Lexikon der Biologie: Umwelt
Umwelt, environment, im deutschen Sprachraum seit rund 200 Jahren allmählich und zunächst primär im Sinne von „Umgebung“ eingeführter Begriff. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde er, wie das erheblich ältere französische Wort milieu, daneben auch im soziologischen Sinne verwendet. In der Zoologie ist der Umweltbegriff ab Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet und bezog sich ursprünglich vorwiegend auf die psychisch-physische Umwelt. So wies der Zoologe J.J. von Uexküll zu Anfang des 20. Jahrhunderts darauf hin, daß Organismen nur einen Teil der Qualitäten und Informationen der Außenwelt wahrnehmen, z.B. nur bestimmte Hörfrequenzen, die für unterschiedliche Tierarten deutlich verschieden sein können (z.B. für Fledermäuse im Vergleich zum Menschen; Gehörorgane). Der nicht wahrgenommene Teil gehört nicht zu ihrer derart definierten Umwelt, aber eventuell zu derjenigen anderer Organismenarten. Er unterschied eine psychologische Umwelt oder Merkwelt von einer physiologischen Umwelt oder Wirkwelt. In der Ökologie verwendete man noch lange Zeit eher die Begriffe Außenwelt oder Umgebung anstelle des heutigen Begriffs Umwelt. – Im Laufe der Zeit sind andere oder speziellere Definitionen für den biologischen Umweltbegriff gegeben worden, z.B. die von K. Strenzke. Er definierte als Minimalumwelt eines Organismus den Komplex aller existentiell notwendigen Umweltfaktoren, also unter Ausschluß der nicht absolut notwendigen Umweltfaktoren (ökologische Faktoren). Auf der Realisierung einer Minimalumwelt basieren viele biologische Tests oder Hälterungen, die lediglich die für das Individuum notwendige Minimalstrukturierung der Umwelt aufweisen (ausreichender Aufenthaltsort, geeignete und notwendige Nahrung, geeignete Temperatur, adäquate Hell-Dunkel-Phase) und z.B. keine Beutegreifer oder Konkurrenten (Konkurrenz) oder räumliche Strukturierungen beinhalten. Wird der Umweltbegriff auf die räumliche Umgebung eines Organismus beschränkt, so wird er nahezu synonym zu dem des Habitats. – Seit den Umweltschutz-Diskussionen (Umweltbelastung, Umweltschutz) um 1970 wurde der Umweltbegriff zum Allgemeingut und auch im politischen Sinne (mit der Implikation eines schützenswerten Gutes) eingesetzt. Er beinhaltete nun weitgehend den Komplex aller direkten und indirekten Beziehungen eines Organismus (oder einer Population oder Lebensgemeinschaft) zur übrigen Welt, soweit eine Wirkung und Gegenwirkung besteht, wobei die Umwelt des Menschen besonders im Vordergrund stand. Im Sinne eines ethischen und wirtschaftlichen Guts („Umwelt“ sollte nicht zum „Nulltarif“ belastet werden dürfen) wurde der Begriff zum Mode- bis hin zum Agitationsbegriff, allerdings auch definitorisch unscharf. – Unter sozialer oder innerartlicher Umwelt wird der Umgebungsaspekt gefaßt, innerhalb dessen zwischen Individuen kurz- oder langlebige Bezüge bestehen (Gruppe), die von den Mitgliedern dieser Umwelteinheit verwirklicht werden. Menschliche Individuen stellen wechselseitig füreinander soziale Umwelten her, die als gemeinsame Denkwelt verstanden werden können. Individuelle Anpassungsprozesse an die jeweilige soziale Umwelt sowie die Suche nach speziellen Anregungen in ihr machen während Kindheit (kindliche Entwicklung) und Jugend eine differenzierte Integration in den Sozialverband möglich (Sozialisation). Der Umweltbegriff im Sinne eines Einflußfaktors auf Verhalten und Entwicklung eines Organismus wird häufig auch als Gegenpart zum Begriff des Genotyps (Anlage) verwendet (Anlage-Umwelt-Diskussion). Anpassung, Environtologie, Evolution, Feldbeobachtung, mismatch theory, Genotyp-Umwelt-Interaktion, Genotyp-Umwelt-Korrelation, geteilte Umwelt, Naturschutz, nichtgeteilte Umwelt, ökologische Nische, Selektion, Umweltbeziehungen, Umweltinformationsgesetz.
B.St./G.H.-S.
Lit.:Bahadir, M., u.a. (Hrsg.): Springer-Umweltlexikon. Heidelberg – Berlin 1994. Berndt, J.: Umweltbiochemie. Stuttgart 1995. Bick, H., et al.: Angewandte Ökologie – Mensch und Umwelt. 2 Bde., Stuttgart 1984. Fritsche, W.: Umweltmikrobiologie. Stuttgart 1997. Weizsäcker, E.U. von (Hrsg.): Mensch, Wirtschaft, Umwelt. Heidelberg 1995.
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