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Lexikon der Biologie: Ringelwürmer

Ringelwürmer, Gliederwürmer, Annelida, Stamm der Metazoa mit 3 Klassen, 2 Unterklassen ( ü vgl. Tab. ) und ca. 17.000 Arten. Im allgemeinen 0,2–10 cm, bei den größten Formen (Eunice aphroditois, Megascolides australis [Megascolecidae]) 3 m lange, weichhäutige, abgeflachte (Polychaeta, Hirudinea) oder zylindrische (Oligochaeta), meist langgestreckte, immer aber bilateralsymmetrische und gegliederte Spiralier mit echtem Coelom, das bei abgeleiteten Formen (Hirudinea) bemerkenswert reduziert sein kann. Mit den ebenfalls gegliederten, jedoch gedrungenen und vor allem hartschaligen Gliederfüßern(Arthropoda) werden sie als Stammgruppe Gliedertiere(Articulata) zusammengefaßt. Gekennzeichnet sind die in einen Hautmuskelschlauch aus zellulärer Epidermis, schräggestreifter Ring-, Längs- und gegebenenfalls Diagonal-Muskulatur gehüllten Ringelwürmer durch eine äußere wie innere Unterteilung ihres Körpers in ein Kopfstück (Prostomium), eine Reihe von wenigen bis über 100 Segmenten (Metameren; Metamerie) und ein Afterstück (Pygidium). Bei einigen Gattungen (z.B. Arenicola [Arenicolidae], Hirudo [Hirudinidae]) findet sich eine zusätzliche, doch auf den Hautmuskelschlauch beschränkte, also rein äußerliche Ringelung, so daß mehr Segmente vorgetäuscht werden, als wirklich vorhanden sind. Jedes Metamer verdankt seine Form 2 paarig angeordneten, flüssigkeitserfüllten und als Hydroskelett (Biomechanik) wirkenden Coelomräumen, in die als Organe der Exkretion und Osmoregulation je ein Metanephridium und je eine Gonade eingelassen sind. Ferner enthält jedes Metamer ventral ein Paar Bauchganglien. Wie die Entwicklungsgeschichte der Articulata lehrt und erklärt (Teloblastie), sind Prostomium und Pygidium frei von Coelom und somit definitionsgemäß keine Metameren. Bei ursprünglichen Ringelwürmern sind alle Segmente von gleichem Bau (homonome Segmentierung; Homonomie), in den abgeleiteten und häufigeren Fällen (z.B. Arenicola marina) können im Sinne der Erfüllung spezifischer Aufgaben einige Segmente zu Tagmata vereinigt sein (heteronome Segmentierung). Da die segmentalen Flüssigkeitskissen der Coelomsäcke als eigenständige Widerlager zum Hautmuskelschlauch wirken, kann die Muskelbewegung der einzelnen Segmente voneinander getrennt werden. Dies bedeutet, daß Kontraktions- und Relaxationswellen den Körper entlanglaufen können (Peristaltik) und so je nach Anforderung besondere Formen des Kriechens, Schwimmens, Grabens und Bohrens ermöglichen. Ferner gestattet die segmentale Aufteilung der Leibeshöhle die Ausbildung von metameren Körperanhängen (Parapodien), die Borsten tragen und als Extremitäten entsprechend unterschiedlichen Aufgaben unterschiedlich ausgebildet werden und so zur Heteronomie des Wurmkörpers nicht unwesentlich beitragen können (Polychaeta). Die für die Ringelwürmer typischen und vielfach artspezifischen Borsten ( ü vgl. Abb. 1 ) stehen auf den Parapodien oder, wo diese fehlen, wie bei allen Oligochaeten, direkt in der Körperwand. Als epidermale Bildungen werden sie von einer Borstenbildungszelle (Chaetoblast) aufgebaut und in einer Borstentasche verankert. Neben den vielfach in die Tiefe verlagerten Borstentaschenzellen enthält die Epidermis zahlreiche Drüsenzellen und wird von einer Cuticula aus Proteinen und Polysacchariden abgedeckt. Die Aufgabe der Cuticula besteht im wesentlichen offenbar darin, bei der Kontraktion eine Überdehnung des Hautmuskelschlauchs zu verhindern. Sie wird nur bei den Hirudineen gehäutet. Die Wände der Coelomräume sind Epithelien (Coelothel), die dort, wo sie aneinanderstoßen, verwachsen, so an den Segmentgrenzen zu Dissepimenten und an den dorso- und ventromedianen Berührungsstellen zu Mesenterien, die als Aufhängebänder den Darm in seiner Lage halten. Dieser besteht aus dem ektodermalen Vorderdarm (Stomodaeum), dem entodermalen Mitteldarm und dem wiederum ektodermalen Enddarm (Proctodaeum), deren einzelne Abschnitte je nach Ernährungsweise unterschiedlich gestaltet sind. Das Blutgefäßsystem ist geschlossen. Das Blut fließt in einem Dorsalgefäß von caudal nach rostral, in einem Ventralgefäß von rostral nach caudal und in den die beiden Längsgefäße verbindenden Ringgefäßen von ventral nach dorsal. Als Antriebsorgan (Herz) arbeiten kontraktile Abschnitte des Rückengefäßes und der lateralen Ringgefäße. Die Lumen der Blutgefäße sind Aussparungen der sich in der Ontogenese zu Dissepimenten und Mesenterien aneinanderlegenden Coelothelien, sind also verbliebene Teile der primären Leibeshöhle. Bei den Myzostomida und Hirudinea ist das Blutgefäßsystem rückgebildet. Atmungsorgan der Ringelwürmer sind die gesamte Körperoberfläche, häutige Ausstülpungen der Körperwand oder Kiemen. Die in den Coelomsäcken liegenden Metanephridien beginnen mit einem Flimmertrichter (Nephrostom), durchdringen das caudale Dissepiment und münden nach gewundenem Verlauf im nächstfolgenden Segment nach außen (Nephridien [Abb.]; Exkretionsorgane ). Die Nephridialkanäle dienen auch der Ausleitung der in das Coelom entlassenen reifen Geschlechtszellen (Urogenitalsystem;Geschlechtsorgane). – Das Nervensystem, im Grundplan ein Strickleiternervensystem, beginnt mit einem paarigen Oberschlundganglion (Cerebralganglion), von dem 2 Längsstämme (Konnektive) ausgehen, den Vorderdarm umgreifen (Schlundkonnektive, Schlundring) und auf der Bauchseite, sich in jedem Metamer zu dem durch eine Kommissur verbundenen Ganglienpaar erweiternd, durch den ganzen Körper nach hinten ziehen ( Nervensystem I ). Nur bei wenigen Formen liegen Markstränge vor. – Die Entwicklung der Ringelwürmer beginnt mit einer geradezu mathematisch geordnet ablaufenden Spiralfurchung und wird durch eine je nach der im Ei vorhandenen Dottermenge als Embolie oder Epibolie sich vollziehenden Gastrulation fortgesetzt, aus der bei den ursprünglichen Formen eine freischwimmende Trochophora-Larve (Trochophora; Larven I ) hervorgeht. Aus ihr entwickelt sich durch teloblastische Sprossung der Wurmkörper. – Fossilien von Ringelwürmern sind vergleichsweise selten; Polychaeten, von denen die meisten Ringelwürmer-Fossilien stammen, sind schon im Kambrium nachgewiesen. – Die Stammesgeschichte der Ringelwürmer ist unbekannt. Diskutiert werden derzeit vor allem 3 Möglichkeiten ( ü vgl. Abb. 2 ), die alle von einer bereits homonom segmentierten Articulaten-Stammart mit Borsten und Strickleiternervensystem ausgehen, von denen aber nur 2 die Polychaeta und Clitellata als Schwestergruppen deuten. 1. Die Articulaten-Stammart hatte bereits Parapodien, aus denen sich die Extremitäten der Arthropoden entwickelten. Bei der Stammart der Clitellata wurden die Parapodien reduziert. 2. Die Articulaten-Stammart besaß noch keine Parapodien. Die Arthropoden- und Polychaeten-Extremitäten sind konvergente Neubildungen. 3. Parapodien und Arthropodien sind konvergent entstanden. Die Parapodien sind bereits bei der Stammart der Annelida vorhanden und werden bei den Clitellata reduziert. Dann allerdings bleibt ein die Polychaeta definierendes, apomorphes Merkmal fraglich und eröffnet die Möglichkeit, daß die Clitellata die Schwestergruppe nur eines Teils der Polychaeta sind. ü Ringelwürmer I ü Ringelwürmer II .

