Lexikon der Biologie: Medizin
Medizinw [von latein. medicina = Heilkunst, Arznei], 1) volkstümlich: die Arznei, das Heilmittel (Arzneimittel). 2)Heilkunde, Heilkunst, Wissenschaft von der Funktionsweise des gesunden und kranken Organismus bei Mensch (Humanmedizin), Tier (Tiermedizin, Veterinärmedizin) und Pflanze (Pflanzenmedizin, Phytomedizin), von den Ursachen und Erscheinungsformen ihrer Krankheiten(Pathologie), deren Erkennung (Diagnose), Behandlung (Therapie) und Vorbeugung (Prophylaxe). Hauptfachgebiete der heutigen Medizin sind Innere Medizin, Anatomie, Chirurgie, Physiologie und Pharmakologie; Teilgebiete bzw. überlappende Fachbereiche sind u.a. Gynäkologie, Augen-, Hals-Nasen-Ohren- sowie Zahnheilkunde, Orthopädie, Histologie, Hygiene, Neurologie, Dermatologie und Psychiatrie. Andere naturwissenschaftliche Disziplinen (Biowissenschaften, Naturwissenschaften) wie die Biologie (vor allem Mikrobiologie, Immunologie und Genetik; biomedizinische Technik, Biomedizin), Chemie (Biochemie, Klinische Chemie), Physik (Biophysik) und Pharmazie (Pharmakodynamik, Pharmakogenetik, Pharmakokinetik, Pharmakognosie, Pharmakologie) haben wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung der Medizin.
Die Geschichte der Medizin ( vgl. Tab. ) beginnt bereits in der Steinzeit mit empirisch fundierten Heilmethoden, z.B. Anwendung pflanzlicher Heilmittel (Heilpflanzen, Giftpflanzen), Wundversorgung, chirurgischen Eingriffen (u.a. Trepanation von Schädeln). In der Medizin der alten Kulturvölker wurden erste Krankheitstheorien entwickelt. Die magisch-animistische Medizin sah Fremdkörper als Krankheitsursache, wobei der Fremdkörper als Dämon personifiziert wurde; die Behandlung beruhte auf Magie und Dämonenvertreibung. Spätere Vorstellungen sahen in der Krankheit von einer Gottheit gesandte Strafen oder Prüfungen; die Heilung konnte durch Opfer, Sühne und Gebet erreicht werden (religiös-theurgische Medizin). Darüber hinaus belegen Aufzeichnungen die Weitergabe von medizinischen Erfahrungen (Empirie), u.a. zu grundlegenden chirurgischen Techniken, zur Anwendung von Diäten, Heil- und Hilfsmitteln sowie zu fast allen heute noch gebräuchlichen Verabreichungsformen. Die Begründung der wissenschaftlichen Medizin geschah schließlich im 4. Jahrhundert v.Chr. im antiken Griechenland. Ausgehend von den Theorien griechischer Naturphilosophen (Naturphilosophie) zu Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Natur (Mensch) und des Lebens entwickelte Hippokrates die sog. Humoralpathologie, welche die Ursache für Krankheiten in der fehlerhaften Zusammensetzung der Körpersäfte sah. Grundlage des darauf basierenden medizinischen Systems waren exakte Beobachtung und Beschreibung der Krankheitssymptome, Prognose sowie prophylaktische Maßnahmen, außerdem eine hohe ethische Auffassung (Ethik, Humanität) des Arztberufes. Konkurrierende Systeme sahen in der Ursache für Krankheiten die fehlerhafte Zusammensetzung der festen Bestandteile des Körpers (Solidarpathologie) oder den Einfluß der Atemluft (Pneumalehre). Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. faßte schließlich der römische Arzt C. Galen das antike Wissen auf der Grundlage der Humoralpathologie zusammen und schuf so ein System, das bis in das 17. Jahrhundert in der Medizin vorherrschend wurde. Die Überlieferung und Weiterentwicklung der griechisch-römischen Medizin im Mittelalter erfolgte vorwiegend durch arabische Schulen. Die sog. scholastische Medizin des Hochmittelalters beschränkte sich auf die Kommentierung des antiken und arabischen Wissens. Vermutlich erst die Hilflosigkeit gegenüber verheerenden Epidemien (Epidemiologie) wie der Pest und der Syphilis regten Zweifel an der medizinischen Überlieferung. Die von P.T. Paracelsus Anfang des 16. Jahrhunderts begründete Iatrochemie bedeutete die erste Abwandlung des humoralpathologischen Systems. Die endgültige Abkehr begann mit der Begründung der modernen Anatomie durch den niederländischen Arzt A. Vesal Mitte des 16. Jahrhunderts. Mit der Entdeckung des Blutkreislaufs, der Erklärung von Lebensphänomenen mit Hilfe physikalischer Ansätze und dem Aufkommen des Mikroskops gewann Anfang des 17. Jahrhunderts die Iatrophysik mehr und mehr Bedeutung in der Medizin. Einige schwer verständliche Phänomene jedoch, wie z.B. die Irritabilität und Sensibilität von Muskulatur und Nervensystem, versuchte man mit Hilfe einer allem Lebendigen innewohnenden Lebenskraft (vis vitalis) zu erklären, was der Idee des Vitalismus im 18. und 19. Jahrhundert enormen Auftrieb gab. Die konkurrierende, eher mechanistische Denkrichtung (Mechanismus; Vitalismus – Mechanismus) führte zu einer zunehmend lokalistischen Betrachtungsweise, die sich u.a. darin zeigte, daß der Sitz von Krankheiten Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst in den Organen (G.B. Morgagni), dann in den Geweben (M.F.X. Bichat) und schließlich – basierend auf der Schleiden-Schwannschen Zelltheorie – in den Zellen gesehen wurde (Begründung der Zellularpathologie 1858, R. Virchow). Diese Denkrichtung förderte im 19. Jahrhundert die Aufspaltung in viele Einzeldisziplinen und die Entwicklung einer Fülle neuer diagnostischer und therapeutischer Methoden. Narkose, Antisepsis und Asepsis brachten der Chirurgie einen gewaltigen Aufschwung. Das 20. Jahrhundert war durch enorme Fortschritte u.a. in der Pharmakologie, in der Immunologie, in der Transfusions- (Bluttransfusion) und Transplantationsmedizin (Transplantation, Transplantationsimmunologie), in der Laser- (Lasermedizin) und Mikrochirurgie geprägt. Die Entdeckung von Antibiotika erlaubte die Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten (Antibiotika-Resistenz), die medizinische Diagnostik wurde durch bildgebende Verfahren (u.a. Computertomographie, Dopplersonographie, Endoskopie, Holographie, Kernspintomographie, Mikrotomographie, Positronenemissionstomographie, Szintigraphie, Ultraschalltomographie), immunologische (Immunassays, Immundiagnostik, Radioimmunassay) und molekularbiologische Methoden (Amniocentese, blotting-Techniken, Chromosomendiagnostik, Cytodiagnostik, DNA-Diagnostik, Enzymdiagnostik, genetische Diagnose, Genomanalyse, Nuklearmedizin, Polymerase-Kettenreaktion, pränatale Diagnostik, Serumelektrophorese;molekulare Medizin) verfeinert. Neben diesen medizinisch-technischen Fortschritten führten ganzheitliche Betrachtungen zu neuen medizinischen Fächern wie Psychologie, Psychoneuroimmunologie, Psychosomatik, Medizinsoziologie, Umweltmedizin (BAT-Wert, Gefahrstoff-Verordnung, MAK-Wert) und Geomedizin. In den Industrieländern läßt die kritische Haltung gegenüber der Schulmedizin alternative Heilmethoden (alternative Medizin; z.B. Akupunktur, Homöopathie, Naturheilkunde) aufleben, sog. Zivilisationskrankheiten (kulturgebundenes