Lexikon der Biologie: Zoologie
ESSAY
Ingo Narberhaus
Zoologie
Die Zoologie [von griech. zōon, zōion = Lebewesen, Tier, logos = Kunde] oder wissenschaftliche Tierkunde ist als Teilgebiet der Biologie die Wissenschaft von Bau, Funktion, Entwicklung, Stammesgeschichte, Verbreitung und Verhalten der Tiere (einschließlich des zum Taxon Säugetiere gehörenden Menschen). Neben der Botanik (Pflanzenkunde) und der (später von dieser abgetrennten) Mykologie (Pilzkunde) ist die Zoologie Ergebnis einer Aufspaltung der Wissenschaften vom Lebendigen (Leben), nach dem Kriterium grundlegender Unterschiede in Erscheinungsform und Lebensweise von Organismengruppen. Obgleich es inzwischen eine Vielfalt hoch spezialisierter neuer Teildisziplinen sowie Bestrebungen zu einer Neuorganisation der Biologie gibt, ist diese Einteilung vor allem in der europäischen Wissenschaft bis heute verbreitet. Den großen biologischen Fragestellungen und verschiedenen Forschungsmethoden entsprechend, lassen sich in der Zoologie die folgenden Kerngebiete charakterisieren:
Morphologie: Die Morphologie (Zoomorphologie, Formenlehre) befaßt sich mit den Körperstrukturen der Tiere. Man unterscheidet dabei die Erforschung der äußeren Gestalt der Tiere von der des inneren Aufbaus und der Lageverhältnisse ihrer Organe (Anatomie; Bauplan). In der Hierarchie der anatomischen Untersuchungsebenen bezeichnet man die Teildisziplinen dann auch als Organologie (Organkunde), Histologie (Gewebelehre) oder Cytologie (Zellenlehre). Die Zoomorphologie arbeitet heute nicht mehr rein deskriptiv (Beschreibung), sondern strebt auch nach Verständnis für die Zweckmäßigkeit (Adaptationswert) von Körperstrukturen (Funktionsmorphologie) und sucht im zwischenartlichen Vergleich (Artenvergleich) Gemeinsamkeiten und Besonderheiten herauszuarbeiten. So besteht die Homologieforschung vor allem in einer vergleichenden Betrachtung von Körperstrukturen zwischen näher oder ferner verwandten Taxa. Auch an Fossilien erkennbare Strukturen ausgestorbener Arten können herangezogen werden (Übergang zur Paläozoologie; Paläontologie, Paläanthropologie).
Tierphysiologie: Die Funktion des Tierkörpers ist Gegenstand der Tierphysiologie (Zoophysiologie; Physiologie). Ziel dieser Teildisziplin ist es, Lebensvorgänge in Tieren zu beschreiben und sie in kausalen Zusammenhängen (Verursachung) zu erklären (Erklärung). Da sich Tiere in ihrem physiologischen Komplexitätsgrad und durch einzigartige, funktional spezialisierte Organsysteme von allen anderen Organismen stark abheben, gibt es eine Reihe ebenso hoch spezialisierter Teilgebiete innerhalb der Tierphysiologie. Diese beschäftigen sich mit funktionellen Systemen wie z.B. Bewegungsapparat (Bewegungsphysiologie;Bewegung, Biomechanik, Fortbewegung, Motorik), Stoffwechsel, Energie- (Energiekonservierung, Energiestoffwechsel) und Wärmehaushalt (Temperaturregulation; Stoffwechselphysiologie), Gehirn und Nerven (Nerven- oder Neurophysiologie; Neurobiologie [Geschichte der]), oder Sinnesorganen (Sinnesphysiologie). Die Tierphysiologie steht, vor allem, wenn es sich um Säugetiere als Untersuchungsobjekte handelt, oft in unmittelbarer Beziehung zur medizinischen Grundlagenforschung (Biomedizin, Medizin, Tierversuche).
