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Wissenschaftskultur: Zitiert die Taxonomen!

Stammbaum Haeckel
Ein Viertel aller bekannten Säugetierarten, weiß die Rote Liste der Weltnaturschutzorganisation zu berichten, sind vom Aussterben bedroht. Kaum etwas unterstreicht besser, wie dringend Ökosysteme weltweit geschützt werden müssen, als dieser Wert. Derartige Bestandsaufnahmen sind das Ressort der Taxonomie, die Arten beschreibt und unterscheidet und die damit die Grundlage der Biologie ist.

Mittlerweile aber müsste sich die Disziplin selbst auf die Rote Liste setzen lassen, denn die Zukunft des Fachs ist bedroht. Einst, zum Beispiel im viktorianischen England, war Taxonomie Volkssport, und die Pflanzen- und Vogelfreunde organisierten sich europaweit in Vereinen. Heute dagegen verliert das Fach sogar innerhalb der akademischen Biologie an Boden. Einen eigenen Lehrstuhl für Taxonomie gibt es in ganz Deutschland nicht, und der Nachwuchs bleibt aus.

Die Beschreibung von Arten gilt schon unter Studenten dezidiert als unsexy und unter aktiven Forschern noch viel mehr. Wer möchte schon Organismen katalogisieren, wenn man die Möglichkeit hat, ihr inneres Wirken zu erforschen oder die vielfältigen Beziehungen, die einen Haufen Biomasse erst zu, sagen wir, einem tropischen Regenwald machen? Die Nase vorn haben Disziplinen wie die Ökologie und insbesondere die Molekularbiologie. Auf diesen Gebieten kann man sich noch einen Namen machen, während die Taxonomie als akademische Sackgasse gilt.

Der Meeresbiologe Kevin Zelnio von der Duke University in North Carolina macht dafür unter anderem das Verhalten der Biologen selbst verantwortlich. Die nämlich bedienten sich zwar gerne der Grundlagen, die Taxonomen schaffen, zitieren diese in ihren eigenen Arbeiten jedoch üblicherweise nicht. Ausbeutung sei das, empört er sich.

Für die betroffenen Forscher hat der Mangel an formaler Anerkennung handfeste Folgen – Publikationen und ihre Zitierungen nehmen eine zentrale Rolle in der Bewertung wissenschaftlicher Arbeit ein. Sie bestimmen, welches Geld fließt und wer auf Lehrstühle berufen wird. Die Arbeiten, in denen Modellorganismen wie Caenorhabditis, Drosophila oder Arabidopsis beschrieben werden, sollten angesichts der an diesen Organismen betriebenen Forschung zu den meistzitierten Arbeiten überhaupt gehören. Dass sie es nicht sind, ist einer der Gründe für die Malaise des Fachgebiets.

Nachwuchswissenschaftler auf der Suche nach akademischen Perspektiven machen inzwischen einen großen Bogen um die Taxonomie. So groß ist der Mangel, dass inzwischen auch die Biologen anderer Disziplinen aufgeschreckt sind, insbesondere jene, die sich für den Erhalt der Biodiversität starkmachen. Der Niedergang der Taxonomie wird zum Politikum. Im Jahr 1998 verabschiedeten die beteiligten Parteien der Convention on Biological Diversity die Darwin Declaration, die unter anderem nationale Regierungen dazu aufforderte, die Taxonomie angemessen zu finanzieren.

Denn ohne die Taxonomie geht es nicht, auch wenn man heute schon für ein paar Cent zwei Arten anhand ihrer Gene unterscheiden kann. Irgendwer muss eben auch herausfinden, was das für ein Lebewesen ist, zu dem die jeweiligen Gene gehören.

Auch in Deutschland sorgt sich seit 2006 die Initiative Taxonomie, initiiert von Naturschutz- und Wissenschaftsverbänden, um den Zustand des Fachgebiets. Sie fordert Stiftungsprofessuren für Taxonomie, finanziert auf 15 Jahre. Doch der Erfolg ist bisher ausgeblieben, möglicherweise auch, weil die Adressaten die falschen sind. Die Ursachen für den Niedergang der Taxonomie liegen zuallererst in der Wissenschaftskultur – eine wirkliche Renaissance der Disziplin kann nur aus der Biologie selbst kommen. Ein Anfang wäre Anerkennung in Form von Zitierungen. Nur so lassen sich Nachwuchs und Geldgeber dauerhaft für die unverzichtbare Bestandsaufnahme des Lebens auf der Erde begeistern.

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