Syndrom) geben medizinischer Beratung, Prävention und Risikoforschung immer mehr Bedeutung. Nach Eintritt in das 21. Jahrhundert werfen manche medizinischen Entwicklungen (u.a. Forschungen an embryonalen Stammzellen, Keimbahntherapie, Präimplantationsdiagnostik) Fragen auf, die nach einer ethisch-moralischen Bewertung verlangen (Bioethik). Während z.B. die medizinische Forschung in den Industrieländern zu immer effizienteren, aber auch aufwendigeren und teureren Diagnose- und Therapiemaßnahmen führt (u.a. adoptive Immuntherapie, Alphateilchen-Therapie, antisense-Medikamente, Biowerkstoffe, Chemotherapie, Cytokintherapie, Gammatherapie, HIV-Therapie, Immun-Krebstherapie, Immunsuppression, Immuntherapie, Nabelschnurblut, Radioiodtherapie, Strahlentherapie, Schwerionenforschung), sind die (ungleich zahlreicheren) Menschen in Entwicklungsländern nach wie vor von Infektionskrankheiten und mangelnder medizinischer Versorgung bedroht ( vgl. Infobox ). Mit der Weiterentwicklung der Fortpflanzungsmedizin (Embryonenforschung, Embryonenschutzgesetz, Insemination, Reproduktionsbiologie) und der Einführung gentechnischer Methoden (Gentechnologie; Genomik, Genomprojekt, Proteomik) in die Medizin – z.B. erhofft man sich mittels Gentherapie die Heilung von Erbkrankheiten, durch die Herstellung transgener Säugetiere (transgene Tiere) und deren Klonierung die Gewinnung hochreiner Pharmazeutika (gene-farming) sowie Ersatzgewebe (Gewebezüchtung) und -organe für Transplantationen – sind nicht nur medizinische Erfolge verbunden, sondern auch gesellschaftliche Verwerfungen möglich, deren Konsequenzen sich eine ethisch fundierte medizinische Wissenschaft stellen muß. Biochips, Biosensoren, Biotechnologie, Chronopharmakologie, Ethnomedizin, Evolutionsmedizin, Medizinmeteorologie, Mikrosensoren, molekulare Pathologie, Verhaltensmedizin; Mensch IMensch II .
M.B.
Lit.:Eckhart, W.U.: Geschichte der Medizin. Berlin–Heidelberg 2000. Porter, R.: Die Kunst des Heilens. Heidelberg 2000. Reuter, P.: Springer Wörterbuch Medizin. Heidelberg – Berlin 2001.
Medizin
Meilensteine der Medizingeschichte
Steinzeit: sog. empirische Heilkunde: pflanzliche Heilmittel, Wundversorgung, chirurgische Eingriffe
ab 3000 v.Chr.: erste Krankheitstheorien in der Medizin der alten Kulturvölker: magisch-animistische Medizin, religiös-theurgische Medizin
Mesopotamien (Zweistromland): Medizin der Sumerer, Babylonier und Assyrer mit stark astrologischem Einschlag; Texte mit anatomischen und physiologischen Informationen, Krankheitssymptomen, Therapie und Arzneimittel; „Codex Hammurapi“ über das Ärztewesen und Verordnungen zum Ärztehonorar
Ägypten: Papyri zu Chirurgie, innerer Medizin, Augenheilkunde und Arneimitteln
Indien: Ausbildung von Heilkundigen nach den Veda genannten Lehrschriften; Texte zu Chirurgie, innerer Medizin, außerdem Hygienevorschriften und plastische Chirurgie
China: Werke über Pharmakologie und innere Medizin; Krankheitsbeschreibungen, Chirurgie, Pulsdiagnostik, Aderlaß, Akupunktur, Moxibustion und Massage
ab 1500 v.Chr.–1500 n.Chr: Medizin von Azteken, Mayas und Inkas von Dämonenglauben geprägt, Kenntnisse in Chirurgie und der Wirkung einheimischer Drogen
ab 1500 v.Chr.–70 n.Chr: Jüdische Medizin basierend auf Bibel und Talmud, religiöse Gebote zur Hygiene
600–400 v.Chr.: Theorien griechischer Naturphilosophen zu Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Natur und des Lebens (u.a. Alkmaion, Anaximenes, Demokrit, Empedokles, Pythagoras)