Entwicklungsbiologie: Die Vorgänge während der Individualentwicklung (Ontogenese;Entwicklung, Embryonalentwicklung) des Tieres werden von der Entwicklungsbiologie erforscht (Entwicklungsbiologie [Geschichte der]). Ihre zentrale Fragestellung ist der Prozeß der Differenzierung – Mechanismen, die aus anfänglich gleichartigen Teilen unterschiedliche werden lassen. Auf der Zeitachse untersucht man sowohl auf struktureller wie auf molekularer Ebene Prozesse, die von der befruchteten Eizelle (oder von vergleichbaren Stadien bei sich vegetativ fortpflanzenden Tieren; asexuelle Fortpflanzung, Befruchtung, Fortpflanzung, sexuelle Fortpflanzung) zum adulten, fortpflanzungsfähigen Organismus führen. Molekularbiologische Techniken (Molekularbiologie) bieten heute der Entwicklungsbiologie die Möglichkeit, Entwicklungsvorgänge auf genetische Steuerungsmechanismen zurückzuführen (Entwicklungsgenetik). Hierfür werden Modellorganismen (Modellsysteme) wie Maus (Hausmaus), Zebrafisch, Taufliege (Drosophila melanogaster) oder Fadenwurm (Caenorhabditis elegans) herangezogen, anhand derer man exemplarisch versucht, z.B. durch Herstellung von sog. Knock-out-Mutanten (Knockout, Knockout-Mäuse, Knockout-Organismen), Genfunktionen und Regulationsprozesse (Genexpression, Genregulation) aufzuklären.
Verhaltensbiologie: Die Verhaltensbiologie (Verhaltensforschung, Ethologie; Humanethologie, Kinderethologie, kognitive Ethologie, Nutztierethologie; früher Tierpsychologie) untersucht die Gesamtheit aller Aktionen und Reaktionen der Tiere, alle äußerlich beobachtbaren Bewegungen und Stellungen und deren Veränderung, die der funktionalen Steuerung durch ein Nervensystem unterliegen. Auf der Suche nach proximaten Erklärungen (proximate Ursache) für eine Verhaltensäußerung (Verhalten) ergeben sich u.a. Fragen nach deren physiologischen, vor allem neuronalen Auslösern(Verhaltensphysiologie), sowie nach ihrer genetischen Regulation (Verhaltensgenetik). Die ultimate Erklärung (biologischer Zweck) eines Verhaltens hingegen bezieht sich auf dessen Anpassungswert im Umweltkontext des Tieres. Dies ist Aufgabe der Verhaltensökologie (Ethoökologie) und der Soziobiologie.
Ökologie: Die Wechselbeziehungen der Tiere mit ihrer biotischen und abiotischen Umwelt und der Stoffhaushalt natürlicher Systeme (Stoffkreisläufe) werden von der Ökologie(Tierökologie) untersucht. Auch hier gibt es eine abgestufte Hierarchie von Forschungsgegenständen. Im Fokus ihres Umweltkontextes können Individuen(Autökologie), Populationen (Populationsökologie, Demökologie) oder auch ganze Ökosysteme betrachtet werden (Synökologie, Ökosystemforschung). In der ökologischen Grundlagenforschung beschäftigt man sich z.B. mit Habitatansprüchen (Habitat, Habitatselektion) von Arten, Räuber-Beute-Systemen (Räuber-Beute-Verhältnis), Nahrungsketten, Konkurrenzphänomenen (Konkurrenz) innerhalb und zwischen Arten, oder mit Gleichgewichtszuständen in Lebensgemeinschaften (Biozönosen oder Zoozönosen). Anwendung findet die Ökologie vor allem im Naturschutz und erlangt hier zunehmend auch gesellschaftliche Relevanz.
