun.

An Urlaubsreisen ist aktuell nicht zu denken. An die Stelle des paradoxen Handelns auf Reisen ist bei mir ein anderes Paradoxon getreten: Es geht um den Müll. Jedes Mal wenn ich bei uns im Hof an den Tonnen vorbeilaufe, schüttle ich missbilligend den Kopf. Schrecklich, dieser ganze Müll. Weil der Deckel beim Verpackungsmüll schon wieder nicht mehr zugeht. Weil die Papiertonne vor lauter Amazon-Verpackungen überquillt. Weil ich meinen eigenen Müll jetzt nicht mehr loswerden kann!

Seit alle mehr Zeit zu Hause verbringen, ist die in den Privathaushalten anfallende Menge von Verpackungen und Glas 2020 um etwa sechs Prozent gestiegen. Aber auch davor war der Müllberg der Deutschen überproportional hoch: In Europa hat Deutschland zwar die mit Abstand höchste Recyclingquote (68 Prozent), liegt aber mit 615 Kilogramm Siedlungsabfällen pro Kopf und Jahr deutlich über dem EU-Durchschnitt (489 Kilogramm).

Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Ich habe mich auch schon früher über den Verpackungswahn in Supermärkten geärgert. Zum bewussten Problem ist der viele Müll für mich aber erst geworden, seit er sich bei uns im Hof stapelt. Mein erster Impuls ist ein schlechtes Gewissen, das dann zu der Überlegung führt, künftig nur noch im Unverpacktladen einzukaufen. Doch allein die Tatsache, dass eine Zusammenstellung aller Unverpacktläden in Deutschland gerade mal gut 160 Einträge hat, zeigt, dass sich das Geschäftsmodell noch nicht wirklich durchgesetzt hat. Der nächste Laden liegt etwa sechs Kilometer weit weg. Wirklich praktikabel ist das im Homeschooling-Wahnsinn leider nicht.

Was tut eigentlich die Politik so?

Mein zweiter Impuls ist, zu fragen, was eigentlich die Politik so in Sachen Mülleindämmung tut. Die Antwort ist eher ernüchternd: nicht viel! Zwar gibt es ein Verpackungsgesetz, in dem unter anderem von einer Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen von 70 Prozent die Rede ist. Von diesem Ziel sind Supermärkte und Discounter jedoch noch meilenweit entfernt. Außerdem hat es der Gesetzgeber versäumt festzulegen, bis wann diese Quote erreicht werden soll und was geschieht, wenn sie weiterhin unterschritten wird.

Im Januar hat die Bundesregierung ein neues Abfallvermeidungsprogramm verabschiedet. Das enthält zwar viele gute Ansätze und Vorschläge, aber auch keine Regeln, die festlegen, wie diese Ziele erreicht werden sollen.

Das ist ein bisschen so, als würde das Strafgesetzbuch akribisch Tatbestände wie Diebstahl, Raub und Körperverletzung aufführen und gleichzeitig darauf verzichten, sie mit einem abschreckenden Strafmaß zu hinterlegen.

»Ohne verbindliche Regelungen wird es schwer, wirklich eine Reduzierung des Mülls zu erreichen«, sagt auch Henning Wilts, der beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie die Abteilung Abfallwirtschaft leitet. Er nennt ein paar Schlupflöcher, die den echten politischen Wandel erheblich erschweren: Seit ein paar Jahren gilt zum Beispiel die Regelung, dass Gebühren für das Inverkehrbringen von nicht recyclingfähigen Verpackungen höher sein sollen als für gut recycelbare Verpackungen. Allerdings hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, festzulegen, wie viel teurer genau. »In der Praxis führt das dazu, dass die Preise im hinteren Kommabereich angehoben werden, so dass die Verteuerung nicht wirklich ins Gewicht fällt«, sagt Wilts.

Es wäre doch gar nicht so schwierig

Noch ein Beispiel: Viele Elektrogeräte sind so konzipiert, dass sie schon nach kurzer Zeit ihren Geist aufgeben und fast unmöglich zu reparieren sind. Dadurch wächst der Bedarf nach immer neuen Geräten und parallel dazu der Berg an Elektroschrott. Im Elektrogerätegesetz fällt dem Gesetzgeber dazu nur die sanfte Mahnung an die Hersteller ein, die Produkte »möglichst« so zu gestalten, dass sie später wiederverendet werden können. Ein wirklicher Wandel wird so sicherlich nicht angestoßen.

Man muss kein großer Zyniker sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass das politisch genau so gewollt ist. Die Wirtschaft soll eben nicht mit echten – schärferen – Auflagen verprellt werden. Dabei ist es gar nicht so schwierig, die Gesellschaft mit ein paar Maßnahmen in die richtigen Richtung zu schubsen: Im belgischen Landesteil Flandern werden Secondhand-Kaufhäuser dadurch gefördert, dass sie für ihre Artikel einen reduzierten Mehrwertsteuersatz bezahlen müssen. Und Unternehmen, die in Frankreich stylische, aber schlecht zu recycelnde milchtrübe PET-Flaschen in Umlauf bringen wollen, müssen dafür doppelt so viel bezahlen wie für die normalen Flaschen.

Solche und andere gute Ansätze finden sich auch im neuen Abfallvermeidungsprogramm. Allein, es fehlt der Wille zur konsequenten Umsetzung.

Wer sich also bei sich zu Hause über die wachsenden Müllberge ärgert, sollte, noch bevor er in den Unverpacktladen rennt, lieber den Politiker*innen auf die Füße treten, die dafür verantwortlich sind.

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