ab 400 v.Chr.: Begründung der Medizin als Wissenschaft, exakte Beobachtung und Beschreibung der Krankheitssymptome, Prognose, prophylaktische Maßnahmen; Grundlage ist die Humoralpathologie; hohe ethische Auffassung des Arztberufes (Hippokrates); Begründung der Physiologie (Aristoteles)
ca. 300–250 v.Chr: Begründung der Alexandrinischen Medizin: erste Sektionen menschlicher Körper, Gefäß- und Nervensystem beschrieben, anatomische Nomenklatur (Erasistratos, Herophilos)
ca. 100 v.Chr.: Begründung der Solidarpathologie (Asklepiades)
um Chr. Geburt: Enzyklopädie „De medicina“ zum Stand der damaligen Heilkunde (A.C. Celsus)
ca. 100 n.Chr.: erste Lehrbücher zur Gynäkologie (Soranus), Pharmakologie (P. Dioskurides)
ca. 150 n.Chr: Schaffung eines ganzheitlichen Systems der Medizin durch Zusammenfassung der antiken Lehren auf Basis der Humoralpathologie (C. Galen)
ab 400: Kenntnisse der griechisch-römischen Medizin verlagern sich nach Byzanz (u.a. Oreibasios), im übrigen Europa auf Klöster beschränkt (sog. Mönchsmedizin)
ab 600: Arabische Medizin mit selbständigen Schulen in Ägypten und Spanien; wichtige Beiträge zu Arzneikunde, Augenheilkunde, Psychiatrie und Chirurgie
ca. 900: Unterscheidung von Masern und Pocken (Rhazes)
ca. 1000: Systematisierung der griechisch-römischen Medizin im „Kanon der Medizin“ (Avicenna)
1137: Beginn der medizinischen Ausbildung an Universitäten in Montpellier
ca. 1150: Sammlung volkskundlichen Heilwissens (Hildegard von Bingen)
11.–14. Jahrhundert: Schulen von Salerno und Toledo übermitteln Kenntnisse arabischer Medizin durch Übersetzungen ins Lateinische; Schriften über Hygiene und Diätik
1286: erste bekannte Leichensektion des Mittelalters im christlichen Europa
1315: erstes, weltweit verbreitetes anatomisches Lehrbuch (Mondino de' Luzzi)
1377: erste dokumentierte Quarantäne zur Eindämmung der Pest
1495: erstes Bekanntwerden der Syphilis
ca. 1500: detaillierte anatomische Zeichnungen (Leonardo da Vinci); umfassende Schriften über Krankheiten und Behandlungsmethoden, Begründung der pharmazeutischen Chemie oder Iatrochemie (P.T. Paracelsus)
1543: erste vollständige und systematische Beschreibung des menschlichen Körpers, Begründung der modernen Anatomie (A. Vesal)
1546: Theorie und Beschreibung der Infektionskrankheiten (G. Fracastoro)
1553: Beschreibung des Lungenkreislaufs (M. Servet)
1554: Differenzierung der Medizin in Physiologie und Pathologie (J.F. Fernel)
1564/1572/1582: wissenschaftliche Abhandlungen über Chirurgie sowie über Arzneimittellehre (A. Paré)
1597: Abhandlung zur plastischen Chirurgie (G. Tagliacozzi)
ca. 1620–1700: Iatrochemie (u.a. F. de Boe, J.B. van Helmont, D. Sennert) und Iatrophysik (u.a. G.A. Borelli, R. Descartes, F. Glisson, F. Hoffmann, S. Santorio) als Grundlage zur Beschreibung physiologischer sowie pathologischer Erscheinungen
1628: Entdeckung des Blutkreislaufs (W. Harvey)
ca. 1650: Alkoholkonservierung von Tieren (R. Boyle); Prägung des Begriffs Vergleichende Anatomie (T. Willis); Beschreibung des lymphatischen Systems (O. Rudbeck, T. Bartholin)
ab 1650: Begründung der mikroskopischen Anatomie: 1658 Entdeckung der roten Blutkörperchen (J. Swammerdam), 1661 Beschreibung der Blutkapillaren als Verbindung zwischen Arterien und Venen (M. Malpighi), ca. 1680 Beschreibung von Bakterien und Blutkörperchen (A. van Leeuwenhoek)