Evolutionsbiologie: Die Evolutionsbiologie schließlich beschäftigt sich mit der stammesgeschichtlichen Entwicklung (Evolution) der Tiere. Ihr Ziel ist zum einen die Rekonstruktion des phylogenetischen Ablaufs von Artwandel, Artspaltung (Artbildung) und Artsterben (Aussterben, Massensterben; Phylogenie, Stammbaum) und zum anderen die Aufklärung von Ursachen und Mechanismen im Prozeß der Merkmalsveränderung in der Generationenfolge innerhalb von Populationen und Arten („Mikroevolution“) bis zur Entstehung neuer taxonomischer Gruppen („Makroevolution“). Bei der Erforschung von Evolution werden Fakten (Faktum) und Hypothesen aus sämtlichen biologischen Disziplinen herangezogen. Die für die Evolutionsbiologie wichtigsten Teildisziplinen sind Populationsbiologie, Quantitative Genetik, Ökologie, Verhaltensökologie, Tiergeographie, Morphologie und Entwicklungsbiologie. Wortschöpfungen wie Evolutionäre Genetik, Evolutionsökologie, Evolutionsmorphologie, Evolutionäre Entwicklungsbiologie („Evo-Devo“) verdeutlichen die Verwobenheit der Disziplinen untereinander. Auf der Grundlage der Evolutionstheorie werden Fortpflanzungsgemeinschaften als Tierarten (Spezies; Art) beschrieben und nach stammesgeschichtlicher Verwandtschaft (Phylogenetik) in Gruppen (Taxa; Taxon) geordnet. Dies sind die Ziele von Systematik (phylogenetische Systematik) und Taxonomie (Klassifikation, Nomenklatur).
Allgemeine Zoologie – Spezielle Zoologie: E. Haeckel benannte das obige Gefüge von zoologischen Teildisziplinen als Allgemeine Zoologie, deren Gegenstand allgemeine, über einzelne tierische Organismengruppen hinaus gültige Prozesse und Strukturen seien. Dem gegenüber stellte er die Spezielle Zoologie, welche die besonderen Eigenschaften einzelner Tiertaxa behandeln sollte. Letzterem gemäß lassen sich in der Zoologie zusätzlich zu den Grunddisziplinen auch taxonorientierte Teilwissenschaften benennen. Erwähnt seien hier die Ornithologie (Vogelkunde), Herpetologie (Amphibien- und Reptilienkunde), Ichthyologie (Fischkunde), Entomologie (Insektenkunde), Arachnologie (Spinnenkunde), Malakologie (Weichtierkunde) und Protozoologie (Einzellerkunde). Spezialisten für Taxa verschiedenster klassifikatorischer Kategorien neigen dazu, ihren Tätigkeitsfeldern von den Untersuchungsobjekten entlehnte Eigennamen zu verleihen (z.B. Hymenopterologie, Coleopterologie, Dipterologie; Trilobitologie, Bryozoologie, Primatologie). Ein Beispiel, bei dem nur 1 Spezies im Mittelpunkt steht, ist die Anthropologie (Menschenkunde). Sie wird in der Zoologie meist biologische Anthropologie (oder Humanbiologie) genannt, um sie von der Kulturanthropologie/Ethnologie abzugrenzen.
Weitere zoologische Disziplinen entstehen in der auf bestimmte Biome oder Biotoptypen beschränkten Untersuchung von Tieren und Tiergemeinschaften, so z.B. die Meereszoologie (Meeresbiologie) oder die Bodenzoologie (Bodenbiologie, Bodenorganismen).
