Lexikon der Biologie: Bauplan
Bauplan, der Gesamtaufbau eines Organismus, z. B. die Lage der Organe im Körper bezüglich der beiden Hauptachsen, der anteroposterioren und der dorsoventralen Achse. Organismen mit ähnlichem Grundbauplan werden zu Großgruppen (oft Stämmen) zusammengefaßt, z. B. Bauplan der Chordaten, der Arthropoden oder der Mollusken. Der Bauplan einer Tier- oder Pflanzengruppe wird von der Summe der ihren Vertretern gemeinsamen, homologen Merkmale in ihrer jeweils ursprünglichsten Ausprägung gebildet (Merkmal, Homologie); er entspricht somit dem Grundmuster der letzten gemeinsamen Stammart der betreffenden Gruppe. Nicht jedes Grundmuster wird jedoch als Bauplan bezeichnet: Nur gut abgrenzbare Grundmuster, die einem für vergleichende Zwecke generalisierten Typus einer Organismengruppe entsprechen, gelten als Baupläne. So zählt man Vögel und Krokodile, obwohl auch sie als Schwestergruppen ein gemeinsames Grundmuster besitzen, zu verschiedenen Bauplänen. Der Begriff des Bauplans entstammt ursprünglich der idealistischen Morphologie (18. Jahrhundert), die in ihm ein den Organismen zugrundeliegendes, ideales Organisationsschema sah (Archetypus), nach dem diese geplant seien, von dem sie aber in der realen Welt als Variationen abwichen. Das moderne Konzept des Bauplans als Rekonstruktion eines Grundmusters hat damit jedoch nicht mehr viel zu tun. – Die Beschreibung des Bauplans enthält keine funktionsmorphologische Aussage. Bauplangleichheit bedingt nicht Funktionsgleichheit (Funktion); auf der Basis eines gleichen Bauplans sind die unterschiedlichsten Anpassungsformen möglich (Anpassung, Spezialisation). Organismen eines gemeinsamen Bauplans können daher ganz verschiedene ökologische Nischen einnehmen und vielfältige Lebensformen hervorbringen. Zum Beispiel sind die gemeinsamen Bauelemente der Wirbeltiere: Wirbelsäule, gleichartiger Bau des Schädels, zwei Paar Extremitäten, dorsal gelegenes Nervenrohr (Rückenmark), gleiche Anlage des Blutgefäßsystems und des Herzens usw. (Wirbeltiere I, II). Auf diesem Grundmuster gemeinsamer Merkmale wurden in den einzelnen Gruppen der Wirbeltiere im Verlaufe der Stammesgeschichte, bei unterschiedlichen Selektionsbedingungen (Selektion), verschiedene Sonderanpassungen erworben. So sind die paarigen Vorderextremitäten bei Fischen als paddelförmige Schwimmflossen (Flossen) ausgebildet, bei Amphibien und Reptilien hingegen als der Lokomotion (Fortbewegung) dienende Hebelsysteme, oder sie sind bei Schlangen und einigen Amphibien ganz reduziert, so daß man nur noch Rudimente finden kann. Säugetiere haben die paarige Vorderextremität als Bein zum schnellen Lauf, als Flügel (Fledermäuse), Grabwerkzeug (Maulwürfe, Insektenfresser; viele Nagetiere), als Schwimmflosse (Wale) oder auch als Greifarm mit großer Beweglichkeit in alle Raumrichtungen (Primaten; Herrentiere) ausgebildet. Vögel haben die Vorderextremität zu einem Flügel (Vogelflügel) ausgestaltet, der die gleichen Bauelemente wie z. B. auch der Fledermausflügel enthält (gleicher Bauplan), jedoch auf unabhängigem Wege und auf der Grundlage anderer physikalischer Prinzipien evolviert wurde (Homoiologie). – Unter starker Betonung des funktionellen Aspekts können Tierkonstruktionen beschrieben werden. Diese erfassen vor allem die biophysikalischen Prinzipien, die bei der Ausbildung eines bestimmten Anpassungstyps bestimmend waren. Gleiche Tierkonstruktionen müssen nicht auf Abstammungsverwandtschaft beruhen, sondern können unter gleichem Selektionsdruck aus verschiedenen Bauplänen entwickelt werden (Analogie). In ähnlicher Weise beschreiben Lebensformtypen (Lebensformtypus) vor allem den ökologischen Aspekt. Auf gleichartig eingenischte Lebewesen wirken natürlich auch gleichartige Selektionsbedingungen. Die gerichtete Selektion gestattet dann eine Ausbildung gleicher Anpassungsformen, gleicher Tiergestalten (Gestalt). Bekannte Beispiele sind die Lebewesen des Sandlückensystems der Meeresstrände, die alle, bei mikroskopischer Größe, von wurmförmiger Gestalt sind, häufig mit Saugnäpfen oder Zangen versehen, sich als Stemmschlängeler in den Hohlräumen zwischen den Sandkörnern bewegen. Es sind Vertreter der Plattwürmer, Ringelwürmer, Krebstiere, Asseln, Milben usw., die diesem Lebensformtyp des Sandlückenbewohners angehören. Die Gleichheit der Gestalt beruht hier nicht auf gleichem Bauplan, sondern auf analoger Entwicklung. Anagenese, Geoffroy Saint-Hilaire (É.), Goethe (J.W. von), Homologieforschung, Morphologie, Systematik.
M.St./M.Ma./K.N.
Lit.:Sudhaus, W., Rehfeld, K.: Einführung in die Phylogenetik und Systematik. Stuttgart, Jena 1992.
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