1683: Unterscheidung von Gicht und Rheumatismus (T. Sydenham)
1700: erste Beschreibung von berufsbedingten Krankheiten (B. Ramazzini)
1714: Einführung des klinischen Unterrichts am Krankenbett (H. Boerhaave)
1729: Grundlagen der Sozialhygiene und eines öffentlichen Gesundheitsdienstes (J.P. Frank)
1746: Staroperation mittels Extraktion der Augenlinse (J. Daviel)
1757–82: Irritabilität und Sensibilität von Muskulatur und Nervensystem als Spezifikum des menschlichen Lebens (A. von Haller)
1761: Begründung der pathologischen Anatomie, Sitz von Krankheiten in den Organen (G.B. Morgagni); Perkussionsdiagnostik (J.L. Auenbrugger)
1785: Einführung von Digitalispräparaten (W. Withering)
ca. 1797: Sitz von Krankheiten in Geweben, Aufkommen der Histologie (M.F.X. Bichat)
1796: erste Pockenschutzimpfung (E. Jenner)
1798: Entdeckung der Farbenfehlsichtigkeit (J. Dalton)
1799: Entdeckung der narkotisierenden Wirkung von Lachgas (H. Davy)
1801: Beschreibung der Ursache des Astigmatismus (T. Young)
1806: Entdeckung des Morphins aus Opium (F.W.A. Sertürner)
1810: Begründung der Homöopathie (S.F.C. Hahnemann)
1819: Konstruktion des Stethoskops (R.T.H. Laennec)
1824: erster Versuch einer Bluttransfusion zwischen zwei Menschen (J. Blundell)
ab 1826: grundlegende Arbeiten zur Embryologie (K.E. von Baer)
ca. 1833: Begründung der modernen Physiologie (J.P. Müller)
ab 1842: Einführung der Narkose: 1842 Ether (C.W. Long), 1844 Lachgas (H. Davy), 1847 Chloroform (J.Y. Simpson)
1845: Ableitung psychischer Krankheiten von Erkrankungen des Gehirns (W. Griesinger)
ca. 1849: Elektrophysiologie von Nerven- und Muskelzellen (E. Du Bois-Reymond)
1850: Erfindung des Augenspiegels (H.L.F. von Helmholtz)
ab 1850: Beschreibung von Erkrankungen des Nervensystems, Einführung der Elektrotherapie (G.B.A. Duchenne, W.H. Erb)
1852: Beschreibung des Erregers der Bilharziose, Begründung der Tropenmedizin (T.M. Bilharz)
1855: Beschreibung der Addisonschen Krankheit (T. Addison); Glykogenbildung und Glykogenolyse in der Leber, Begriff „innere Sekretion“ (C. Bernard)
1858: Begründung der Zellularpathologie (R. Virchow)
1861: Aufklärung der infektiösen Ursache des Kindbettfiebers (I.P. Semmelweis)
1867: Einsatz von Desinfektionsmitteln (Antisepsis) in die Chirurgie (J. Lister)
ab 1876: Nachweis von Mikroorganismen als spezifische Erreger von Krankheiten: 1876 Milzbranderreger (Bacillus anthracis), 1882 Tuberkelbacillus (Mycobacterium tuberculosis), 1883 Choleraerreger (Vibrio cholerae) (H.H.R. Koch)
ca. 1880: Begründung der wissenschaftlichen Hygiene (M.J. von Pettenkofer)
1881: erste Magenresektion (T. Billroth)
1883: Theorie der zellulären Immunität (I.I. Metschnikow)
1885: Impfstoff gegen Tollwut (L. Pasteur)
1886: Erklärung der Hysterie (J.M. Charcot)
1890: Serumtherapie gegen Diphtherie (E.A. von Behring)
1891: erste Lumbalpunktion (H.I. Quincke)
1892: Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Immunität (P. Ehrlich)
1895: Entdeckung der Röntgenstrahlen (W.C. Röntgen); erster Nachweis von Viren (M.W. Beijerinck, P. Frosch, F.A.J. Löffler)
1896: Einführung der Lichttherapie (N.R. Finsen)
1897: Aufklärung der Ursache für die Mangelkrankheit Beriberi und damit Entdeckung des zunächst Antiberiberifaktor genannten Vitamins Thiamin (C. Eijkman)
1898: Entdeckung der Übertragungsweise der Malaria durch Nachweis des Erregers in der Anophelesmücke (R. Ross)
