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Leseprobe »Ausflug ins äußere Sonnensystem«: Zwischen den Welten

Reisezeit: 162 Jahre 110 Tage. Unsere Reise führt uns weiter. Wir haben den Zwergplaneten Eris hinter uns gelassen und nähern uns dem Ende dessen, was wir als Scattered Disk kennengelernt haben. Unser nächstes großes Ziel ist die Oort’sche Wolke, die sich weit draußen im Sonnensystem befindet. Vor uns liegen noch tausende Astronomische Einheiten von »Nichts«. Eine Leseprobe
Kuipergürtel

Aber ist hier wirklich nichts? Lange Zeit ging man davon aus, dass sich hier wirklich leerer Raum erstreckt. Bis Anfang des 21. Jahrhunderts Objekte gefunden wurden, die sich scheinbar abgekoppelt vom Rest des Sonnensystems auf seltsamen Bahnen um die Sonne bewegen. Wir wollen diese »Detached Objects« (DO) und »Sednoiden« im Folgenden genauer betrachten, auch wenn vieles über sie noch vollkommen unbekannt ist und das Wenige, das bekannt ist, wirft mehr neue Frage auf als dass es befriedigende Antworten liefert.

9.1 Detached Objects – ein Überblick

Die Begriffsbestimmung zu den Objekten, die bisher in diesem Übergangsbereich zwischen Scattered Disk und Oort’scher Wolke gefunden wurden, ist nicht klar. Manche sprechen von »Detached Objects«, andere von »Extended Scattered Disk Objects«, wieder andere schlagen sie gar komplett den SDO zu. Einige weitere sehen in ihnen nichts weiter als die ersten Boten der »inneren Oort’schen Wolke«, die wir im nächsten Kapitel genauer betrachten werden. Wir wollen sie im Folgenden einfach als »Detached Objects« bezeichnen, da sie in der Tat wie abgekoppelt wirken vom Rest des Sonnensystems.

Egal wie wir diese Objekte benennen oder an welche bekannten Strukturen wir sie im Sonnensystem aufhängen, was sie eint, sind ihre merkwürdig anmutenden Umlaufbahnen. Diese sind sehr stark exzentrisch. Ihr sonnennächster Punkt (Perihel) liegt bei diesen Objekten weit jenseits des sonnenfernsten Punkts (Aphel) Neptuns, der dadurch keinen Einfluss auf sie haben kann.

Ihre Bahnen reichen schließlich viele Hunderte AE in den Raum hinaus. Es scheint nahezu unmöglich, dass diese Objekte während der Migration der Planeten auf ihre jetzigen Bahnen gestreut worden sein können, ganz anders also als die KBO und SDO, die wir im letzten Kapitel kennengelernt haben. Woher kommen die Detached Objects aber dann, und wie kamen sie zu ihren Umlaufbahnen?

Diese Fragen sind sehr schwierig zu beantworten, da es alles andere als leicht ist, diese DO zu beobachten. Sie sind in der Regel kleine, lichtschwache Objekte, die sich eben weit draußen im Sonnensystem sehr langsam bewegen. Es ist daher sehr schwierig, sie als solche gegenüber Fixsternen zu identifizieren, geschweige denn zuverlässige Bahndaten zu bestimmen.

Es gibt mehrere verschiedene Hypothesen, wie diese Objekte zu ihren Bahnen gekommen sein können. Zum einen können sie durch einen Stern, der nahe an unserem Sonnensystem vorbeigezogen ist, durch dessen gravitative Wirkung quasi aus weiter innen liegenden Bereichen des Sonnensystems wie etwa dem Kuiper-Gürtel oder der Scattered Disk auf ihre jetzigen Bahnen gezerrt worden sein.

Eine andere Möglichkeit wäre ein noch unbekannter planetengroßer Körper in weiter außen liegenden Regionen des Sonnensystems, der durch die Wirkung seiner Gravitation die Bahnen dieses Objekte bestimmt. Öfter schon wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte Spekulationen zu einem solchen noch unbekannten Planeten geäußert. Alleine in den letzten Jahren hat die Diskussion über einen neunten Planeten wieder Fahrt aufgenommen, der sich in Regionen jenseits von 200 AE von der Sonne aufhalten soll. Belege für einen solchen Körper gibt es keine, Indizien scheinen sich jedoch zu mehren.

Vielleicht, so der dritte Erklärungsversuch, handelt es sich gar nicht um einen noch existierenden Körper, sondern vielmehr um einen großen Planeten (ggf. einen Gasriesen), der mit den anderen Planeten entstand, dann aber durch Wechselwirkungen mit ihnen aus dem Sonnensystem geschleudert wurde. Möglicherweise hätte diese gereicht, die DO an ihre heutige Position zu streuen.

Obwohl diese Objekte sehr schwer zu entdecken sind, haben wir schon einige identifiziert. Das bekannteste Objekt unter ihnen ist »Sedna«, das nächste Ziel auf unserer Reise. Dieser Körper definiert eine neue »Unterklasse« der Detached Objects. All jene DO, deren Perihel jenseits von 75 AE liegt, wie eben bei Sedna, werden als »Sednoiden« bezeichnet. Derzeit sind nur wenige Sednoiden bekannt (siehe Tab. 9.1).