Angewandte Zoologie: Die Angewandte Zoologie befaßt sich mit den für Menschen nützlichen (Nutztiere, Nützlinge) bzw. schädlichen Tieren (Schädlinge) – mit dem Ziel, ihren Nutzen zu mehren und ihren Schaden zu mindern (Schädlingsbekämpfung, transgene Tiere). Zur Angewandten Zoologie gehören daher auch die Tierzüchtung, Jagd, Fischereibiologie, Teichwirtschaft, Abwasserbiologie, Naturschutz, Landschaftsökologie, Parasitologie, Vorratsschutz sowie alle Bereiche der Zoologie, die der Humanmedizin (Medizin) und Veterinärmedizin dienen. In das Grenzgebiet zwischen Zoologie und Medizin fallen auch viele neuere Entwicklungen der molekularen Genetik und Biotechnologie (Gentechnologie), für deren Fortschritt tierische Modellorganismen unerläßlich sind. Neben den Genomen (Genomik) des Fadenwurms Caenorhabditis elegans und der Taufliege Drosophila melanogaster liegt seit Ende 2002 auch die Genomsequenz der Maus (Mus musculus) vollständig vor und dient nun als Vergleichsgrundlage zum Verständnis des menschlichen Genoms und als Werkzeug für die biomedizinische Forschung.
Schließlich unterliegen auch die anwendungsorientierten Bereiche der Biophysik, die u.a. physikalische Strukturen und Funktionen von Tieren untersucht bzw. imitiert (Bionik), dem Einfluß zoologischer Grundlagenforschung.
Geschichte der Zoologie: Der Mensch ist von Anbeginn seiner Entstehung (Urgesellschaft) an der ihn umgebenden Tierwelt (Fauna) interessiert. Ob abhängig von Tieren als Quelle für Nahrung (Nahrungsmittel), Kleidung und Werkzeuge (Werkzeugkulturen) oder durch sie bedroht als Raubtiere und Parasiten – eine gute Kenntnis der Tiere war immer Notwendigkeit zum Überleben menschlicher Sozietäten. Zeugnisse dieser Kenntnis sind uns ab dem Jungpaläolithikum (Altsteinzeit) in Form von Tierdarstellungen in den Höhlen steinzeitlicher Behausungen überliefert (Felsmalerei [Abb.]). Viel später dokumentiert finden wir die Benennung von Tierarten mit Eigennamen, derer z.B. eine stattliche Anzahl auf Schrifttafeln des alten Babylon aufgelistet und erhalten sind. Mit der Haltung von Haustieren und deren Zucht (Domestikation;Haustierwerdung) begann der Mensch immer mehr, sich mit den Lebensäußerungen dieser Tiere auseinanderzusetzen. Die bestechende Erkenntnis der Gleichartigkeit zwischen Säugetieren und Menschen in Phänomenen wie Geburt, Ernährung, Krankheit, Fortpflanzung oder Tod gab vielfältigen Anlaß zu vergleichenden Beobachtungen und Untersuchungen.
Im antiken Griechenland war es der berühmte Arzt Hippokrates (ca. 460–377 v.Chr.), der bereits erhebliches Wissen in der vergleichenden Zoologie, insbesondere der Anatomie und Physiologie, erlangte. Der eigentliche Begründer der Zoologie jedoch war Aristoteles (384–322 v.Chr.), der bis Darwin (s.u.) wie kein anderer die Nachwelt auf diesem Wissensgebiet beeinflussen sollte. Neben einer erstmaligen Aufteilung der Biologie in Zoologie und Botanik hat er mit seinem umfangreichen Werk zugleich die Grundsteine für verschiedene Teildisziplinen der Zoologie gelegt. Seine Studien über den Bau der Tiere („De partibus animalum“), ihre Sinneswahrnehmungen und Bewegung („De animalium motione“) und ihre Fortpflanzung und Entwicklung („De generatione animalium“) gehörten bis ins 18. Jahrhundert zu den Standardwerken. Mit der Beschreibung und Klassifikation von über 400 Tierarten legte er außerdem bereits eine erste Systematik der Tiere vor („Historia animalium“). Hier unterschied er zunächst binär und rein typologisch zwischen „Bluttieren“ und „blutlosen Tieren“, später Wirbeltiere und Wirbellose genannt. Weitere, bis heute gültige von ihm bezeichnete Gruppen sind z.B. Vögel, Säugetiere (denen er auch schon die Wale zuordnete) und Insekten. Im Widerspruch zum rein deduktiven Ansatz Platons gab Aristoteles als Empiriker (Empirie) den Sinnen den Vorrang vor der Vernunft und bediente sich bei seiner Forschung bereits des Experiments. Eine umfangreiche Naturgeschichte von 37 Bänden schrieb dann Plinius der Ältere (ca. 23–79 n.Chr.). In den 4 der Zoologie gewidmeten Bänden (Landtiere, Wassertiere, Vögel und Insekten) lieferte er, unter Benutzung von Reiseberichten aus Asien und Afrika, eine Fülle von Beschreibungen neuer Arten.