1899: Einführung der Rückenmarksanästhesie (A. Bier)
ca. 1900: Lehre von den bedingten Reflexen (I.P. Pawlow)
1901: Isolierung des ersten Hormons: Adrenalin (J. Takamine, T.B. Aldrich, J.J. Abel); Entdeckung der Blutgruppen des Menschen (K. Landsteiner)
1902: Gefäßanastomose (A. Carrel), Beschreibung der Anaphylaxie (C.R. Richet)
1903: Entwicklung der Elektrokardiographie (E. Einthoven)
1904: Druckdifferenzverfahren in der Thoraxchirurgie (E.F. Sauerbruch)
1905: Prägung des Begriffs Hormon (E.H. Starling); theoretische Basis der Psychoanalyse (S. Freud)
ab 1905: Begründung der modernen Neurochirurgie (H. Cushing)
1907: Physiologie und Pathologie des Bogengang-Apparats (R. Bárány)
1908: Organtransplantation bei Tieren (A. Carrel)
1909: Salvarsan gegen Syphilis, damit Begründung der wissenschaftlichen Chemotherapie (P. Ehrlich, S. Hata)
1911/1912: Nachweis von „akzessorischen Ernährungsfaktoren“ (F.G. Hopkins) und Prägung des Begriffs Vitamin (C. Funk)
1921: Entdeckung und Isolierung des Insulins (F.G. Banting, C.H. Best, J.J.R. Macleod); Tuberkuloseschutzimpfung mit BCG-Impfstoff (A. Calmette, C. Guérin)
1923: Einführung der Leberdiät bei Perniciöser Anämie (G.R. Minot, W.P. Murphy, G.H. Whipple)
ca. 1925: Bedeutung der Hormone des Hypophysenvorderlappens (B.A. Houssay)
1926: Strahlen-Mutagenese (H.J. Muller)
ab 1929: Entwicklung der Elektroencephalographie (H. Berger) und der Herzkatheterisierung (W.T.O. Forßmann)
1932: Sulfonamide zur Behandlung von Infektionen (G.J.P. Domagk)
ab 1934: Isolierung und Strukturaufklärung von Nebennierenrindenhormonen (P.S. Hench, E.C. Kendall, T. Reichstein)
1935: Verwendung von Isotopen für Stoffwechseluntersuchungen (R. Schoenheimer, D. Rittenberg)
1936: Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Vitaminen und Coenzymen (H. von Euler-Chelpin, H.A.T. Theorell, O.H. Warburg)
1940: chemische Mutagenese (F. Oehlkers)
1941: Hemmung von Prostatakrebs durch Applikation weiblicher Sexualhormone (C.B. Huggins)
1942: Einführung des ersten Antibiotikums: Penicillin (E.B. Chain, H.W. Flory; Entdeckung der Wirkung bereits 1928 durch A. Fleming)
ab 1950: Streß als Auslöser pathologischer Zustände (H. Selye), Einführung psychosomatischer Aspekte in die Medizin (G. von Bergmann, L. von Krehl, R. Siebeck, V. von Weizsäcker)
1952: Infektiosität von Virus-Nucleinsäure (G.F. Schramm); Impfstoff gegen Poliomyelitis (J.E. Salk)
1953: Ermittlung der Aminosäuresequenz des Insulins (F. Sanger)
1955: Einführung der Utraschalldiagnostik, erste erfolgreiche Organtransplantation (Niere) bei eineiigen Zwillingen
1959:Clone-selection-Theorie zum Mechanismus der Antikörperbildung (F.M. Burnet, P.B. Medawar)
1965: Einführung der „Antibabypille“ (G.G. Pincus)
1967: Entwicklung der Laserchirurgie; erste erfolgreiche Herztransplantation am Menschen (C.N. Barnard)
1971: Einführung der Computertomographie (A.M. Cormack, G.N. Hounsfield)
1974:Netzwerktheorie des Immunsystems (N. K. Jerne)
1975: Herstellung monoklonaler Antikörper (G.J.F. Köhler, C. Milstein)
1976: Aufklärung der zellulären Herkunft retroviraler Onkogene (M.J. Bishop, H.E. Varmus)
1978: letztes Auftreten der Pocken in Somalia (von der WHO bereits 1976 als ausgerottet registriert); Geburt des ersten „Retortenbabys“ (P.C. Steptoe, R.G. Edwards)
1980: Insulin als erstes rekombinantes Protein in industriellem Maßstab erzeugt
