Direkt zum Inhalt

»Das faszinierende Spiel der Tiere«: Wenn Möwen Muscheln werfen

Viele Tiere spielen – und das auf teils verblüffende Weise, wie David Toomey zeigt. Sein Buch wirft faszinierende Fragen auf, wirkt aber teilweise etwas überladen.

Ein Hund jagt einem Ball hinter, zwei Löwenwelpen raufen miteinander, ein Papagei klingelt mit einem Glöckchen: Viele Tiere spielen – aber warum? Wo fängt Spiel an und wo endet es? Und spielen Tiere aus Spaß? Oder aus einem anderen Grund oder sogar mehreren Gründen?

Mit diesen und weiteren kniffligen Fragen haben sich diverse Forscherinnen und Forscher befasst. Einige von ihnen stellt der Wissenschaftsjournalist David Toomey in seinem Buch vor und beschreibt ihre Versuche, dem Spielverhalten bestimmter Tierarten oder Individuen auf den Grund zu gehen.

So erfahren die Leserinnen und Leser zum Beispiel von Pazifischen Riesenkraken, die darauf getestet wurden, wie sie mit einer Flasche umgehen. Immer wieder überrascht das Verhalten der Tiere. Wenn etwa eine Silbermöwe im Flug eine Muschel mit dem Schnabel in die Luft wirft und wieder auffängt, Husarenaffen sich mit dem Bauch voran von einem Ast zu Boden stürzen oder Hummeln Kugeln herumrollen, ruft das beim Lesen tatsächlich die Faszination hervor, die der Titel des Buchs verspricht.

Eine Menge Theorie

Allerdings ist Vorsicht bei der Interpretation solcher spielerisch anmutenden Verhaltensweisen geboten. So könnte zum Beispiel ein Krake, anstatt mit einer Flasche zu spielen, diese auch erkunden – vielleicht, weil er in ihr nach Nahrung sucht. Um solche Irrtümer auszuschließen, widmet sich Toomey der Frage, was ein Spiel eigentlich ausmacht – und befasst sich auch damit, was beim Spielen aus neurowissenschaftlicher Sicht passiert und wie dieses Verhalten evolutionär entstanden ist. Er beruft sich dabei auf Überlegungen verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, allen voran auf die der Biologen Gordon Burghardt und Charles Darwin. Burghardt definierte Merkmale, an denen sich ein Spielverhalten beim Tier erkennen lassen soll. Dazu gehört zum Beispiel, dass Spielen an sich keiner unmittelbaren »Funktion« dient wie etwa dem Überleben des Individuums oder dem Erhalt einer Art. Der Prozess der natürlichen Auslese hat Toomey zufolge viel mit dem Wesen des Spiels gemeinsam: Auch er sei unter anderem zweckfrei, da er keine Absicht und kein Ziel verfolge. Eine Art, bei der die Nachkommen vorteilhafte Merkmale aus der Elterngeneration vererbt bekamen, werde dadurch nicht zwingend »fortschrittlicher«.

Die theoretischen Passagen des Buchs sind – so notwendig sie sein mögen – oft etwas trocken geraten. Mehr noch leidet der Lektürefluss aber unter der schieren Informationsdichte, die natürlich auch der Komplexität des Themas geschuldet ist. Wenn sich zum Beispiel auf S. 115 ein fiktiver Dialog zwischen der Amygdala, dem medialen präfrontalen Kortex und dem orbitalen Frontalkortex entspannt, es dann aber wenige Seiten später plötzlich um die »Überschüssige-Ressourcen-Theorie des Spiels« geht, braucht es schon einiges an Konzentration, um nicht den Faden zu verlieren. Etwas unklar erscheint auch, weshalb Toomey die natürliche Auslese im Verlauf des Buchs zwar buchstäblich immer wieder ins Spiel bringt, sie aber erst auf S. 239 erklärt.

Insgesamt jedoch überzeugt der Schreibstil des Autors – auch in der Übersetzung –, indem er Kompliziertes verständlich werden lässt. Interessierte Leser finden in diesem Buch spannende, tiefgründige Gedanken zum Spielverhalten der Tiere und auch lohnenswerte Überlegungen dazu, was der Mensch daraus vielleicht lernen kann.

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Faszination Gehirn: 38 Infografiken über unser Denken, Fühlen und Handeln

Weil Sprache allein nicht immer das beste Kommunikationsmittel ist, werden seit 2013 ausgewählte Inhalte auf eine andere Art präsentiert: in Infografiken. Denn manches lässt sich in Bildern so viel einfacher darstellen als mit Worten. In dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist« präsentieren wir ein »Best-of« unserer Infografiken zu Psychologie, Hirnforschung und Medizin. Wie funktioniert unser Orientierungssinn? Was haben Darmbakterien mit der Psyche zu tun? Was macht eine angenehme Unterhaltung aus? Wie wirkt Alkohol im Gehirn? Und warum lassen wir uns im Supermarkt so leicht zu Spontankäufen animieren? Antworten auf diese und viele weitere Fragen finden Sie in dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist«. Jede der 38 Grafiken im Heft widmet sich einem eigenen Thema.

Spektrum der Wissenschaft – 50 Jahre Lucy

Vor 50 Jahren wurde in Äthiopien ein hervorragend erhaltenes Teilskelett von Australopithecus afarensis entdeckt. Auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entdeckung gilt das 3,2 Millionen Jahre alte Fossil immer noch als Urmutter aller Menschen. Doch »Lucy« hat Konkurrenz bekommen. Außerdem im Heft: Ein neues Quantenparadoxon löst Kontroversen aus. Der Drehimpuls eines Teilchens scheint sich von diesem zu lösen und sich körperlos zu bewegen – aber ist das wirklich so? Nanokapseln, wie jene der RNA-Impfstoffe, sollen die Medizin revolutionieren. Doch immer wieder tritt durch die Nanomedikamente eine gefährliche Immunreaktion auf. Was steckt dahinter? Nördlich von Berlin untersucht ein Forschungsprojekt, wie sich trockengelegte Moore wiedervernässen lassen. Schließlich stellen wir in der Rubrik »Forschung Aktuell« die Nobelpreisträger für Physik, Chemie und Medizin oder Physiologie sowie deren bahnbrechende wissenschaftliche Beiträge vor.

Spektrum - Die Woche – Putzig, aber unerwünscht

Waschbären haben sich in Europa rasant verbreitet – die einen finden sie niedlich, andere sind nur noch genervt, weil die Tiere den Müll plündern oder in den Dachboden einziehen. Dazu kommen Risiken für Gesundheit und Natur. Wie stark schaden sie der heimischen Tierwelt und uns Menschen?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.