Lexikon der Biologie: Funktion
Funktionw [von latein. functio = Verrichtung, Geltung], 1) in der Mathematik eine eindeutige Abbildung, die jedem Element einer Ausgangsmenge (Definitionsbereich) genau ein Element einer anderen Menge (Bildmenge, Wertebereich) zuordnet. Oft werden die Elemente der Ausgangsmenge als unabhängige, die der Bildmenge als abhängige Variablen bezeichnet. Mit Hilfe von Funktionen können gesetzmäßige Zusammenhänge in der Natur beschrieben und formalisiert werden. Eine Funktion kann gegeben sein durch Wertetabelle, graphische Darstellung oder algebraischen Ausdruck. Letzterer wird dargestellt als Funktionsgleichung y = f(x), wobei x die unabhängige und y die abhängige Variable darstellen. Eine in der Physik und Biomathematik wichtige Funktion ist die e-Funktion (Exponentialfunktion). 2) das Funktionieren, die innere Aktivität eines biotischen, sozialen oder technischen Systems, d.h. die Menge aller darin ablaufenden Prozesse; z.B. alle physiologischen Prozesse, die bei der rhythmischen Kontraktion des Herzens (Herzautomatismus, Herzmechanik) stattfinden. System. 3) das Fungieren, die äußere Aktivität eines biotischen, sozialen oder technischen Systems, d.h. das, was dieses als Teil eines höheren Systems tut. So fungiert das Herz im Gesamtorganismus als Blutpumpe. – Die Begriffe des Funktionierens und Fungierens sagen noch nichts über den Nutzen der entsprechenden Aktivitäten für das Gesamtsystem, wie etwa den Organismus, aus: So kann das Fell vieler Säugetiere z.B. als Flohhabitat fungieren, obwohl diese Funktion dem Wirt abträglich ist. 4)Passung, Aptation, das Funktionieren oder Fungieren eines Teilsystems, das für das Gesamtsystem notwendig oder vorteilhaft ist; das zur Systemerhaltung beiträgt; bei Lebewesen: das deren Überleben oder Fortpflanzung förderlich ist; das bezogen auf die gegebene Umwelt einen positiven Passungswert hat. Diesem stärkeren Funktionsbegriff zufolge ist es keine Funktion des Säugerfells, Flöhe oder Läuse zu beherbergen. Wenn das Funktionieren oder Fungieren eines organismischen Teilsystems einen negativen Passungswert hat, wie z.B. bei einem Tumor, dann spricht man von einer Dysfunktion. Auch durch eine Umweltänderung kann eine Funktion (Passung) zur Dysfunktion (Nichtpassung) werden. 5)Anpassung, Adaptation, das Funktionieren oder Fungieren eines organismischen Teilsystems, das aufgrund seines positiven Passungswertes von der Selektion bei den Vorfahren des entsprechenden Organismus erhalten bzw. verbessert oder gar optimiert worden ist (evolutionärer Funktionsbegriff). Eine Aktivität mit Anpassungscharakter wird oft als die (eigentliche) Funktion eines Organs oder metaphorisch als dessen „Zweck“ bezeichnet. Echte Zwecke gibt es jedoch nur im Falle von sozialen und technischen Systemen, deren Anpassungscharakter zudem von künstlicher (z.B. ökonomischer) Selektion bedingt wird. – Die Auffassung, daß alle Aktivitäten Anpassungen (in diesem engen Sinne) sind, wird in der Biologie als Adaptationismus bezeichnet. Jedoch müssen nicht alle Aktivitäten das Produkt von Selektion sein (Exaptation). Eine Neu-Mutation z.B. kann ein verändertes Funktionieren oder Fungieren eines Organs zur Folge haben, das sich in der Interaktion mit der Umwelt als Passung (funktional) oder Nichtpassung (dysfunktional) erweist. Anschließend werden durch die Selektion Nichtpassungen eliminiert und Passungen gefördert. Letztere werden dann (bei den Nachkommen) zu Anpassungen i.e.S. (Funktionserweiterung). Zumeist werden aber sowohl Passungen als auch Anpassungen unter dem Terminus „Anpassung“ i.w.S. zusammengefaßt (Anpassung), weil es in der Praxis schwer ist, Passungen von Anpassungen i.e.S. zu unterscheiden. – Obwohl der Funktionsbegriff im Sinne von „selektionsbedingter Aktivität“ (Anpassung i.e.S.) der in der Evolutionsbiologie vorherrschende ist, sind je nach Kontext oder Erkenntnisinteresse alle vier obengenannten biologischen Funktionsbegriffe bedeutsam, weshalb man nicht sagen kann, daß es nur einen (sinnvollen) Funktionsbegriff in der Biologie gibt. – Mit Hilfe dieser Unterscheidungen kann auch die funktionale Erklärung in der Biologie verstanden werden. Dies ist eine Erklärung, die das Vorhandensein eines Teilsystems durch seine Funktion im Ganzen erklärt. Im Falle von Organismen wird dies durch die korrekte Beantwortung der folgenden Fragen geleistet: Was ist die innere Aktivität des Organs? (Wie funktioniert es?) Was ist die äußere Aktivität des Organs? (Als was fungiert es?) Haben die inneren und äußeren Aktivitäten des Organs Passungswert? (Sind sie Passungen?) Ist diese Passung das Ergebnis von Selektion bei den Vorfahren der betrachteten Organismen? (Ist sie eine Anpassung?) In diesem letzten Schritt wird dann auch auf einen Mechanismus (in diesem Fall einen Evolutionsmechanismus) verwiesen, wie es bei einer vollständigen Erklärung gefordert ist. – Zu Beginn einer solchen funktionalen Analyse mag der Biologe die Frage „Wozu dient dieses Organ?“ stellen. Doch die obigen Fragen zeigen, daß die funktionale Erklärung in der Biologie weder echte Wozu-Fragen noch echte Damit-Antworten umfaßt. Die Frage „Wozu?“ ist in diesem Zusammenhang also nur von heuristischem Wert; sie verleiht der Biologie keine methodologische Sonderstellung. Biophilosophie, Funktionalismus, Funktionsübertragung, Methodologie, Teleologie – Teleonomie.
M.Ma.
Lit.:Mahner, M., Bunge, M.: Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin 2000. Wouters, A.: Explanation Without a Cause. Utrecht 1999.
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