1982: Einführung der Kernspintomographie; Formulierung der Prionen-Hypothese (S.B. Prusiner)
1983: Entdeckung des Aidserregers (R.C. Gallo, L. Montagnier); Aufschwung der Transplantationsmedizin nach Einführung des Immunsuppressivums Cyclosporin
1990: erster Versuch einer Gentherapie bei einer monogenen Erbkrankheit
1991: Erste Behandlung von Krebskranken mit gentechnisch veränderten Lymphocyten (USA)
1993: Menschliche Embryonen werden geklont und mehrere Tage in einer Petri-Schale am Leben gehalten (George Washington University)
1995: erfolgreiche Implantation einer durch moderne Methoden der Gewebezüchtung gewonnenenen Ohrmuschel bei einer Maus
1997: Erste Klonierung eines Säugetieres (Schaf „Dolly“) unter Verwendung ausdifferenzierter somatischer Zellen (I. Wilmut); Entwicklung künstlicher menschlicher Chromosomen
1998: Der Europarat beschließt das Verbot des Klonens von Menschen; Klonierung von Kälbern
2000: Klonierung von Schweinen
2001: Das Humangenomprojekt gibt die Entschlüsselung des größten Teils des menschlichen Genoms bekannt. In einem amerikanischen Biotech-Labor werden zur Gewinnung von Stammzellen menschliche Embryonen geklont
Medizin
Medizin in Entwicklungsländern
Medizin in Entwicklungsländern (Tropical Public Health) umschreibt medizinische Hilfstätigkeiten in den meist tropischen, wirtschaftlich unterentwickelten Ländern der Dritten Welt. Der Begriff selbst stellt keine scharf abgegrenzte Größe dar und umfaßt z.B. auch die klassische Tropenmedizin, die sich speziell mit der Erforschung, Behandlung und Prävention von Tropenkrankheiten (z.B. Malaria) beschäftigt.
Die Anfänge dieser Arbeit gehen in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Die seefahrenden Welthandelsnationen und Kolonialmächte mußten sich mit den tropischen Krankheiten auseinandersetzen (eine erste internationale Gesundheitskonferenz hierzu fand 1851 in Paris statt). Der deutsche Arzt T. Bilharz beschrieb in Ägypten 1851 die nach ihm benannte Krankheit Bilharziose (Schistosomiasis); der Engländer R. Ross entdeckte in Kalkutta 1898 den Kreislauf der Malariaplasmodien (Plasmodium), und der Elsässer A. Schweitzer gründete 1913 unter eindeutigen Gesichtspunkten der Entwicklungshilfe das bedeutende Tropenhospital Lambarene (Gabun).
Die heutige Medizin in Entwicklungsländern muß u.a. von folgenden Gegebenheiten ausgehen. Den Ländern der Dritten Welt steht für ihre medizinische Versorgung nur ein überaus geringer Finanzrahmen zur Verfügung. Obwohl die Länder mit geringem Pro-Kopf-Einkommen 83% der globalen Krankheitslast tragen, können sie lediglich 11% der Gesundheitsausgaben weltweit für sich in Anspruch nehmen. Von diesen Ausgaben gelangen wiederum nur ca. 10% an die Basis, d.h. zu der Masse der Armen, die zu 70–80% in ländlichen Regionen und Slumgebieten leben. Alle 3 Sekunden stirbt hier ein Kind, weil die Eltern arm sind. Das Problem von Gesundheit und Krankheit ist hier wesentlich an gesundheitsrelevante Faktoren wie Alphabetisierung, Abschaffung von Hunger, Erstellung von sanitären Einrichtungen und Familienplanung (Bevölkerungsentwicklung, Empfängnisverhütung) – also letztlich an die wirtschaftliche Entwicklung gebunden. Der Begriff „Medizin in Entwicklungsländern“ geht also weit über den klassischen Medizinbegriff hinaus und beinhaltet neben wirtschaftlichen Aspekten auch soziokulturelle und anthropologische Ansätze (Anthropologie).