Mit dem Einbruch des Mittelalters begann auch für die Zoologie eine fortschrittsarme Zeit. Im Christentum wurde nicht lange nach dem Wer, Woher und dem Warum der lebendigen Welt gefragt. Durch das Dogma der biblischen Schöpfungsidee (Schöpfung) waren die biologischen Wissenschaften ein Tabu. Über Jahrhunderte stand das „Mensch-Natur“-Verhältnis unter dem Schatten der biblischen Handlungsanweisung, sich die Natur untertan zu machen – Platz für eine besondere Aufmerksamkeit und Interesse gegenüber der lebenden „Mitwelt“ gab es daher nicht. Dies änderte sich ein wenig im 12. Jahrhundert mit dem Dominikaner Albertus Magnus (um 1200–1280), der an verschiedenen europäischen Universitäten und Ordensschulen antikes Naturwissen und arabische Philosophie lehrte. In seinem 26bändigen zoologischen Werk „De animalibus“ gab er zwar vor allem aristotelische Texte wieder, versetzte sie aber auch mit neuen, eigenen Erörterungen, z.B. über die „Stufenfolge der Wesen“ und die Stellung des Menschen in Bezug zu den Tieren. Ebenfalls stark an der griechischen Antike orientiert war die Tierkunde der arabisch-islamischen Naturwissenschaft. Erwähnt sei hier Ibn Sina (latinisiert Avicenna, 980–1037), der in seiner Zoologie aristotelische Texte kommentierte sowie neue Erklärungen zu physiologischen Prozessen lieferte. Ein herausragender Naturbeobachter und in seiner Arbeitsweise anderen zeitgenössischen Forschern weit voraus war Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen (1194–1250), der am Hof von Palermo wirkte. Sein Buch über die Kunst der Falkenjagd oder Falknerei („De arte venandi cum avibus“) ist ein Zeugnis tiefer Tierkenntnis und von Dogmen weitgehend unbeeinflußter Naturforschung. Dennoch gab es seit der Antike insgesamt kaum Neuerungen, welche die Zoologie in ihrem Erkenntnisstand bedeutend weitergebracht hätten. Während die mechanistischen Wissenschaften Physik, Mathematik und Kosmologie noch während des Spätmittelalters neue Impulse erfuhren, „erwachte“ die gesamte Biologie erst wieder mit der Renaissance. Hier waren es vor allem die großen Entdeckerreisen, die der wissenschaftlichen Tierkunde rasante Fortschritte brachten. Angeregt zunächst durch die Kreuzzüge, dann die Seereisen der venezianischen Kaufleute (Marco Polo) und die Entdeckung der Neuen Welt durch C. Columbus (1492), entflammte ein allgemeines Interesse an den fremden Kontinenten und der ungeheuren Vielfalt ihrer Faunen und Floren. So entstanden im 16. Jahrhundert einige umfassende zoologische Enzyklopädien, allen voran die von C. Gesner (1516–65), E. Wotton (1492–1555) und U. Aldrovandi (1522–1605). Diese Forscher, bisweilen als „Väter der Zoologie“ bezeichnet, faßten in vielbändigen Werken das gesamte Wissen der Zeit über die verschiedenen Tiergruppen zusammen. Gleichzeitig wurden auch bedeutsame spezielle Naturgeschichten geschrieben, z.B. eine über Vögel von P. Belon (1517–64) („L'histoire de la nature des oyseaux“, 1555) und eine über Meeresorganismen von G. Rondelet („De Piscibus Libri 18“, 1554).