Tab. 9.1: Überblick über eine Auswahl bekannter Sednoiden

Name Durchmesser
(km)
Perhiel
(AE)
Gr. Halbachse
(AE)
Aphel
(AE)
Entdeckung
Sedna 995 ± 80 76,06 515,79 955,51 2003
2012VP113600 80,5 261 441,49 2012

9.2 Sedna

Sedna ist eine merkwürdige Welt, auf die wir bei etwa 500 AE Entfernung treffen1 (Abb. 9.1, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Das Licht der Sonne benötigt fast drei Tage, um dieses ferne Objekt zu erreichen. Wir haben schon im vorherigen Abschnitt gesehen, dass dieses »Detached Object« eine stark exzentrische Umlaufbahn hat (Abb. 9.2, in dieser Leseprobe nicht enthalten). So gelangt sie an ihrem sonnennächsten Punkt immerhin bis auf 76 AE an unser Zentralgestirn heran, setzt dann aber ihre Reise ins äußere Sonnensystem bis nahezu unvorstellbaren 922 AE fort.

Diese Unterschiede können wir uns vielleicht am besten am Beispiel der Lichtlaufzeit vorstellen. In ihrem Perihel erreicht das Sonnenlicht Sedna nach gut elf Stunden, am sonnenfernsten Punkt sind es gut 5,5 Tage. Was bedeutet eine solche Bahn für Sednas Reise um die Sonne? Sie ist knapp 11.150 Jahre unterwegs, um nur ein einziges Mal die Sonne zu umlaufen. Hier kann man auch sehr deutlich sehen, dass es schwierig ist, solch ferne Objekte zu identifizieren. Man stelle sich nur die langsame Bewegung der Körper am Himmel vor. Sedna ist um ein Vielfaches langsamer, so langsam, dass es kaum noch von den Fixsternen zu unterscheiden ist.

Dementsprechend schwer ist es auch etwas über diese fernen Objekte zu erfahren. Umso erstaunlicher ist, was wir bereits über sie herausgefunden haben.

Entdeckt wurde Sedna vom Team um den Amerikaner Mike Brown im Jahr 2003 und fiel sofort als etwas Außergewöhnliches auf (Abb. 9.3, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Ihre Entdecker benannten sie nach der Meeresgöttin der Inuit, die in den kalten Tiefen des Atlantiks leben soll, ganz so wie das neue Objekt in den eisigen Gebieten des äußeren Sonnensystems unterwegs ist.

Neben ihrer stark exzentrischen Umlaufbahn (e = 0,85) ist Sedna auch noch vergleichsweise groß. Es konnte (vorläufig) ein Durchmesser von fast 1000 km berechnet werden, was Sedna zu einem Kandidaten für einen Zwergplaneten machen könnte. Der Zwergplanet Ceres im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter (siehe Abschn. 2.5) ist womöglich sogar ein Stückchen kleiner als Sedna.

Sedna schimmert rötlich, ähnlich wie Mars, was auf das Vorhandensein von Eisenoxid hindeuten könnte, ebenso wie beim Roten Planeten. Dies wäre jedoch außergewöhnlich für ein so weit entferntes Objekt. Eine andere Erklärung böte das Vorhandensein großer Mengen organischer Verbindungen.2

Sedna rotiert in etwa 10 h um sich selbst. Ein Mond wurde bisher noch nicht entdeckt.

Es bleibt jedoch zumindest ein großes Rätsel, welches zahlreiche Astronomen am brennendsten interessiert: Wie kommt Sedna auf diese Umlaufbahn? Dafür gibt es lediglich zahlreiche Ideen, aber keine von ihnen konnte bisher belegt werden. Sedna könnte ggf. gängige Hypothesen zur Entstehung unseres Sonnensystems infrage stellen.

Es bleibt auf jeden Fall spannend. Dennoch ist es für uns Zeit die letzte Etappe unserer Reise anzutreten, die uns schließlich bis an die Grenze des Sonnensystems führen wird.

Fußnoten

1Wieder nehmen wir die mittlere Entfernung von der Sonne als Distanz an. In Wirklichkeit befindet sich Sedna nahe ihres Perihels und wird dieses im Jahr 2076 erreichen.

2»Organisch« sollte hier auf keinen Fall mit biologisch verwechselt werden. Biologisches Leben ist auf Sedna mit ziemlicher Sicherheit nicht zu erwarten. Vielmehr bezieht sich der Begriff auf die »Organische Chemie«, die sich mit verschiedensten Kohlenstoffverbindungen beschäftigt.

Weiterführende Literatur

Brown, M.: Wie ich Pluto zur Strecke brachte: und warum er es nicht anders verdient hat. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2012

∗ Lykawka, P.S., Mukai, T.: An Outer Planet Beyond Pluto and the Origin of the Trans-Neptunian Belt Architecture. Astron. J. 135, 1161–1200 (2008)

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