Schlaf: Gibt es Tiere, die nicht schlafen?
Wenn man herausfinden will, wer ihn nicht braucht, kommt man an einer exakten Definition von Schlaf nicht vorbei. Ebendie kann die Wissenschaft jedoch bis heute nicht wirklich eindeutig liefern. Immerhin: Es gibt eine lange Liste von Kriterien, um »Schlaf« als solchen zu umreißen. Diese Liste lässt sich, wenn man den Blick auf das in puncto Schlafverhalten sehr vielfältige Tierreich richtet, zum Glück aber auf drei ausschlaggebende Kriterien zusammenstreichen. Demnach ist Schlaf ein Zustand …
- in dem man vermindert und oder verzögert auf Reize reagiert (schon mal versucht, mit einem bereits schlummernden Bettgenossen ins Gespräch zu kommen?),
- der sich, im Gegensatz zu Winterschlaf, Starre oder Koma, schnell wieder aufheben lässt (zeigt sich, wenn die Frage »Schläfst du schon?«, nachdrücklich gestellt, oft genug unbeantwortet bleibt)
- und der den Organismus zurück ins Gleichgewicht bringt (wer eine Weile ganz vom Schlafen abgehalten wird, schläft bei nächster Gelegenheit tiefer und oder länger).
Vermindertes Reaktionsvermögen, Aufweckbarkeit und Aufholschlaf nach Schlafentzug: Mit Hilfe dieser drei Merkmale lässt sich also eindeutig feststellen, ob eine Spezies schläft oder nicht. Dennoch bleibt Schlafforschung aufwändig, sagt der Neurobiologe und Schlafforscher Albrecht Vorster vom Inselspital Bern. Das zeigt sich auch bei unserer Suche nach dem Tier, das ohne Schlaf auskommt. Wenn man hier tiefer ins Detail gehen will, sagt Voster, »ist es sinnvoll, an einem Modellorganismus zu forschen, also an einem Tier, das bereits anderweitig gut erforscht ist und dessen Gene man kennt«.
Als Paradebeispiel des schlaflosen Tiers muss immer wieder der Delfin herhalten. Denn, klar: Er muss in regelmäßigen Abständen an die Oberfläche schwimmen, um Luft zu holen, und wie sollte er da schlafen? »Ein Missverständnis«, sagt Vorster: »Schlaf geht zwar oft, aber nicht unbedingt mit körperlicher Ruhe einher. Wer schläft, kann sich weiter stereotyp verhalten und muss nicht unbedingt reglos sein. So wie Schlafwandler: Denen würden wir ja auch nicht absprechen, dass sie schlafen. Und im Prinzip macht der Delfin genau das Gleiche.« Der Trick des Meeressäugers ist der so genannte Halbseitenschlaf: Beim Delfin schläft abwechselnd immer nur eine Gehirnhälfte, während die andere wacht. Für kreatives, intelligentes Verhalten reicht das halbe Hirn zwar nicht, da braucht es schon die Wachheit. Aber eingefahrenes Verhalten – wie Schwimmen – ist mit einer Gehirnhälfte gut zu bewerkstelligen.
Nicht nur schwimmen lässt sich im Schlaf, sondern auch fliegen. Das gelingt verschiedenen Vögeln dabei auf unterschiedliche Art und Weise. Zugvögel wie der Mauersegler sind bis zu 300 Tage am Stück in der Luft, ohne ein einziges Mal zu landen. Die Vögel steigen tausende Meter auf, um sich dann gleiten zu lassen und währenddessen in den Tiefschlaf zu fallen – für durchschnittlich zehn Sekunden. »Vögel können, wie andere Tiere auch, sehr kurze Schlafperioden haben«, sagt Vorster. »Nur weil es uns unglaublich kurz vorkommt, heißt das aber nicht, dass die Tiere nicht schlafen.«
Ein anderes oft genanntes Tier, das angeblich niemals schläft, ist der Ochsenfrosch – und dies bereits seit 1967. Damals war eine Studie zu dem Schluss gekommen, Ochsenfrösche seien schlaflos, weil sie in Wach- und Ruhephasen auf Stromschläge gar nicht reagieren, oder zumindest ganz anders als erwartbar. Fünf Jahrzehnte nach den Experimenten muss man allerdings konstatieren, dass nicht nur die Versuchsdurchführung, sondern auch die Auslegung der Ergebnisse absolut fragwürdig ist. Folgeversuche haben längst verwandte Arten tief schlafend beschrieben, und es gilt als ausgemacht, dass ziemlich sicher alle Wirbeltiere schlafen, Ochsenfrösche eingeschlossen.
Bleiben also die wirbellosen Tieren. Bei Insekten wie Bienen und Fliegen konnte man eindeutig feststellen, dass sie schlafen. Auch die Schlafgewohnheiten von kurioseren Wirbellosen wie dem Skorpion und der Meeresschnecke Aplysia californica sind gut dokumentiert.
Ein Streitfall ist allerdings der Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Während seiner Entwicklung als Larve schläft C. elegans, als ausgewachsener Wurm streng genommen aber nicht. Genauer gesagt: Er schläft höchstens, wenn er Stress hat, also zum Beispiel weil er hungert – statt regelmäßig immer wieder, um zu regenerieren. »Schlaf braucht man immer dann, wenn man etwas Neues gelernt, das heißt, wenn sich etwas an Nerven verändert hat«, sagt Vorster. »Ein erwachsener Fadenwurm kann kaum mehr dazulernen, und wahrscheinlich muss er deshalb auch nicht mehr schlafen. Auch wenn man sich beim Fadenwurm ein bisschen darüber streiten kann: Alles, was ein Gehirn hat, scheint zu schlafen.«
Aber selbst, nun, hirnlose Tiere legen offenbar immer wieder mal Nickerchen ein, wie die Mangrovenqualle Cassiopeia andromeda. Sie besitzt nicht nur kein Gehirn, ja nicht einmal ein zentrales Nervensystem, sondern lediglich eine Art einfaches Nervengeflecht. Vermindertes Reaktionsvermögen, Aufweckbarkeit und Aufholschlaf nach Schlafentzug zeigt die Qualle trotzdem.
Ganz anders der Einsiedlerschwamm Suberites domuncula, der (streng systematisch betrachtet) ebenfalls in die Kategorie Tiere fällt, obwohl er nicht einmal Nervenzellen vorweisen kann. Ihm konnte man einen zirkadianen Rhythmus bescheinigen, also eine Art typischen Rhythmus von etwa 24 Stunden. Dieser lässt sich übrigens bei fast alle Lebewesen finden: auch bei denen, die – wie der Schwamm selbst – niemals schlafen.
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