Lexikon der Biologie: Angst
Angst, Gefühlserlebnis hoher Fluchtbereitschaft (Flucht, Bereitschaft) bei Tier und Mensch. Daß Tiere bedrohliche Situationen auch subjektiv als Gefahr erleben, also "Angst" im menschlichen Sinne haben, läßt sich nicht beweisen, erscheint aber aus vielen Beobachtungen plausibel ( vgl. Infobox ). Angst äußert sich beim Menschen als Stimmung oder Gefühl der Beengtheit und Bedrohung, das mit einer Verminderung oder Aufhebung der willens- und verhaltensmäßigen Steuerung der eigenen Persönlichkeit einhergeht. Körperliche Symptome der Angst sind neben individuellen Besonderheiten vor allem schnelle Atmung, Herzklopfen, Magenverstimmung, Schwindelgefühl, Durchfall, Harndrang, Atemnot, Erröten, Schwitzen, Zittern und Schwäche. Die strenge Definition spricht nur dann von Angst, wenn – im Gegensatz zur Furcht – eine konkrete Gefahr nicht erkennbar ist und deshalb abwehrende oder bewältigende Verhaltensprogramme nicht abgerufen werden können. – Der Begriff Angst wird heute mehr und mehr der Umgangssprache angepaßt und reicht von der Furcht vor konkreten Bedrohungen vor einem bestimmten Gegenstand, Lebewesen oder Sinneseindruck bis hin zur Lebens-, Existenz- und Weltangst. Ein in Verlassenheitsangst weinender Säugling befindet sich in einem akuten Streßzustand. Spielen und Angst schließen sich im Normalfall aus. Der Verhaltenskomplex Erkunden, Spielen, Nachahmen (Nachahmung) und schöpferisches Erfinden entfaltet sich nur im Zustand der inneren Gelöstheit; Angst unterdrückt ihn leicht. Jedoch freiwillig sich gruseln, spielerisch mit der Angst umgehen, wird von vielen Kindern lustvoll erlebt. Auch Jugendliche und Erwachsene suchen im weitgehend kontrollierbaren Rahmen den Thrill (sensation seeking). – Die Angst als menschliche Grundbefindlichkeit hat biologische Wurzeln, läßt sich aber nicht allein durch biologische Zusammenhänge erklären. Der biologische Zweck der Angst ist es, angesichts einer Gefahr Ressourcen freizusetzen, um Abwehr oder Flucht zu ermöglichen. Angst kann sich aber auch konträr hierzu, nämlich lähmend, auf die Verhaltenssteuerung auswirken, was sich in bewegungslosem Verharren äußern kann, bei Angststörungen (Phobie) jedoch dazu führt, eine Vielzahl von Reizen der Umgebung, wie auch eigene Verhaltenselemente, z. B. die Kontaktaufnahme mit Mitmenschen, als bedrohlich zu empfinden und deshalb zu vermeiden (bedingte Aversion, Vermeidungsverhalten) oder zu unterdrücken (bedingte Hemmung). – Dem Gefühlszustand Angst lassen sich trotz zweifelsfreier subjektiver Interpretation keine eindeutigen, definierenden physiologischen Korrelate zuordnen ( vgl. Infobox ); allein der allgemeine Ausdruck körperlicher Erregung ist festzustellen. Das sympathische Nervensystem (Sympathikus) leitet ein Aktivierungsmuster ein, das körperliche Ressourcen für das Handeln bereitstellt. Die identische Form der Aktivierung tritt nicht nur bei Angst, sondern z. B. auch bei positiver Aufregung ein. Die physiologische Erregung spiegelt die emotionalen Unterschiede nicht wider. Zur Bewertung der Emotion Angst bedarf es neben der physiologischen Erregung der subjektiven Interpretation, was die individuell unterschiedliche Anfälligkeit für Angstgefühle (Angstneigung) wie auch die von Mensch zu Mensch stark variierende Begeisterung für gesuchte Angst (Thrill) erklärt. Als negativ empfundener Erregungszustand ist die Angst das sich in der Verhaltenssteuerung gegenseitig ausschließende Gegenstück zur explorativen Neugierde (Erkundungsverhalten), die mit positiv empfundener Erregung einhergeht. So kann die Begegnung mit Unbekanntem je nach Erleben der Situation, je nach aktivierter Bereitschaft, sowohl angstvolles Weglaufen als auch neugierige Hinwendung hervorrufen. – Das Zugeben oder Leugnen von Angst spielt in der Streßverarbeitung eine diagnostisch wichtige Rolle (Streß, Coping). Personen, die ihre Angst leugnen (Verdränger), neigen dazu, hohe Angst zu entwickeln, aber aus Konformitätsgründen oder aufgrund sozialer Erwünschtheit diese abzustreiten, während Personen mit hoher Empfindsamkeit für ihre Angst (Sensitivierer) schon beim Vorliegen geringster Warnanzeichen Alarm schlagen, Bedrohungen aufzuspüren versuchen und ihre Angst mitteilen. Angriff, Anxiolytika, Blickvermeidung, Fremdeln, new drives, Schmerz, Sympathikolytika, Totstellverhalten, Warnsignal.
H.H./G.H.-S.
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