Lexikon der Biologie: Behaviorismus
Behaviorismusm [von amerik.-engl. behavior = Verhalten], von J.B. Watson und E.L. Thorndike 1912 begründete amerikanische Schule der Psychologie, die zunächst die Verwendung aller "subjektiven", durch Introspektion zugänglichen Begriffe ablehnte. Über innere Bedingungen und innere Vorgänge sollten keine Aussagen gemacht werden, es sollte lediglich der Zusammenhang des beobachtbaren Verhaltens mit den einwirkenden Umweltreizen untersucht werden. Man hat angenommen, daß stets jede Reaktion durch einen Reiz ausgelöst wird. Durch dieses Reiz-Reaktions-Schema wurden subjektive Begriffe wie spontanes Verhalten, Motiv, Empfindung, Denken, Ziel, aber auch funktionelle Begriffe wie Gedächtnis, Antrieb usw. aus der so verstandenen Psychologie ausgeblendet. Auf der theoretischen Grundlage des Reiz-Reaktions-Schemas wurde im Neobehaviorismus (ab ca. 1930), angeführt durch C.L. Hull und B.F. Skinner, eine Fülle von wertvollen empirischen Daten mit Hilfe eines sehr differenzierten experimentellen Settings gewonnen: Die größte Leistung des Neobehaviorismus war die Entwicklung einer spezifischen Lerntheorie, durch die beschrieben wird, wie sich die Verknüpfung von Umweltreizen und Reaktionen des Lebewesens durch Erfahrung ändert (Konditionierung). In der Lerntheorie zeigt sich auch die Nähe des Behaviorismus zur Psychologie von I.P. Pawlow (Pawlowsche Experimente), der den Begriff des bedingten Reflexes (bedingter Reflex) einführte. Beide Richtungen gehen in ihren Extremformen davon aus, daß sich durch erlernte Verknüpfungen zwischen den Reizen, die ein Lebewesen aufnimmt, und den Reaktionen, die es zeigt, das gesamte Verhaltensinventar erklären ließe. Allerdings muß selbst die Lerntheorie minimale angeborene Verknüpfungen voraussetzen, z. B. eine vorgegebene positive oder negative Bewertung einiger Erfahrungen, eine spontane Aktivitätsbereitschaft usw. Diese Zusammenhänge hat z. T. bereits Immanuel Kant im erkenntnistheoretischen Kontext (vor der Evolutions- und Lerntheorie) erkannt: a-priorisches, also bei der Geburt vorgegebenes Wissen, hat er als Voraussetzung des a-posterioren, also des im Nachhinein individuell erworbenen Wissens betrachtet. Allerdings lehnt es der Behaviorismus ab, die angeborenen Elemente (angeboren, angeborene Verhaltensweise) des tierischen Verhaltens und ihre stammesgeschichtliche Anpassung in die Betrachtung einzubeziehen. Es werden also unmittelbare Zusammenhänge des Lernens untersucht – überwiegend Aspekte der Funktion, z. T. auch der Ontogenese. Grundlegende Zusammenhänge (und zwar Phylogenese und Anpassungswert; Adaptationswert) werden vernachlässigt; damit wird auch der Aspekt der Anpassungsverbesserung bei Lernvorgängen durch die angeborenen Grundlagen des Lernens als Ergebnis einer äonenlangen Selektion im Verlauf der Stammesgeschichte vernachlässigt. Dadurch kam und kommt es gelegentlich zu methodisch bedingten Fehlinterpretationen von Verhaltensweisen. Auch in der neueren lerntheoretischen Literatur, bei der z. T. neurophysiologische und andere biologische sowie motivationale und kognitive Aspekte berücksichtigt werden, wird auf Empirie und Wissen über einige grundlegende Zusammenhänge weitgehend verzichtet und z. T. übersehen, daß mit einem evolutionären Zuwachs von vielfältigen Lernmöglichkeiten auch der Umfang der angeborenen Information zunimmt, die das Lernen zweckmäßig kanalisiert. Auch die Klassifikation von Lernleistungen in entweder klassisches oder operantes Konditionieren ist aus ethologischer Sicht ergänzungsbedürftig (bedingte Reaktion). Der Behaviorismus stand so geschichtlich im Gegensatz zur europäischen Ethologie, die die inneren (z. B. "instinktiven", motivationalen und z. T. kognitiven) Bedingungen des Verhaltens, die angeborenen Grundlagen des Lernens, vielfältige Formen des Lernens, ihre Stammesgeschichte, ihre natürlichen Umweltbezüge und ihren Anpassungswert untersucht und beschreibt. Dieser Gegensatz besteht heute nicht mehr in der früheren Form, da der dogmatische Behaviorismus kaum mehr vertreten wird. Die behavioristische Lerntheorie ist in modifizierter Form auch in die Ethologie eingegangen. Besonders die moderne Systemtheorie und Kybernetik haben gezeigt, daß es durchaus möglich ist, aus der Analyse der Eingangs-/Ausgangsbeziehungen eines Systems ohne direkten Zugriff objektive Aussagen über innere Gesetzmäßigkeiten des Systems zu machen; d. h., das Reiz-Reaktions-Schema des klassischen Behaviorismus wurde im moderneren Behaviorismus durch ein Schema von Reiz, Organismus mit inneren Bedingungen (z. B. Reizverarbeitung) und Reaktion ersetzt. Habituation, Milieutheorie, Spontaneität.
H.H./G.M.
Lit.:Schink, P.: Kritik des Behaviorismus. Hamburg 1993. Watson, J.B.: Behaviorismus. Eschborn 41997.
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