Lexikon der Biologie: Pubertätskrise
Pubertätskrise, Begriff für biologisch und sozial begründete Konfliktsituationen und Problementwicklungen Heranwachsender („Adoleszenter“) aus Industrienationen im Entwicklungsabschnitt der Geschlechtsreife zwischen Kindheit (kindliche Entwicklung) und Erwachsenenalter. Obwohl in der Pubertät eine grundlegende Strukturierung der Persönlichkeit sowie eine intensive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen erfolgen, der IQ (Intelligenz) steigt, da eigeninitiativ nach individueller Wahl Umwelten (geteilte Umwelt) aufgesucht werden können, bei Motivation kognitive (Kognition) und kreative (Kreativität) Höchstleistungen zu erwarten sind und sich die große Mehrheit der Jugendlichen eigenverantwortlich und realitätsgerecht in die Erwachsenenwelt einfindet, dominieren krisenhafte Pubertätsbilder. Typisch sind Eßstörungen, Selbstzweifel, Minderwertigkeits- und Ohnmachtgefühle, Neuerkrankungen an Schizophrenie und ein erhöhtes Unfall-, Suizid- und Drogenrisiko (Drogenabhängigkeit). Es findet eine Medikalisierung (Sichtweise unter medizinisch-pathologischen Bedingungen) der Jugendzeit statt. Die Schwellensituation zwischen Kindheit und Erwachsenenalter wirkt unüberschaubar, wird vom einzelnen als nicht steuerbar erlebt, es fehlt an individuell als wertvoll verbuchten Gemeinschaftserlebnissen. Die bislang für die Adoleszenz angedachte Auflösung der Generationengrenzen, die – wäre sie obligatorisch – eine hohe psychische Belastung für beide Seiten darstellen würde, ist heute umstritten. Eine interdependente Beziehung, die durch gegenseitige Aufmerksamkeit, sensible Wahrnehmung und individuell unterschiedliche Formen der Beeinflussung charakterisiert ist, wird als realitätsnäher gesehen. – Pubertätskrisen sind in traditionalen Kulturen unbekannt. Physiologische Entwicklung und gleichzeitige Weiterentwicklung der sozialen Lebensform stimmen dort überein, während Jugendliche in den Gesellschaftsstrukturen der Industrienationen nach Beendigung der Kindheit und Erreichen der Geschlechtsreife in ein gesellschaftliches Nichts fallen, aus dem sie erst Jahre später mit Erreichen der Erwerbstätigkeit herausfinden. – Die klassische Pubertät der traditionalen Kulturen ist dreiphasig; sie umfaßt die Trennung von der Kindheit, den Übergang in eine neue Welt und die Einfügung in diesen neuen Lebensabschnitt. Alle 3 Phasen sind ein kollektives Geschehen, im halböffentlichen Bereich angesiedelt und werden zumindest bei den männlichen Kindern durch eine feierliche Initiation mit traditionellen Initiationsriten markiert. Im Gegensatz hierzu kommt in den modernen Gesellschaften die Trennung nur schleppend, mitunter gegen den Widerstand der Eltern, zustande. Der Beginn der Pubertät ist in der Industriegesellschaft verfrüht und der Übergang ist extrem verlängert. Übergang und Eingliederung müssen vom jungen Menschen selbst geleistet werden. Unter diesen Bedingungen wird Initiation als Eintritt und Anfang in einer neuen Welt keineswegs mehr als kollektives, von der Gemeinschaft feierlich begleitetes Geschehen, sondern überwiegend als individuelle Krise empfunden. Trotz der gesellschaftlichen Veränderungen sind die biologischen und psychologischen Bedürfnisse des Heranwachsenden nach Kontakt (Kontaktbereitschaft), Explorations- (Erkundungsverhalten), Lern- (Lernen) und Nachahmungsmöglichkeiten (Nachahmung) sowie nach Bestätigung und Akzeptanz bei Familienmitgliedern und weiteren Sozialpartnern während der Ablösung aus der Eltern-Kind-Beziehung und der Eingliederung in die Erwachsenenwelt nach wie vor gegeben. Ohne ein vielfältiges Angebot an Initiationsäquivalenten können exzessive Pubertätskrisen entstehen, die ihren Ausgang im Bereich der Angst und Aggressivität aus Frustration oder in Form der als Provokation empfundenen aggressiven sozialen Exploration nehmen. Der Übergang von der Pubertätskrise in den politischen Extremismus, in Kriminalität und Sucht steht als Risiko (Risikofaktor) an. Nesthocker.
G.H.-S.
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