D.Z.

Lit.:Hartmann-Schröder, G.: Stamm Annelida. In: A. Kaestner: Lehrbuch der Speziellen Zoologie. 3. Teil. Stuttgart 41982. Westheide. W.: Articulata, Annelida (ohne Pogonophora). In: Westheide. W., Rieger, R. (Hrsg.): Spezielle Zoologie, Teil 1. Stuttgart 1996.



Ringelwürmer

Abb. 1: Borste bei Lumbricus. Bo Borste, Bz Borstentaschenzellen, Cu Cuticula, Ep Epidermis, Pe Peritoneum, Pr Protraktor, Re Retraktor, Rm Ringmuskulatur



Ringelwürmer

Abb. 2: Drei Möglichkeiten der phylogenetischen Entwicklung von Ringelwürmern (Annelida) und Gliederfüßern (Arthropoda):
Alle drei Möglichkeiten gehen von einer Stammart aus, die bereits homonom segmentiert ist, ein Strickleiternervensystem besitzt und Borsten trägt. Die Quadrate bezeichnen den Entstehungszeitpunkt des bzw. der jeweils neuen wesentlichen Merkmale. – ? bedeutet: neue und für die Stammart der Polychaeta als Autapomorphie zu wertende Merkmale sind nicht nachgewiesen. Cl Clitellum, Pa Parapodien;
a homonome Segmentierung, Strickleiternervensystem, Borsten; b Arthropodenextremität; c spezifische schräggestreifte Muskulatur, spezifische Cuticula, d Cl ausgebildet, Pa reduziert.

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