Neben Fortschritten in anatomischen und physiologischen Erkenntnissen war für die Zoologie des 17. Jahrhunderts das herausragendste Ereignis die Erfindung des Mikroskops, wodurch sich der Zoologie völlig neue Erkenntnisräume erschlossen. Als Pioniere der Mikroskopie gelten A. van Leeuwenhoek (1632–1723) und M. Malpighi (1628–94), die erste Untersuchungen an Tiergeweben unternahmen (Geburtsstunde der Histologie), und Spermatozoen, Blutzellen und Süßwasser-Plankton entdeckten. Auch die Insekten wurden in jener Zeit zum Forschungsobjekt. Erwähnenswert ist hier vor allem F. Redi (1626–98), der nachwies (1668), daß sich Insekten aus Eiern und nicht durch Urzeugung entwickeln, und J. Swammerdam (1637–80), der u.a. hervorragende anatomische Arbeiten an der Honigbiene leistete.
Durch die sich ausweitenden großen Entdeckungsfahrten wurden in den folgenden Jahrhunderten Pflanzen und Tiere aus aller Welt nach Europa gebracht, u.a. durch J. Cook (1728–79) und die mit ihm reisenden Naturkundler J.R. Forster (1729–98) und J.G.A. Forster (1754–94), sowie durch F.A.H. von Humboldt (1769–1859). Es entstanden riesige Sammlungen exotischer Organismen, und mit dem akribischen Auflisten und typologischen Sortieren kam es zum Zeitalter der Klassifikation, das seinen Höhepunkt im Werk des C. von Linné (Carolus Linnaeus; 1707–78) erreichte. In derselben Zeit keimten erste Ideen zur Veränderlichkeit der Arten auf. Ein Zentrum dieser Entwicklung war um 1800 das Pariser Nationalmuseum für Naturgeschichte. Unter anderem beeinflußt von den naturgeschichtlichen Studien von G.L.L. von Buffon (1707–88) legte hier J.-B. de Lamarck (1744–1829) mit seiner Theorie der Umbildung eine erste Evolutionslehre vor, die ein revolutionäres Abwenden vom traditionellen Erklärungsansatz bedeutete. Lamarcks größter Kontrahent war der am gleichen Ort wirkende Anatom G. de Cuvier (1769–1832), der sich vor allem durch seine Fortschritte in der zoologischen Systematik verdient gemacht hat und weiterhin die Theorie der Artkonstanz vertrat. Dieser lieferte sich mit É. Geoffroy Saint-Hilaire (1772–1844), einem weiteren frühen Evolutionstheoretiker, den berühmten Pariser Akademie-Streit (1831; idealistische Morphologie), an dem auch J.W. von Goethe (1749–1832) vermittelnd Anteil genommen hat. Letztlich dienten sowohl die Evolutionslehren von Lamarck und Geoffroy Saint-Hilaire als auch die exzellenten vergleichend-anatomischen Arbeiten des Evolutionsgegners Cuvier der Ideenreifung des C.R. Darwin (1809–82). Im Jahr 1859 und entgegen der weiterhin vorherrschenden Philosophie des teleologischen Gottesbeweises (Teleologie – Teleonomie) schlug dieser mit seinem Hauptwerk „The origin of species by means of natural selection“ erstmals seine neue Theorie der Evolution vor. Im wesentlichen erklärte er, die Entstehung und Veränderung der Arten beruhe auf erblicher Variabilität in Populationen und auf dem wahrscheinlicheren Überleben und Fortpflanzen besser angepaßter (Anpassung) Individuen. Die Theorie von der natürlichen Selektion als wichtigstem Evolutionsfaktor wurde zur gleichen Zeit und unabhängig auch von A.R. Wallace (1823–1913) auf einer Reise durch