Um medizinische Abhilfe zu schaffen, gibt es verschiedene Zugangsmöglichkeiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 1975 in der Konferenz von Alma Ata das Konzept von Primary Health Care (PHC, Primäre Gesundheitspflege) erarbeitet: Die Gesundheitssicherung soll durch Einbeziehung von nichtmedizinischen Einflußfaktoren (Wohnen, Nahrung, Kleidung, Bildung) und den Gesundheitssystemen gesichert werden. Die 8 Elemente von Primary Health Care sind:
Grundbedürfnisse
1. Erziehung zur Erkennung, Vorbeugung und Bekämpfung der örtlich vorherrschenden Gesundheitsprobleme
2. Nahrungsmittelversorgung
3. Trinkwasserversorgung und sanitäre Maßnahmen
Präventivmedizin
4. Mutter-Kind-Gesundheitsversorgung und Familienplanung
5. Impfungen
6. Verhütung und Bekämpfung der örtlich-endemischen Krankheiten
Kurative Medizin (Dorfebene)
7. Behandlung gewöhnlicher Erkrankungen und Verletzungen
8. Versorgung mit essentiellen Medikamenten (Schwerpunkte)
Das Ziel der PHC-Strategie ist die Verbesserung der gesundheitlichen Lage der benachteiligten Teile der Weltbevölkerung in der Dritten Welt.
Der internationale Kinderhilfsfond UNICEF hat eine Strategie von wohlkalkulierten Einzelmaßnahmen erarbeitet, mit der rasch Erfolge erzielt werden können. An solchen schnellen Erfolgen (bessere Finanzierungsmöglichkeiten) sind Regierungen und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs, besonders der Entwicklungshilfe) sehr interessiert. Es handelt sich um sog. vertikale Konzepte. Ein solches ist das „Child Survival and Development Revolution Concept“. Es bedeutet: Growth Monitoring, Oral Rehydration, Breast Feeding Promotion, Immunization, Family Planning, Female Education, Food Fortification (Abk. GOBIFFF). Im Gegensatz zum WHO-Konzept, das auf langfristige Planung angelegt ist, fördert dieses Konzept kurzfristig und regional die Gesundheitszustände.
Vielfältige und akute Hilfeleistungen, die oft von Entwicklungsmaßnahmen allgemeinerer Art flankiert sind, leisten die Nichtregierungs-Organisationen (NGOs). Solche sind u.a. Médecins sans frontières, Komitee Ärzte für die Dritte Welt, Komitee Kap Anamur – Deutsche Notärzte, Brot für die Welt oder der Deutsche Caritasverband. Die Arbeit als Arzt, Krankenschwester, Hebamme oder Pfleger eines Landes der Ersten Welt (Geberlandes) in einem Land der Dritten Welt wird von den Hilfeleistenden persönlich als sehr bereichernd empfunden (häufig ist eine Revision eigener Standpunkte bezüglich des Berufsbildes und seiner Wertvorstellungen die Folge).
Defizite auf Seiten der Geberländer sind: mangelnder Wille zu fairem Ausgleich von Wirtschaftsinteressen; Vernachlässigung von Themen der Medizin der Entwicklungsländer in der naturwissenschaftlichen, medizinischen Forschung und Lehre der Ersten Welt; fehlendes Interesse der Pharmazeutischen Industrie (nach der Dekolonialisierung) an der Erforschung und Herstellung moderner tropenmedizinischer Medikamente unter für Entwicklungsländer bezahlbaren Bedingungen.
F.K.
Lit.:Diesfeld, H.-J.: Gesundheitsproblematik der Dritten Welt. Darmstadt 1989. Diesfeld, H.-J., Wolter, S. (Hrsg.): Medizin in Entwicklungsländern. Frankfurt 1989. Nohlen, D., Nuscheler, F.: Handbuch der Dritten Welt (bisher 8 Bände). Hamburg 1994. Werner, D.: Where there is no Doctor. London 1977. Wiedershaim, R. (Hrsg.): Gesundheit und Krankheit in der Welt. Darmstadt 1997. World Health Organization (Hrsg.): The Use of Essential Drugs. Geneva 1992.
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