den malayischen Archipel formuliert. Seine Erkenntnisse sandte dieser 1857 an Darwin, was zu einer kurzen gemeinsamen Publikation führte. Während der Selektionsprozeß in vielen seiner Details noch lange umstritten blieb, hat sich Darwins Teiltheorie der gemeinsamen Abstammung (Deszendenztheorie; Abstammungslehre) aufgrund der Fülle an faktischen Belegen bei der großen Mehrheit der Naturforscher unmittelbar durchgesetzt. In Deutschland wurde der Darwinismus insbesondere durch E. Haeckel (1834–1919) verbreitet. Haeckel bereicherte die Evolutionstheorie durch seine Ideen zur ontogenetischen Rekapitulation der Phylogenese (Biogenetische Grundregel) und charakterisierte und benannte u.a. vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie die Ökologie als neue biologische Forschungsrichtung. In dieser Zeit entstanden an den Universitäten Deutschlands die ersten Lehrstühle und Institute für Zoologie: 1833 in Leipzig (E. Poeppig), 1853 in München (K.T. von Siebold), 1865 in Jena (E. Haeckel) und 1867 in Freiburg i.Br. (A. Weismann). Nach Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln durch H. de Vries (1848–1935), C.E. Correns (1864-1933) und E. von Tschermak (1871–1962) führten die Erkenntnisse der Genetik und Populationsgenetik sowie der Systematik schließlich zwischen 1936 und 1947 zur Entwicklung der sog. Synthetischen Theorie der Evolution (Synthetische Evolutionstheorie). Die Akteure dieser großen Synthese waren im wesentlichen der Mathematiker R.A. Fisher (1890–1962), die Genetiker T. Dobzhansky (1900–75) und S. Wright (1889–1988) sowie die Zoologen E. Mayr (*1904), G.G. Simpson (1902–84), J.S. Huxley (1887–1975) und B. Rensch (1900–1990). Der fortan widerspruchsfreie Erklärungsansatz über den Evolutionsprozeß ist seither vielfach präzisiert und tiefgreifend gefestigt worden und wurde somit zum heutigen Paradigma.
Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich mit der Ethologie der jüngste, rein zoologische Forschungszweig. Wegbereitend für die Verhaltensforschung waren K. Lorenz (1903–89) und später N. Tinbergen (1907–88), die in ihren vergleichenden Studien insbesondere das Wechselspiel zwischen genetischem Programm und erlerntem Verhalten von Tieren untersuchten. Die Verhaltensbiologie führte schließlich, in sukzessiver Verflechtung mit den genetischen und evolutionsbiologischen Erkenntnissen und als Höhepunkt evolutionistischen Denkens, in den 1970er Jahren zur Schöpfung der Soziobiologie, einer bis heute kontrovers diskutierten neuen Synthese.
Lit.:Grell, K.G. u.a. (Hrsg.): Kaestner: Lehrbuch der speziellen Zoologie, Band I/1–4, Wirbellose Tiere. Heidelberg 2002. Grell, K.G. u.a. (Hrsg.): Kaestner: Lehrbuch der speziellen Zoologie, Band II/2+5 Wirbeltiere. Heidelberg 2001. Storch, V., Welsch, U.: Systematische Zoologie. Heidelberg 62003. Storch, V., Welsch, U.: Kurzes Lehrbuch der Zoologie. Heidelberg 71994. Westheide, W., Rieger, R.: Spezielle Zoologie, Band 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. Stuttgart 1996. Westheide, W., Rieger, R.: Spezielle Zoologie, Band 2: Wirbeltiere, Heidelberg 2003.
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